Méco gegen Fage (2/3): Relokalisieren, aber wen?

In seiner Stellungnahme zum Fage-Rückzug spricht sich der Mouvement écologique für Relokalisierung und „Gestaltung der Großregion“ aus. Der zweite Teil unserer Analyse ist dem Verhältnis Luxemburgs zum Rest der Welt gewidmet.

Luxemburg ist keine Insel … sondern ein Pol. (Wikimedia; EPei, Staatskanzlei des Saarlandes; CC BY-SA 3.0)

„Welche Schritte sind geboten, um – wie aufgrund der Covid-Pandemie angekündigt – den Wirtschaftsstandort resilienter zu gestalten und unabhängiger vom Weltmarkt?“ Die Forderung nach mehr „Unabhängigkeit“ hat man in den vergangenen Monaten häufig gehört: Belgien, Deutschland, ja, Europa soll unabhängiger werden vom Rest der Welt. Doch die Spielräume für die gewünschte Relokalisierung der wirtschaftlichen Aktivitäten sind für einen Kontinent, ein großes Land und einen Kleinstaat nicht die gleichen. Wo die EU sich theoretisch weitgehend vom Weltmarkt abkoppeln könnte, sind den Mitgliedstaaten bei der Deglobalisierung Grenzen gesetzt.

Einerseits gilt noch immer die These der Theoretiker*innen der wirtschaftlichen Spezialisierung, dass in verschiedenen Ländern verschiedene landwirtschaftliche Aktivitäten besonders effizient sind. Andererseits spielen bei Hochtechnologieprodukten Fixkosten und Infrastrukturen eine so große Rolle, dass es unökonomisch wäre, sie in jedem Land oder gar in jeder Region für den lokalen Verbrauch herzustellen. Mit anderen Worten, es ist keine Fehlentwicklung, dass Hochleistungs-Mikroprozessoren aus Taiwan und Spezialreifen aus Colmar-Berg Reifen in die ganze Welt exportiert werden.

Beatmungsmaschinen made in Luxembourg?

Richtig ist, dass bei Hochtechnologieprodukten eine Relokalisierung auf kontinentaler Ebene möglich ist. Außerdem wurde die Produktion vieler einfacher Industrieprodukte nicht wegen der volkswirtschaftlichen Effizienz delokalisiert, sondern aus betriebswirtschaftlichen Gründen, insbesondere der Attraktivität niedriger Lohnkosten. Künftig ein paar Fabriken für Beatmungsmaschinen in Europa zu haben und viele, die FFP2-Partikelfiltermasken herstellen können, wäre zum Beispiel wünschenswert. Allerdings wird die Relokalisierung auch die Verkaufspreise der Produkte in die Höhe treiben. Je mehr man also relokalisiert, umso stärker wird die reale Kaufkraft erodiert, was für soziale Spannungen sorgen wird.

Das alles sind Überlegungen auf der Ebene eines Kontinents, die sich, anders als die Mouvement-Forderung suggeriert, nicht auf Luxemburg übertragen lassen. Gewiss, man könnte hierzulande mehr Obst und Gemüse herstellen und weniger importieren. Doch dass jede europäische Miniregion in der Größenordnung Luxemburgs ihre eigene Steinwolle und Baumaterialien herstellt, ist nicht realistisch. Und was Joghurtfabriken angeht, die Wasser vor allem für die Spülung der Anlagen benötigen, so geht der Verbrauch pro Becher zurück, je mehr man produziert. Konsequenz: Eine europaweite Regionalisierung der Joghurtproduktion mag andere ökologische Vorteile haben, doch was die Ressource Trinkwasser angeht, könnte sie zu einem konsequenten Mehrverbrauch führen.

Von der Gromper zum Stahl

Vereinfacht gesagt war Luxemburg ein paar Jahrhunderte lang eine Festungsstadt mit einer verarmten Peripherie, die Kartoffeln anbaute. Die Stahlindustrie machte es zu einem modernen Kleinstaat – aber es machte sich vom Ausland abhängig. Seither ist es gelungen, Modernität und Wohlstand zu bewahren, als Standort für exportorientierte Industrie- und Dienstleistungsbetriebe, die die lokale Wirtschaft dynamisieren. Das ist der Rahmen, in dem man Wirtschaftspolitik gestalten kann. Der Akzent sollte deshalb nicht auf industrieller Autarkie liegen, sondern auf der Koordination der Industriepolitik mit den Nachbarländern und der Förderung von zukunftssicheren wirtschaftlichen Clustern.

Was die ökologischen Aspekte angeht, so sollte Luxemburg einerseits bei der Ansiedlung von Betrieben durchaus wählerisch sein. Andererseits ist klar, wohin der Wunsch nach möglichst geringen ökologischen Auswirkungen führen kann: zu „qualitativem Wachstum“ in Form von „Dienstleistungsbetrieben“, die kein Wasser verbrauchen, die Luft nicht belasten und keine Grenzgänger*innen einstellen. So nämlich, wie die Firma Fage seit 2012 in Luxemburg virtuellen Joghurt „produziert“ – als Briefkastenfirma.

Das Problem ist die Grenze!

Was die Grenzgänger*innen angeht, so thematisiert der Mouvement écologique „die negativen Auswirkungen des derart hohen Pendleraufkommens“ leider auf undifferenzierte Weise. Und suggeriert eine Lösung, die keine ist: „Warum muss Luxemburg weiterhin auf Teufel komm raus in Konkurrenz zu der Nachbarregion stehen?“ Doch die meisten großen Firmen, die nach Luxemburg wollen, haben wenig Interesse an Standorten, die mit Luxemburg nur die günstige geografische Lage gemeinsam haben. Die Firma Knauf die sich entschied, ihre Steinwollefabrik im französischen Grenzgebiet statt in Luxemburg zu errichten, ist eher die Ausnahme als die Regel.

Eine „Gestaltung der Großregion“, wie vom Mouvement gefordert, muss Luxemburg als ganz normales Zentrum einer Wirtschaftsraums begreifen, statt als vier separate Wirtschaftsräume, von denen einer überdimensioniert wäre. Der Unterschied zu hunderten anderen Großregionen in Europa ist der nationalstaatliche Charakter des zentralen Bereichs. Die Grenzpendler*innen sind Menschen, die aus A kommen und in B arbeiten – mit einer Grenze dazwischen. Nicht sie, oder ihre Arbeitgeber*innen sind das Problem, sondern die Grenze.

Statt sich die Attraktivität des Pols Luxemburg wegzuwünschen, ginge es darum, die Verkehrspolitik, die Steuerverteilung und die Raum- und Siedlungsplanung grenzüberschreitend neuzugestalten, damit die über die Jahrzehnte entstandene Großregion dauerhaft funktionieren kann. Dass der Mouvement die Wichtigkeit des Themas erkennt, sich mit einem Paradigmenwechsel aber schwertut, ist verständlich – innerhalb der politischen Klasse hat noch nicht einmal das Nachdenken über die Großregion ernsthaft begonnen.

Alle woxx-Beiträge zur Endphase des Fage-Debakels: Link
Wie Sozialmodell und Wirtschaftspolitik Luxemburgs nachhaltig ausgerichtet werden könnten: Analyse der Stellungnahme des Mouvement écologique, Teil 3 (demnächst online).

 


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