IPCC-Bericht für globale Wende: Grüner und gerechter

Alarmierende Schlagzeilen nach einem Klimabericht, das ist nicht neu. Das jüngste IPCC-Dokument setzt wichtige Akzente. Doch der Krieg in der Ukraine wirft neue Fragen auf.

Energiewende, Umstellung auf Ökostrom – die Erde bleibt trotzdem zerbrechlich. (Pixabay; PIRO4D)

Die Maßnahmen für Klimaschutz reichen nicht aus, es bleibt uns ein schmales Zeitfenster, um zu handeln, die Auswirkungen des Klimawandels nehmen sich schon jetzt aus wie ein Katastrophenfilm, wir müssen dringend aus den fossilen Energien aussteigen … Die vom Climate Action Network gesammelten Reaktionen von NGOs auf den jüngsten Bericht des Weltklimarates (IPCC) klingen alarmierend. Am 28. Februar wurde der Teilbericht der Arbeitsgruppe 2 veröffentlicht, der sich mit den Folgen des Klimawandels und die Anpassung daran befasst.

Es kommt noch schlimmer

Zur Erinnerung: Im August 2021 war der nicht minder alarmierende Teilbericht zu den geophysikalischen Klimaveränderungen erschienen – die Ergebnisse des Klimagipfels im November waren dennoch recht mager. Ende März soll der dritte und letzte Teilbericht des etwa alle sechs Jahre erscheinenden Sachstandsberichts veröffentlicht werden, mit Empfehlungen für die Abmilderung (mitigation) des Klimawandels.

Sich einen Überblick über den Inhalt dieser mehrere tausend Seiten umfassenden Dokumente zu verschaffen, ist nicht einfach (eine gute Zusammenfassung auf Englisch gibt es von CarbonBrief). Im zweiten Teilbericht, der die Brücke zwischen Geophysik und Umwelt- sowie Humanwissenschaften schlägt, stehen unter anderem die Interaktionen zwischen Klimawandel und nachhaltiger Entwicklung im Vordergrund. Dabei wird klar, wie dramatisch die Auswirkungen bereits heute sind. Selbst bei einer erfolgreichen Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad wären 9 Prozent aller Arten akut vom Aussterben bedroht. Das ist nicht viel weniger als bei 2 Grad, wie wir bereits 2018 bei der Veröffentlichung des 1,5-Grad-Sonderberichts angemerkt hatten. Dennoch macht jeder Zehntelgrad einen Unterschied, sowohl aufgrund der Unsicherheiten als auch weil die Auswirkungen auf die Lebensbedingungen der Menschen erheblich sein können. So hält der zweite Teilbericht fest, dass klimatische Risiken eine Verstärkung für Fluchtbewegungen, Umsiedlungen und gewaltsame Konflikte sein können.

Der Krieg in der Ukraine wird im über Jahre hinweg erarbeiteten Dokument natürlich nicht aufgegriffen. Manche Reaktionen auf den Bericht befassen sich allerdings mit der Rolle Russlands als Gas- und Erdöllieferant und einer möglichen Wende in der Energiewirtschaft … oder anderen klimapolitischen Konsequenzen. Verständlich, denn eigentlich sind viele der im Bericht aufgegriffenen Themen wie Dringlichkeit und Ausmaß der Bedrohung alles andere als neu. Der Eindruck, die Reaktionen auf den zweiten Teilbericht seien nur eine Pflichtübung in Sachen Ermahnung, ist aber nur teilweise richtig. Neu ist insbesondere, dass die Verbindung zwischen der bis heute erfolgten Erderwärmung und den meteorologischen und sozialen Folgen erstmals in ihrer ganzen Breite wissenschaftlich belegt wurde. Die deutliche Warnung vor dem Preis eines Overshoots hat es ebenfalls so noch nicht gegeben: 1,5 Grad während mehrerer Jahre zu überschreiten, würde substanzielle zusätzliche Schäden für Natur und Mensch bedeuten.

Grüne Städte für alle!

Ein Konzept, das in der Klimaforschung immer stärkere Beachtung findet, ist das der naturbasierten Lösungen. Dabei geht es nicht um Baumplantagen, die CO2 auf „natürliche“ Weise speichern sollen, sondern um den Erhalt oder die Schaffung von umfassenden Ökosystemen, die sowohl dem Klima als auch der Biodiversität und der lokalen Bevölkerung zugutekommen. Diese Herangehensweise hebt sich deutlich ab von den in der Vergangenheit favorisierten, technikzentrierten Lösungen, die häufig auf Greenwashing hinauslaufen und grundsätzlich den Graben zwischen Nord und Süd noch vertiefen. Die Arbeitsgruppe 2 warnt aber vor schlecht konzipierten „naturbasierten“ Projekten, deren Nebenwirkungen auf Kosten der lokalen Bevölkerung gehen. Auch könnten sie kein Ersatz sein für die dringend notwendigen Emissionssenkungen. Bei dem im Bericht empfohlenen Erhalt eines naturnahen Zustandes auf bis zu 50 Prozent der Erdoberfläche und Ozeane stellt sich die Frage, wie weit der Norden sich hier vom globalen Süden „aushalten“ lässt.

Interessant sind auch die Ausführungen zur fortschreitenden Urbanisierung als Risiko und Chance zugleich. Grundsätzlich können Städte durch eine Siedlungsverdichtung den Landverbrauch senken und durch Skaleneffekte die Energie- und Ressourceneffizienz erhöhen. Doch laut Bericht sind sie auch besonders verwundbar: Werden sie schlecht geplant und verwaltet, so führt soziale Ungleichheit zu einem „adaptation gap“ (Anpassungslücke) zwischen reichen und armen Vierteln. Eine Begrünung privilegierter Stadtteile kann zum Beispiel zu vermehrtem Wasserverbrauch auf Kosten der Bevölkerung in den Vororten gehen.

Dass die Gerechtigkeitsfrage im Bericht zum Thema Adaptation (Anpassung) immer wiederkehrt, ist wenig verwunderlich. Gewiss, alle Menschen sitzen im selben Boot namens „Terra“, doch die Folgen des Klimawandels treffen nicht alle im gleichen Maße. Mehr noch als die geografischen führen die wirtschaftlichen Unterschiede dazu, dass das Oberdeck die Folgen des Klimawandels bisher recht gut bewältigen kann. Das Unterdeck dagegen bleibt sich selbst überlassen. Zwar wurden die grünen Nord-Süd-Finanzflüsse verstärkt, doch sie dienen vor allem dem präventiven Klimaschutz – nur fünf Prozent dieser Flüsse können der Adaptation, also dem Schutz vor dem Klimawandel zugeordnet werden. Außerdem wird die Forderung einer Haftung der Industrieländer für die Schäden im globalen Süden („Loss and damage“) immer noch auf die lange Bank geschoben – so haben die USA darauf hingewirkt, dass im vorliegenden Bericht dieser Aspekt möglichst wenig präsent ist.

Eine der direktesten Bedrohungen für die ärmeren Länder und Bevölkerungsgruppen stellt die Nahrungsmittelverknappung im Zuge des Klimawandels dar. Eine Fülle von Forschungsergebnissen belegt, dass die Ernteerträge der wichtigsten Nutzpflanzen schneller zurückgehen werden, als bisher erwartet. Die sich anhäufenden Konsequenzen von Wetterextremen „haben für Millionen von Menschen den Zugang zu Nahrung und Wasser gefährdet“, heißt es in der IPCC-Pressemitteilung zum Bericht. Im globalen Norden könnte eine Nahrungsmittelverknappung als Argument missbraucht werden, um die überfällige Abkehr von der intensiven Landwirtschaft wieder in Frage zu stellen.

Krieg und Klimaschutz

Hier kommt auch der Krieg in der Ukraine ins Spiel. Etwa ein Viertel der weltweiten Weizenexporte kommen aus Russland und der Ukraine, erfährt man in einem CarbonBrief-Beitrag über die Folgen des Kriegs. Bereits zuvor hatten die globalen Preise für Nahrungsmittel ein zehnjähriges Rekordhoch erreicht, als besonders exportabhängig gelten die Länder Afrikas und des Mittleren Ostens. Im Zuge der Kriegshandlungen und der Sanktionen gegen Russland könnten die Preise weiter drastisch ansteigen. Bisher wurden allerdings Zahlungen für landwirtschaftliche Produkte, wie auch für Energieträger, bei den Sanktionen ausgeklammert.

Ein weiterer Preisanstieg bei den Brennstoffen würde die Inflation anheizen, etwas, das die westlichen Länder vermeiden wollen. Bereits jetzt dürfte es in vielen Ländern kaum mehr politischen Spielraum für höhere Energietaxen geben – eine schlechte Nachricht für den Klimaschutz. Andererseits hoffen viele Umweltbewegte darauf, dass die Preissignale und der Wunsch nach energetischer Unabhängigkeit in Europa die Investitionen in erneuerbare Energien und Energieeffizienz beflügeln werden. Eine sachlich nicht unbegründete Hoffnung, sind doch solche Maßnahmen schneller umzusetzen als beispielsweise die Erschließung lokaler fossiler Energien. Andererseits wurde in den vergangenen Monaten massiv russisches Gas durch per Schiff importiertes US-Schiefergas ersetzt – nicht wirklich eine ökologische Wende.

Ein am Montag veröffentlichtes Kommuniqué der CSV zum Krieg zeigt, wohin die Reise gehen könnte: Statt auf die erneuerbaren Energien als Win-win-Lösung zu setzen, geht die Rede vom „Spagat zwischen den gesteckten Klimazielen und der visierten Energieunabhängigkeit“, der in einer „technologieoffen geführten“ Diskussion bewältigt werden soll. Außerdem schließen die Christlich-Sozialen aus Russlands Aggression, dass eine substanzielle Erhöhung des Verteidigungsbudgets fällig wäre. Eine klare Absage an die traditionelle Forderung von Friedens- und Klimabewegung, das für die Transition notwendige Geld insbesondere beim Militärhaushalt einzusparen.

Doch statt einer Energietransition steht die Welt ja möglicherweise vor einer geostrategischen Transition. In erster Linie auf Sicherheit durch Stärke zu setzen, riskiert die Blockbildung zwischen West und Ost zu beschleunigen. Der Zusammenbruch der internationalen Beziehungen, der für viele vom Krieg schockierte Menschen akzeptabel oder notwendig scheinen mag, bereitet allerdings einem Klimadiplomaten wie John Kerry große Sorgen. Noch vor Kriegsausbruch sprach er auf der Münchner Sicherheitskonferenz über Klimaschutz und internationale Beziehungen. Die Zeit für Maßnahmen werde knapp und die Ukrainekrise könne die gemeinsamen Anstrengungen zum Klimaschutz in Frage stellen. Doch ohne Russland, China und andere Schwellenländer sei die Begrenzung des Temperaturanstiegs nicht zu erreichen.

www.ipcc.ch/report/ar6/wg2

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