Am Freitagmorgen bliesen die NGOs zum letzten Gefecht, am Abend gab auch der letzte Veto-befähigte Akteur in Luxemburg auf. Argumente der Gegner, Ergebnisse des Parteirats von Déi Gréng und Ausblick auf die kommenden Tage.
Das CETA-Abkommen darf auf keinen Fall am kommenden Dienstag vom EU-Außenministerrat verabschiedet werden, so lautet die Botschaft der Stop-TTIP-Plattform. Das NGO-Bündnis hatte ein weiteres Mal zu einer Pressekonferenz geladen, um seine Bewertung des Zusatzprotokolls vorzustellen. „Das Abkommen ist als solches schlecht“, bekräftigte Blanche Weber die grundsätzlich ablehnende Haltung der Plattform – CETA sei ein weiterer Schritt in Richtung eines neoliberalen Europas statt eines Europas der Bürgerinnen und Bürger.
Zusatzprotokoll ist nicht CETA!
Auch hinsichtlich des Zusatzprotokolls (joint interpretative declaration) kritisierte die Präsidentin des Mouvement écologique im Namen der Plattform die undemokratische Vorgehensweise. Der Text ist geheim und konnte nur dank der Leaks von der Zivilgesellschaft bewertet werden. Da weiterverhandelt wird, kann er noch bis zur letzten Minute geändert werden – bevor die Minister im Alleingang eine Entscheidung treffen. Die NGOs legten gleich zehn juristische Analysen und andere Dokumente vor, die belegen, dass zahlreiche Punkte im Zusatzprotokoll unklar sind.
Insbesondere die vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe formulierten Vorgaben machen nach Ansicht der Plattform Eingriffe in den eigentlichen Vertragstext notwendig. Das Gericht hatte am 13. Oktober in einem Eilverfahren entschieden, dass die Bundesregierung dem Abkommen beitreten darf, aber an bestimmte Beschränkungen gebunden ist. So muss zum Beispiel die ständige regulatorische Kommission, in der Vertreter der EU und Kanadas den Vertrag anpassen sollen, einer nationalstaatlichen Kontrolle unterliegen. Auch muss Deutschland die Möglichkeit haben, sich gegebenenfalls aus dem Abkommen zurückzuziehen. „Alle diese Fragen lassen sich in den nächsten fünf Tagen nicht befriedigend klären“, hielt Weber fest und erinnerte daran, dass seit sieben Jahre über CETA verhandelt wird. „Auch wenn man für das Abkommen ist, müsste man doch bereit sein, sich ein weiteres halbes Jahr zu geben, um die Bedenken der Zivilgesellschaft auszuräumen.“
Zivilgesellschaft und Politik: Die Hoffnung stirbt als Letztes
Auf den Erfolg der Demo vom 8. Oktober verweisend, warnte Weber davor, dass sich zwischen Politik und Gesellschaft ein Graben auftut. Sollte das Abkommen am kommenden Dienstag doch noch durchgewunken werden, werde dies zu einem Verlust des Vertrauens in die Politik im Allgemeinen und in diese Regierung im Besonderen führen.
Die Hoffnung aufgegeben haben die NGOs nicht: Der Konsens für das Abkommen bröckle in manchen Regierungen, so Weber. „Tut euch zusammen und haltet CETA auf“, forderte sie. Im Vorfeld des am gleichen Abend stattfindenden Parteirats von Déi Gréng wurden der Partei die Erläuterung der Position und die Gutachten der Plattform zugestellt. „Einzelne Grüne haben an Nachbesserungen durch das Zusatzprotokoll geglaubt“, erinnerte Weber. Doch jetzt, mit allen vorliegenden Texten, erwarte die Plattform, dass „Déi Gréng“ sagen „So nicht“.
Déi Gréng: immer noch Jein
Das haben sie auch gesagt – aber wohl nicht ganz so, wie es sich die Plattform gewünscht hatte. In der Pressemitteilung zum – für alle Mitglieder, nicht aber für die Presse, offenen – Parteirat heißt es: „Die Grünen setzen sich weiterhin für Verbesserungen ein.“ Forderungen in der Pressemitteilung wie die nach einer „verbindlichen juristischen Grundlage“ oder nach Festschreibung des Vorsorgeprinzips drücken zwar eine kritische Haltung aus, doch ein Nein klingt anders. Die Schiedsgerichte sollen erst nach der Ratifizierung durch die nationalen Parlamente in Funktion treten – worüber es auch im Pro-CETA-Lager einen breiten Konsens gibt. Außerdem empfiehlt die Partei der Regierung, sich gegebenenfalls einer Vorbehaltsklausel der deutschen Regierung anzuschließen – gemeint ist vermutlich eine Garantieklausel, die festlegt, dass ein Land später aus dem Vertrag aussteigen kann.
„Vier Stunden eingehender Analyse und kontroverser Diskussion“ waren vonnöten, um sich auf diese Erklärung zu einigen. Es dürfte mindestens so hart – und vermutlich sachlicher – diskutiert worden sein als auf dem LSAP-Kongress. Parteiintern mag die CETA-kritische Haltung, die die grüne Führung hinter verschlossenen Türen an den Tag legt, zum Teil die Wogen geglättet haben. Doch von außen betrachtet stechen die faulen Kompromisse ins Auge. Und die Peinlichkeiten, wie der folgende, wohl als Ausdruck des Vertrauens in die Ministerriege gemeinte Satz: „Der Parteirat erkennt die seit 2013 deutlich kritischere Haltung der luxemburgischen Regierung und die wirksame CETA-Motion der Abgeordnetenkammer als einen Erfolg der grünen Regierungsbeteiligung an.“
Das Satisfecit darüber, dass die grüne Beteiligung die Ausrichtung der Regierungspolitik in einem fortschrittlichen Sinne verändert hat, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass ebendiese Beteiligung die offiziellen Positionen der Partei in die entgegengesetzte Richtung gedrängt hat. In Sachen CETA fordern die Grünen – nicht anders als vor dem Parteirat – immer noch Nachbesserungen durch das Zusatzprotokoll, wollen aber die Finger vom Haupttext lassen – obwohl die NGOs gerade Letzteres für unabdingbar halten. Außerdem akzeptieren Déi Gréng widerspruchslos das vorläufige Inkrafttreten des größten Teils des Vertragstextes. Die Option, sich einem deutschen Vorstoß in Sachen Vertragskündigung anzuschließen, mag realistisch sein, wird aber sicher nicht ausreichen, ein Ja der EU-Außenminister am 18. Oktober zu verhindern.
Belgien? Deutschland? Niemand?
Wer könnte noch ein regelrechtes Veto gegen CETA einlegen? Der kurzzeitige Hoffnungsträger Christoph Kern jedenfalls nicht mehr – die österreichische SPÖ hat, wie ihre Schwesterparteien, am Freitag Ja zum Abkommen gesagt. Derzeit wird über Änderungen am Zusatzprotokoll verhandelt, die Deutschland und Belgien zufriedenstellen sollen – genauer gesagt, das Bundesverfassungsgericht und das wallonische Parlament, das seiner Regierung ein Ja untersagt hat. Dabei ist nicht auszuschließen, dass Pro-CETA-Regierungen oder Kanada irgendwann über die Extrawürste für das „alte Europa“ so aufgebracht sind, dass sie das Zusatzprotokoll platzen lassen. Oder dass am Ende die deutsche Regierung – ein Jahr vor den Bundestagswahlen – das Karlsruher Urteil benutzt, um die Bombe CETA zu entschärfen.
Klar ist, dass mittels Zusatzprotokoll das CETA nicht in ein für die Kritiker akzeptables Abkommen verwandelt werden kann. Würde ein – von den NGOs befürworteter – Aufschub zur Klärung der strittigen Punkte mehr bringen? Ein solcher mehr der politischen Verlegenheit als der Einsicht geschuldeter Kompromiss in den nächsten Tagen ist zwar wenig wahrscheinlich, aber doch möglich. Und durchaus nicht nutzlos, denn – man erinnere sich an die Verhinderung des AKW in Remerschen – so manches Moratorium hat einem verfehlten Projekt am Ende doch noch das Genick gebrochen.