Schulterklopfen und Schuldzuweisungen – die COP26 war erfolgreich, und wo nicht, sind die anderen schuld. Eine Interpretation, die hinterfragt gehört.

Wortspiel gegen das trostlose „Blablabla“. Spruchband an der Umzäunung der semi-offiziellen „grünen Zone“ (Foto: Cédric Reichel)
Am vergangenen Samstag endete die Klimakonferenz in Glasgow mit Tränen. Es waren keine Freudentränen der Delegierten über einen erfolgreichen Abschluss, sondern die Reaktion des britischen COP-Präsidenten Alok Sharma auf eine von Indien eingeforderte letzte Textänderung: Statt „Kohleausstieg“ („coal phase out“) steht nun im Schlussdokument der Konferenz nur noch „Reduzierung der Kohleenergie“ („phase down“). Die Tränen sind getrocknet, und mittlerweile bezeichnet Sharma, im Einklang mit Premierminister Boris Johnson, die Ergebnisse der COP26 als eine „historische Leistung“. Den beiden Regierungen, die den Schlussdeal fast zu Fall gebracht hätten, hat er nicht verziehen: China und Indien würden sich rechtfertigen müssen gegenüber den besonders vom Klimawandel betroffenen Ländern.
„Es war eine gute COP, aber Indien ist schuld, dass das Ergebnis wieder ein bisschen schlechter wurde.“ So könnte man die Botschaft großer Teile der westlichen Medien und Politik zusammenfassen. Das passt zur Vorstellung eines tugendhaften Westens, den ein paar rücksichtslose Großmächte im Osten daran hindern, die Welt zu retten, doch es entspricht nicht der Realität. Es ist nicht in erster Linie die auf Wunsch Indiens verwässerte – und bereits zuvor vage – Aussage zur Kohle, die eine Begrenzung des Temperaturanstiegs infrage stellt, sondern die Summe der weltweit unzureichenden nationalen Ziele für die CO2-Emissionssenkungen.
Ging es um die Kohle …
Auch der Vorwurf, eigentlich habe China diesen Verwässerungsvorschlag in letzter Minute gemacht, um die Verhandlungspartner auszutricksen, ist wenig plausibel. Bereits drei Tage zuvor war der Ausdruck „phase down“ in der viel gelobten gemeinsamen US-chinesischen Erklärung aufgetaucht, wie der Guardian hervorhebt. Der Beitrag „India criticised over coal at Cop26 – but real villain was climate injustice“ verdeutlicht, welche Herausforderung es für den globalen Süden ist, Entwicklung und Klimaschutz miteinander zu vereinbaren. Außerdem wird die Frage aufgeworfen, warum der Schlusstext den Ausstieg aus der Kohle thematisiert, nicht aber aus fossilen Energien im Allgemeinen: vielleicht, weil Kohle mehr verschmutzt, vielleicht aber auch, weil der globale Norden mittlerweile größtenteils nur noch Öl und Gas benötigt …
Das Ergebnis der COP26 sei „eine Mischung guter Elemente gewesen, die in allerletzter Minute von zwei Ländern heruntergezogen wurde“, behauptete auch Carole Dieschbourg auf 100,7. Das 1,5-Grad-Ziel sei gestärkt worden ebenso wie die Solidarität mit den Entwicklungsländern, versicherte die Umweltministerin. Ihr Zweckoptimismus kann aber nicht verbergen, dass diese Klimakonferenz es nicht geschafft hat, einen Weg zu einer Erwärmung unter 1,5 Grad zu zeichnen. Derzeit laufen die Szenarien auf Werte oberhalb von zwei Grad hinaus – in Glasgow einigte man sich gerade mal darauf, es bei der COP27 noch einmal zu versuchen. Wenn das, wie Dieschbourg und andere verkünden, 1,5 Grad „am Leben hält“, dann fragt man sich, welcher Konferenzausgang das Ziel überhaupt hätte „killen“ können.
Der Entwurf für einen Schlusstext vom 10. November wurde allerdings in ein paar Punkten leicht verbessert. So werden die Staaten aufgefordert, für Ende 2022 und 2023 ihre Zusagen für Emissionssenkungen (Nationally Determined Contributions, NDCs) zu erhöhen. Eine Entscheidung, die NDCs im Jahres- statt im Fünf-Jahres-Rhythmus anzupassen, wie von manchen gefordert, gab es nicht – nur die NDC-Berichte sollen jährlich Informationen über die Abweichung vom 1,5-Grad-Ziel liefern. Im gleichen Kapitel ist der Bezug auf das Jahr 2100, der den Verdacht genährt hatte, man wolle 1,5 Grad überschreiten, um sie dann irgendwann wieder zu erreichen, verschwunden.
… oder um die „Kohle“?
Befragt nach einer Nachbesserung in diesem Sinne bei den luxemburgischen Klimazielen gab sich Dieschbourg ausweichend: „Luxemburg war bereits vor Glasgow auf einem ehrgeizigen Weg“. Sie verwies auf das Observatoire du climat und den Klima-Biergerrot, die Nachbesserungen einfordern könnten. Allerdings dürfe man die Menschen nicht überfordern und zu schnell vorangehen, sondern müsse die Verbesserungen beschließen, zu denen sie bereit seien, so die grüne Ministerin. Der Mouvement écologique sieht das anders: In einer Reaktion auf das „äußerst ernüchternde“ COP-Ergebnis wird die Regierung aufgefordert, nach den „schönen Reden“ auf dem internationalen Parkett nun vor Ort konsequent zu handeln. Fünf Instrumente will der Méco in den Fokus rücken, von der Abschaffung schädlicher Subventionen bis zur ökologischen Steuerreform.
Auch Dieschbourgs Aussagen zur Nord-Süd-Klimafinanz bleiben nicht unwidersprochen: „Was die COP26 zu Loss and Damage beschlossen hat, ist extrem enttäuschend“, sagt Cédric Reichel von der Action Solidarité Tiers Monde (ASTM). Im Schlusstext wird zwar die Dringlichkeit unterstrichen, mehr Mittel für die Abwendung und Kompensation von Klimaschäden zu mobilisieren, doch über einen Finanzierungsmechanismus soll nur „diskutiert“ werden. Mit Dieschbourg als einer der COP26-Koordinatorinnen für diesen Bereich habe man auf konkrete Beschlüsse in diesem Jahr gehofft, so Reichel, und fügt hinzu, die Ministerin sei wohl selber enttäuscht.
Der ASTM-Vertreter hat vor allem an der alternativen COP teilgenommen und berichtet von den Unterschieden zur „blauen Zone“: Dort hätten bei den offiziellen Verhandlungen die Vertreter*innen der Indigenen wie Exot*innen gewirkt, wohingegen bei Ereignissen wie dem People’s Summit es sie waren, die als Betroffene im Vordergrund standen. Dieschbourg hatte hingegen versichert, die COP26 sei sehr inklusiv gewesen und man habe die Stimmen der Zivilgesellschaft durchaus gehört.
Von der COP auf die Füße
„Irgendwie hat man auf beiden Seiten ein Gefühl von Ohnmacht und Verzweiflung gespürt“, beschreibt Reichel seine Eindrücke. Bei der Klimabewegung, weil sie kaum ernstgenommen wurde und nicht auf die Verhandlungen einwirken konnte, aber auch bei den offiziellen Delegierten in der blauen Zone, weil die vermeintlichen technischen Lösungen den Klimawandel nicht stoppen können. Die Mobilisierung, die täglichen Proteste und die Begeisterung in der Zivilgesellschaft hätten ihm aber Hoffnung gemacht, so der ASTM-Vertreter.
Ob die COPs in den Augen der Klimabewegung überhaupt noch einen Sinn haben? Reichel verweist auf eine Vielfalt von Meinungen, er persönlich würde aber nicht sagen, am besten keine COP mehr. „Solange es keine Alternative gibt, wo soll man sonst diskutieren und mit den Medien kommunizieren?“ Der Abgang der Delegierten nach der People’s Plenary am letzten Tag sei so bewegend gewesen, erzählt Reichel, mit Sprechchören und einem symbolischen Verlassen der „illegitimen“ Klimakonferenz – „aber ohne COP hätte es das nicht gegeben“.
Unterm Strich sind es nicht die durchwachsenen Ergebnisse der COP26, die enttäuschen, sondern die Tatsache, dass es angesichts der Dringlichkeit einfach zu wenig und zu langsam vorangeht. Außerdem steht – unter Berufung auf die Naturwissenschaften – die Senkung der Emissionen immer noch im Vordergrund, die Nord-Süd-Finanz wird als Nebenthema behandelt. Doch die schlechten Erfahrungen mit technik- und marktbasierten Lösungen und die berechtigten Forderungen des Südens nach Entwicklungsperspektiven lassen die Rufe nach einem Global Green New Deal als Antwort auf die Klimakrise lauter werden.
Herrschte bei der COP26, wie Dieschbourg versichert, ein Geist des Anpacken-Wollens, war Glasgow „besser“ als zuvor Katowice und Madrid? Vielleicht, doch einen Paradigmenwechsel hat es nicht gegeben, auch sie selber stellt immer noch die Emissionssenkungen über die Entwicklungsperspektiven. Die COP27 und 28 müssten jedenfalls noch viel „besser“ werden. Sie finden statt im Luxus-Badeort Sharm el-Sheikh (Ägypten) und in der Ölmetropole Abu Dhabi (Vereinigte Arabische Emirate). Es dürfte nicht einfach werden.