Inklusion im Sport: Design für alle

Inklusives Design schafft Sportangebote, die von Anfang an für alle mitgedacht sind, unabhängig von körperlichen Voraussetzungen. Über Theorie und Praxis von Inklusion.

Das Umgestalten der ehemaligen Industriehalle zu einem Funktional Fitness Gym, erforderte gemeinsame Arbeit. (Foto: Claire Faber)

Die zwei Frauen in Sportkleidung stehen in der Nähe des weißgestrichenen Eingangs zur Halle. Der neue Farbanstrich leuchtet in der Sonne, die durch die offene Tür hineinscheint. Beide lächeln, als Sybille Blitgen auf sie zutritt, trotz der Schweißperlen auf der Stirn. „Hier ist wirklich jede*r willkommen“, erklärt sie den zwei Frauen das Konzept von „Iron Sparks“, das einzigartige „Functional Fitness“-Angebot in Esch. „Und genau das ist auch der Grundgedanke hinter dem Ganzen.“

Vor fast fünf Jahren hat Sybille Blitgen, die selbst jahrelang im paralympischen Profisport engagiert war, zusammen mit Mandy Loes das erste inklusive Gym in Luxemburg eröffnet. Nachdem sie immer wieder Probleme hatte ein passendes Sportangebot für sich und ihren Bruder, der mit Trisomie 21 lebt, zu finden, sah sie sich gezwungen ein eigenes Gym zu eröffnen. Zunächst fanden die Trainingsessions in einem der Räume im Lycée Bel-Val statt. Labyrinthartige Gänge führten bis Anfang dieses Jahres in eine seltsame Mischung aus Küche, Klassenraum und Functional Fitness Gym. Trainer*innen, Workout und Equipment waren schon auf Profiniveau, nur die Rahmenbedingungen ließen zu wünschen übrig.

„Wir sind sehr dankbar, dass uns die Schule den Raum stellt, aber im Winter, wenn wir nicht raus können, wird es hier schnell eng. Deshalb suchen wir gerade auch nach einer richtigen Sporthalle“, sagte Blitgen noch im vergangenen November gegenüber der woxx (woxx 1811, „Grenzenlose Fitness“). Mittlerweile hat das Iron Sparks Team in Esch im ehemaligen Industrieareal Metzeschmelz einen Ort gefunden, der das perfekte Potenzial für ihre Zwecke hat, auch wenn der Weg dorthin viel Arbeit bedeutete. „Wir sind sehr zufrieden mit der neuen Halle“, sagt Sybille Blitgen heute und lässt ihren Blick über das Equipment streifen. In der ehemaligen Industriehalle ist ein perfekt ausgestattetes Functional Fitness Gym entstanden. In der Mitte steht ein Gerüst aus Stangen, an dem nach Herzenslust Klimmzüge gemacht und geturnt werden kann. Zur Seite ein komplettes Arsenal an Gewichten, Kettlebells, Langhantelstangen. Überall verteilt quatschen noch in verschiedenen Grüppchen die gut zwanzig Trainierenden, die gerade eine anstrengende Einheit hinter sich haben. Blitgen nickt zufrieden. „Wir haben alles gemeinsam so eingerichtet, dass es für alle passt.“

Was sie damit meint? Nirgendwo sonst im Land gibt es ein Fitnessstudio wie dieses.

Design für alle

„Gutes Design befähigt – schlechtes Design behindert.“ Mit diesem Zitat von Paul Hogan, Gründungsmitglied des „Institute for Design and Disabilty“, fasst Pete Kercher Mitte Juni im Amphitheater des CHL das Credo seiner Organisation zusammen. Er ist als Botschafter des „EIDD – Design for All Europe“ (ursprünglich „European Institute for Design and Disability“) in Luxemburg, ein ursprünglich europäisches Netzwerk, das 1993 gegründet wurde mit inzwischen 44 Mitgliedsorganisationen aus rund 20 europäischen und einigen außereuropäischen Ländern. „Wir werden ‚Europa‘ im Laufe des Jahres auch aus unserem Namen streichen“, sagt Kercher, während seines Vortrags „Designing for Diversity“. Ziel des Netzwerks ist die Umsetzung von inklusivem Design. Gebäudezugänge, Räume, aber auch Produkte und Dienstleistungen sollen so gestaltet werden, dass sie von möglichst vielen Menschen unabhängig von Alter, körperlichen Voraussetzungen oder Herkunft genutzt werden können. Dazu bringt EIDD Menschen aus Architektur, Design, Sozialpolitik und anderen Bereichen zusammen, um den Austausch zu fördern und konkret wirksame Projekte zu realisieren.

„Design for All ist Gestaltung für menschliche Vielfalt, soziale Inklusion und Gleichberechtigung“, steht auf einer Folie seiner Präsentation. Aber was ist damit konkret gemeint? Eine Gestaltung aller öffentlichen Bereiche, die an möglichst viele Menschen, die darin leben, angepasst ist. Bei dieser Designphilosophie wird Inklusion als erster Schritt in der Planung und nicht als nachträglicher Zusatz gesehen. Sie soll also keine Erweiterung dessen, was bereits da und nicht barrierefrei ist, sein. Ein Negativ-Beispiel sind Treppen, über die Rampen oder zusätzliche Schienen, gebaut werden. Oft so steil, dass sich alle, die daran vorbeigehen können, fragen, wie zur Hölle Menschen, die sich im Rollstuhl fortbewegen jemals diesen Weg unfallfrei benutzen können. Die Anpassung im Sinne des Design for All beginnt bereits mit der Planung. Statt Treppenrampen werden rollstuhlgerechte geschlängelte Wege zum Eingang gebaut, die von allen benutzt und in ihren Windungen noch begrünt werden können. „Nur weil ein Design alters- oder behindertengerecht ist, heißt das noch lange nicht, dass es unattraktiv sein muss“, so Kercher.

Inklusion im Sport

„Jede*r ist willkommen“ – Das Team von Iron Sparks lebt Inklusion im Sport. (Foto: Claire Faber)

Inklusion und Barrierefreiheit sollen sich als Haltung in alle Bereiche übertragen. „Ich bin der Stein, der in den See geworfen wird und im Wasser Wellen schlägt“, beschreibt er seine Rolle. Er sieht sich und die Arbeit von EIDD als Inspirationsgeber und nicht als Lieferer für Lösungen – denn in punkto inklusives Design gibt es keine vorgefertigten Lösungen und keine Guidelines, die für alle passen. Inklusive Lösungen müssen individuell für die jeweilige Region für und mit den jeweiligen Nutzer*innen entwickelt werden. Was heißt das für den Sportbereich? Pete Kercher nennt in seinem Vortrag zwei Bereiche, auf die es für eine Inklusion im Sport ankommt. Die „Hardware“ wie Halle, Equipment und Umgebung auf der einen, die „Software“, also konkrete Angebote und Programme auf der anderen Seite.

Das Functional Fitness Gym Iron Sparks ist ein gelungenes Beispiel für beides. Nachdem die Halle gefunden war, fingen Sybille Blitgen und ihre Mitstreiter*innen mit der Gestaltung an. Der Eingangsbereich wurde weiß gestrichen, die Geräte so platziert und verschraubt, dass möglichst viele der Sportler*innen sie ohne Probleme benutzen können. „Ein Gruppenmitglied hat eine starke Sehbeeinträchtigung, daher haben wir unser Material mit weißem Tape besser sichtbar gemacht, um die Nutzung für sie zu erleichtern“, nennt Mandy Loes ein Beispiel. Kontrastreiches Design, das für Menschen mit Sehbeeinträchtigungen (und nicht nur für diese) einfacher wahrzunehmen ist.

Auch das Fitnessprogramm an sich erweist sich als erstaunlich flexibel. Functional Fitness, das funktionelle Bewegungen aus Bereichen wie Gewichtheben, Gymnastik und Cardio miteinander kombiniert, ist mit etwas Fantasie und dem richtigen Equipment individuell so anpassbar, das jede*r am Gruppenprogramm teilnehmen kann. Letztes Jahr haben Mandy Loes und Sybille Blitgen für ihr inklusives Angebot den Preis „Zesumme fir Inklusioun“ vom gleichnamigen Verein erhalten. Dafür, dass sie ein Gym, „in dem jede Person willkommen geheißen und wertgeschätzt wird“ ins Leben gerufen haben, so die Vereinspräsidentin Martine Kirsch als Begründung. Der Preis, sowie ihr Engagement für ein inklusives Sport- event, den „Iron Showdown“ (siehe Kasten), brachte mediale Aufmerksamkeit, die in der Sportwelt nicht unbeachtet blieb. „Tom Habscheid, der im vergangenen Jahr eine Medaille für Luxemburg bei den Paralympischen Spielen gewonnen hat, trainiert ebenfalls bei uns – deshalb haben wir unser Materialangebot erweitert“, sagt Mandy Loes und zeigt auf einen Bereich etwas weiter hinten. Dort liegen Truckreifen, schwere Kugeln und baumstammförmige Gewichte: das perfekte Equipment für ein „Strongman“-Training, eine Kraftsportart, bei der ungewöhnliche Gewichte zum Einsatz kommen. Etwa durch das Umwerfen von Traktorreifen, das Anheben von Steinkugeln oder das Tragen schwerer Lasten über eine bestimmte Strecke.

Investition in die Zukunft

(Foto: Daniel Ali/Unsplash)

Einer der meistgenannten Gründe, weshalb Städte und Gemeinden die Umsetzung von „Design for All“-Konzepten scheuen, ist die Angst vor einer hohen Rechnung. Ist das nicht alles viel zu teuer? Eine Art zu denken, die für Pete Kercher mittel- und langfristig nicht aufgeht. „Wir verschwenden Geld in der Zukunft. Wir sehen, wie unsere Gesellschaften altern – wir können es uns nicht leisten, kurzsichtig zu handeln.“ Für eine Besserung müsse vor allem an zu starrem Behördendenken gerüttelt werden. „Die Denkweise der Gesundheitsversorgung muss verschoben werden. Weg von Behandlung hin zu Prävention.“ Neben einem Bewegungs- und Sportangebot, an dem alle teilhaben können und dies auch gerne tun, zählten auch eine klima- und naturfreundliche Umgebung und die Stärkung des sozialen Zusammenhalts dazu.

In Luxemburg engagieren sich verschiedene Organisationen für inklusive und gesundheitsfördernde Sportangebote. Eine von ihnen ist die „Œuvre nationale de secours Grande-Duchesse Charlotte“, die diesen Bereich zu ihren Förderschwerpunkten zählt und durch Mittel der Nationallotterie finanziert wird. Die Œuvre war Veranstalterin des Vortrags von Pete Kercher und förderte auch die neue Halle von Iron Sparks. „Inklusion im Sport bedeutet für uns nicht nur barrierefreie Zugänge, sondern eine Haltung: Sport soll für alle zugänglich sein – unabhängig von körperlichen Voraussetzungen, Alter oder Herkunft“, sagt Emile Lutgen, Direktor der Œuvre. „Ein gutes inklusives Design ermöglicht Teilhabe von Anfang an – durch Räume, Angebote und Prozesse, die auf Vielfalt ausgelegt sind. Das betrifft bauliche Aspekte ebenso wie Kommunikation, Trainingsmethoden oder soziale Zugänglichkeit.“

Soziale Zugänglichkeit und Zugehörigkeit, seit Beginn des Projektes Iron Sparks auch für Mandy Loes und Sybille Blitgen ein Fokus. „Es geht ja nicht nur darum, dass hier alles barrierefrei erreichbar ist,“ sagt Sybille Blitgen zum Abschied. Mit der neuen Halle gäbe es nun genügend Raum, um außerhalb des Trainings gemeinsam Zeit zu verbringen. Das sei schließlich das Entscheidende: Jede*n willkommen zu heißen mit dem Sportangebot – aber auch unabhängig davon.

Iron Showdown 2025 – Inklusiver Functional-Fitness-Wettkampf

Am 5. und 6. Juli findet im Artikuss in Zolwer zum zweiten Mal der „Iron Showdown“ statt – ein inklusiver Wettkampf im Bereich Functional Fitness, organisiert vom Verein Iron Sparks. Letztes Jahr nahmen 173 Athlet*innen aus sieben Nationen teil, aufgeteilt in 15 verschiedene Divisionen, angepasst an individuelle Voraussetzungen, wie z. B. Mobilitätseinschränkungen oder Sehbehinderungen. Der Wettkampf versteht sich als Beitrag zu mehr Sichtbarkeit und Teilhabe im Sport. Neben dem sportlichen Anspruch steht die Begegnung unterschiedlicher Menschen im Vordergrund.


Cet article vous a plu ?
Nous offrons gratuitement nos articles avec leur regard résolument écologique, féministe et progressiste sur le monde. Sans pub ni offre premium ou paywall. Nous avons en effet la conviction que l’accès à l’information doit rester libre. Afin de pouvoir garantir qu’à l’avenir nos articles seront accessibles à quiconque s’y intéresse, nous avons besoin de votre soutien – à travers un abonnement ou un don : woxx.lu/support.

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?
Wir stellen unsere Artikel mit unserem einzigartigen, ökologischen, feministischen, gesellschaftskritischen und linkem Blick auf die Welt allen kostenlos zur Verfügung – ohne Werbung, ohne „Plus“-, „Premium“-Angebot oder eine Paywall. Denn wir sind der Meinung, dass der Zugang zu Informationen frei sein sollte. Um das auch in Zukunft gewährleisten zu können, benötigen wir Ihre Unterstützung; mit einem Abonnement oder einer Spende: woxx.lu/support.
Tagged , , , , .Speichere in deinen Favoriten diesen permalink.

Die Kommentare sind geschlossen.