Joghurtfabrik und Nachhaltigkeit: Blick über den Becherrand

Viele Argumente werden gegen die geplante Joghurtfabrik ins Feld geführt, doch die großen Zusammenhänge werden oft ausgeblendet.

„Milchfabriken“ verbrauchen mehr Wasser als Joghurtfabriken. (Foto: Wikimedia; Thomas Fries, cc-by-sa-3.0 de)

Wie viel Wasser benötigt man für einen Becher Joghurt? Gar keines, denn Joghurt wird aus Milch gemacht; mehrere hundert Liter, das ergibt die Berechnung des Wasser-Fußabdrucks; ein bis zwei Liter, wenn man die angekündigte Jahresproduktion der Fage-Fabrik durch den angekündigten Wasserverbrauch dividiert. Jede der drei Antworten ist auf ihre Weise richtig und kann zu einem besseren Verständnis der Debatte über die Ansiedlung einer griechischen Joghurt-
fabrik in Luxemburg beitragen.

Globales „Produit du terroir“?

Nicht ohne Ironie hatten wir in der Nummer 1593 die harsche Kritik von natur & ëmwelt als „Wasserkrieg in Luxemburg“ charakterisiert, in Anlehnung an die „Guerra del agua“ vor 20 Jahren in Bolivien, bei der die lokalen Wasserressourcen vor dem Zugriff des internationalen Kapitals bewahrt wurden. Auch der Mouvement écologique hat im August im Rahmen der Kommodo-Prozedur Einspruch gegen die Fage-Anlage eingelegt. Beide NGOs betrachten den hohen Trinkwasserverbrauch, vergleichbar dem einer Kleinstadt, als inakzeptabel. Der Mouvement argumentiert gar mit einer bereits 2021 drohenden nationalen Wasserknappheit – Grund genug also, der griechischen Firma den Wasserkrieg zu erklären.

Weitere Kritikpunkte betreffen die Art, wie Fage vom Wirtschaftsministerium privilegiert wurde: Verkauf statt Vermietung des Grundstücks, Finanzierung der ökologischen Kompensationsmaßnahmen für den Landverbrauch, Bau eines Abwasserkanals. Das durch die Anlieferung von Milch und die Auslieferung von Joghurt entstehende Verkehrsaufkommen wird vor allem von der Regionale Süd des Mouvement thematisiert. Außerdem, da sind sich die NGOs einig, sei das Fage-Projekt den Zielen der nachhaltigen Entwicklung diametral entgegengesetzt, unter anderem der Regionalisierung der Versorgung mit Lebensmitteln.

Eine besonders blumige, aber auch stachelige Kritik hat der ehemalige grüne Abgeordnete und Ex-woxx-Redakteur Robert Garcia in einem Meinungsbeitrag im Lëtzebuerger Land formuliert. Über die bereits erwähnten Aspekte hinaus befasst er sich mit den Konsequenzen der „Delokalisierung einer Industrieanlage in einer der wirtschaftlich schwächsten Regionen der EU“. Dass der von Fage hergestellte Joghurt stattdessen bald das Luxemburger „Produit du terroir“-Label erhalten werde, tröstet Garcia nicht darüber hinweg, dass Millionen von Joghurtbechern exportiert werden sollen. Die wären nicht von der Anti-Plastik-Strategie der Regierung betroffen, insofern sie in den Mülltonnen anderer Länder Europas landen würden, sodass sich „der Regierungs-Judas die Hände in Unschuld waschen kann“.

Wachstum oder Wende?

Die klassische Gegenargumentation ist bekannt: Luxemburg braucht wirtschaftliche Diversifizierung und Industrie, kein Land kann es sich heutzutage leisten, bei der Ansiedlung von Firmen allzu wählerisch zu sein, und ohne Wachstum wird die Arbeitslosigkeit weiter ansteigen. Mit anderen Worten: Die ökologische Krise sehen die Fage-Enthusiast*innen als Nebenproblem, die ökonomischen Sachzwänge als die wahre Herausforderung an.

Die Gegensätze in der Fage-Debatte sind bei keinem Aspekt so unüberbrückbar wie beim Thema Wachstum. Offener als manche NGOs bejaht Garcia, dass das Wachstum im traditionellen Sinn gegen Null tendiere. Fage abzulehnen, weil Wachstum abzulehnen ist, läuft darauf hinaus, sich fast jeder größeren Betriebsansiedlung zu widersetzen und Schließungen, wie dieser Tage bei Luxguard, zu begrüßen. Für die „frei gewordenen“ Arbeitnehmer*innen lässt sich auf die demnächst stattfindende „ökologische Transition“ verweisen, die neue Arbeitsplätze schaffen wird.

Es ist weniger dieses radikale Engagement als die undifferenzierte Argumentation der Fage-Kritiker*innen, die Fragen aufwirft. Was soll man von der Aussage des Vizepremiers François Bausch halten, der die Joghurtfabrik ablehnt und darauf verweist, dass sie ja nur Arbeitsplätze für „die Grenzgänger“ schafft? Was sind seine Kriterien, wenn er bei der nächsten Frage im Paperjam-Interview das verkorkste Projekt eines Militärsatelliten als „nützlich für Luxemburg“ verteidigt?

Andere Kritikpunkte sind durchaus gewichtig, wie der des Wasserverbrauchs. Doch die Lage ist weniger dramatisch, als sie dargestellt wird: Wahr ist, dass es 2021 zu einem Versorgungsengpass kommen könnte – bis dahin ist die Fabrik aber kaum voll in Betrieb. Und danach steht mit der neuen Aufbereitungsanlage für Wasser aus dem Stausee genug Kapazität für ein bis zwei Jahrzehnte zur Verfügung. Leider erweckt die Betonung der quantitativen Probleme bei der Diskussion über die Wasserversorgung den Eindruck, die qualitativen Probleme seien gering, obwohl sie in Luxemburg die größere Herausforderung darstellen (online-woxx: Unser Wasser, lokal und global).

Alzette- und Amazonaswasser

Vernachlässigt wird auch die globale Dimension der Lebensmittelproduktion. Verständlich ist, dass Umweltfreund*innen Bauchschmerzen bekommen, wenn die kostbare und lebenswichtige Ressource Wasser via Joghurtproduktion sozusagen in alle Welt exportiert wird. Doch hier kommt der Fußabdruck ins Spiel: Die von Fage verbrauchten paar Liter pro Becher sind wenig, wenn zur Erzeugung der in der Joghurtproduktion verwendeten Milch mehrere hundert Liter benötigt werden. Dabei geht es nicht darum, wie viel eine Kuh trinkt, sondern um das Wasser, das bei der Erzeugung ihres Futters zum Einsatz kommt – ohne große Unterschiede zwischen Luxlait- und Fage-Milch. Zwar kommt dieses virtuelle Wasser nicht aus der Sauer oder der Alzette, doch eigentlich sollte der Wasserverbrauch im globalen Süden ganzheitlich denkenden Menschen noch mehr Bauchschmerzen bereiten.

Der Blick über den Rand des Joghurtbechers sollte sich auch dem Fage-Skandal zuwenden, der seit acht Jahren andauert und wenig beachtet wird: 2012 hat die Firma ihren Sitz von Griechenland nach Luxemburg verlegt – aus steuerlichen Gründen –, und nicht weil sie die Produktion verlegen wollte. Ein Paperjam-Beitrag deutet darauf hin, dass Fage die lokalen Steuervorteile nicht gereicht haben und sie mit zweifelhaften Methoden – nicht existierende Beratungstätigkeiten – ihren Gewinn verschleiert hat. Richtig ist allerdings, dass diese „Briefkästen-Industrie“ kein Wasser verbraucht, keine ausländischen Arbeitskräfte anzieht und nichts verschmutzt, weshalb viele Kritiker*innen – nicht aber Garcia – diesen Aspekt ignorieren. Oberflächlich betrachtet könnte man sogar zum Schluss kommen, die Joghurtfabrik stehe für eine schlechte Form des Wachstums, wohingegen der Steuerparasitismus des Fage-Briefkastens das „qualitative Wachstum“ repräsentiere.

Flickr; Esad Hajdarevic; CC BY 2.0

Neuanfang ohne Joghurt?

Wie nun umgehen mit einer Joghurtfabrik, die sicher nicht zur – bisher kaum erkennbaren – „grünen Wende“ Luxemburgs beiträgt, die aber auch nicht die einzigartige ökologische Katastrophe ist, als die sie von übermotivierten Kritiker*innen dargestellt wird? Beim Studium des Kommodo-Dossiers fällt auf, dass bei der Joghurtproduktion eigentlich sehr viel organisches Material – die Molke – nicht genutzt wird und aufwendig in einer Kläranlage abgebaut werden muss. Das ist vermutlich Stand der Technik bei der Joghurtproduktion – höchste Zeit, dass hier Lösungen im Sinne der Ressourceneffizienz gefunden werden. Für das Verkehrsaufkommen bei Fage dagegen ist die Lösung längst bekannt: eine Anbindung an das nahe gelegene Schienennetz, für die sich auch die Mouvement-Regionale Süd ausspricht.

Sollte die Fabrik in Griechenland statt in Luxemburg gebaut werden, wie Garcia es vorschlägt? Fakt ist, dass Fages größte Märkte mittlerweile nicht im Balkan, sondern im Westen Europas liegen und die Transportwege aus Griechenland lang sind. Eine Fabrik im zentral gelegenen Luxemburg erlaubt es also vermutlich, CO2 einzusparen – zumindest wenn man die Internationalisierung der Lebensmittelversorgung als gegeben hinnimmt. Andererseits ist eine Joghurtfabrik eigentlich nichts anderes als die Kehrseite der mit tausenden bunten Produkten aus aller Welt gefüllten Supermarktregale – Bioläden eingeschlossen.

Doch auch die Idee, sich dem Fage-Projekt zu widersetzen, weil es Teil eines globalisierten Wirtschaftsmodells ist, aus dem wir schnellstmöglich aussteigen wollen, hat etwas für sich. Glaubwürdig ist das allerdings nur, wenn mit der gleichen Vehemenz die bereits etablierten Komponenten dieses Modells ernsthaft in Frage gestellt werden: Die niedrigen Spritpreise als ökologische und transportpolitische Todsünde, der Findel in seiner internationalen Dimension, der Finanzplatz als Drehkreuz der Internationalisierung von Wirtschaftsmacht. Und, last but not least, bräuchten wir eine überzeugende Strategie, um die Warenregale mit großregionalen, ökologisch akzeptablen Produkten zu füllen. Umgekehrt gilt aber auch: Wenn wir damit leben können, dass dies alles kurzfristig unvorstellbar ist, dann können wir auch mit der Joghurt-
fabrik leben.


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