Während die Regierung sich für eine angeblich erfolgreiche Klimapolitik selbst lobt, stellt die Wissenschaft ihr ein eher schlechtes Zeugnis aus. Das Gremium, mit dem die Zivilgesellschaft eingebunden werden soll, kommt nicht in die Gänge – und wird geheim gehalten.
„Unser Planet brennt. Ganze Flüsse und Seen trocknen aus. Bäume sterben nicht nur wegen der Brände, sondern auch wegen der Hitze und der Trockenheit. Anbauflächen bieten keinen fruchtbaren Boden mehr. Der Lebensraum vieler Tiere wird zerstört […].“ Das ist kein Auszug aus einer Brandrede, die bei der letzten Klimademo, die diese Woche das Cover der woxx ziert, gehalten wurde. Das Zitat stammt aus der Rede zur Lage der Nation, die Premierminister Xavier Bettel (DP) am vergangenen Dienstag hielt. Es zeigt, dass Klimapolitik zumindest rhetorisch großen Raum einnimmt. Bei der praktischen Umsetzung sieht das jedoch anders aus – trotz der stetigen Vermehrung von Klimagremien.
8,08 Millionen Tonnen CO2-Equivalente hat Luxemburg im Jahr 2021 ausgestoßen. Damit sei das Reduktionsziel von 20 Prozent gegenüber dem Referenzjahr 2005 erreicht, jubilierten Umweltministerin Joëlle Welfring und Energieminister Claude Turmes (beide Déi Gréng) im Rahmen einer Pressekonferenz am 7. Oktober, auf der sie den Stand der Klimapolitik resümierten. Die Sektoren Transport, Abfallwirtschaft sowie Land- und Fortwirtschaft hätten ihre Ziele erreicht, die Sektoren Energie, Industrie, Bau und Gebäude jedoch nicht. Auf die Schulter geklopft wurde sich also vor allem für den Mobilitätsplan Modu 2.0, die Elektrifizierung des Busnetzes, den „Klimabonus Bësch“ und die „Null Offall“-Strategie.
Das Observatorium für Klimapolitik (Observatoire de la politique climatique − OPC), das am gleichen Tag seinen ersten jährlichen Bericht veröffentlichte, sieht das leicht anders. „Die jüngsten offiziellen Zahlen zu den Treibhausgasemissionen zeigen in der Tat einen Rückgang zwischen 2019 und 2021, der zum Teil durch die wirtschaftliche Abkühlung im Jahr 2020 während der COVID-19-Pandemie begünstigt wurde. Die im nationalen Energie- und Klimaplan (PNEC) enthaltenen inkrementellen Maßnahmen scheinen zwar einen ersten Schritt in Richtung einer Emissionsreduzierung zu bedeuten, doch sind weitere Schritte erforderlich“, heißt es im Papier des OPC. Die Emissionen könnten durch den wirtschaftlichen Wiederaufschwung schnell wieder anwachsen. Die Wissenschaftler*innen empfehlen deswegen systemische Änderungen, wie sie auch der aktuellste Bericht des Weltklimarates IPCC nahelegt.
Woher kommen die Emissionen?
Im ersten Teil des Berichtes machen die Wissenschaftler*innen eine Bestandsaufnahme von Luxemburg: Klimatologie, Demografie, Wirtschaftsfaktoren – und vor allem die Herkunft der CO2-Emissionen. Dabei scheut das OPC auch nicht vor Fragen zurück, die sonst eher als zu komplex abgetan werden: Wie viele Treibhausgasemissionen im- und exportiert Luxemburg mit den Gütern, die es verbraucht oder produziert? Und welche Rolle spielt der Tanktourismus dabei? In einem übersichtlichen Schaubild (siehe Grafik) sind diese Daten aufgeschlüsselt. Es zeigt sich, dass bei einer genaueren Betrachtung die Luxemburger Emissionen durchaus höher sind, als in den offiziellen Berechnungsweisen angegeben – auch, wenn man Exporte und Tanktourismus herausrechnet.
Drei Prinzipien sollten laut OPC der Transition zu einer nachhaltigen und dekarbonisierten Gesellschaft zugrunde liegen: die Verringerung der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen, neue und transformative Governance und die sogenannte „just transition“, also eine gerechte Veränderung der Gesellschaft. Neben diesen etwas theoretisch anmutenden Grundsätzen hat das OPC auch Empfehlungen für konkrete Maßnahmen ausgearbeitet. Die klingen zum Teil sehr bekannt, teilweise aber auch neu.
So ist die Reduzierung der Wohnfläche pro Person etwa eine Forderung, die man in Luxemburg selten bis nie hört. Im Schnitt sind in Luxemburg Wohnungen, die 2,5 Personen beherbergen, 132 m² groß. Dieser Wert könnte bis 2050 auf 90 m² reduziert werden, so das OPC. Die aktuellen Sparmaßnahmen, um den Gasverbrauch zu senken, sollte man nach der Energiekrise fortsetzen. Damit Mieter*innen nicht so sehr von ihren Vermieter*innen abhängig sind, was die Sanierung von Wohnungen angeht, schlägt das OPC vor, die Höhe der Mieten an die Gesamtenergieeffizienz der Gebäude zu koppeln.
Die Vorschläge für den Transportsektor klingen größtenteils bekannt: Mehr Homeoffice, mehr ÖPNV, mehr Platz für Fahrräder. Kurz: Eine Stadtplanung, die wenig Platz für Autos lässt und auf eine 15-Minuten-Stadt hinsteuert. Eine Idee ist für Luxemburg vermutlich zu revolutionär: „Ein sehr deutliches Signal wäre ein Verbot des Baus neuer Straßen, wie es die walisische Regierung eingeführt hat.“
Fotovoltaik auf jedes Dach
Im Bereich Energieproduktion sollte sich die Regierung dem OPC nach nicht weiter auf den Kauf von Energiezertifikaten verlassen, da diese oft fälschlicherweise doppelt gezählt würden. Besser sei es, direkt in Produktionskapazitäten im In- und Ausland zu investieren. Obwohl er wenige konkrete Maßnahmen erläuterte, kündigte Xavier Bettel in seiner Rede eine Initiative an, die einen großen Ausbau erneuerbarer Energien verspricht: Künftig soll auf jeden Neubau verpflichtend eine Fotovoltaikanlage installiert werden müssen. Wer sich das nicht leisten kann, bekommt die Anlage vom Staat finanziert – und geschenkt, wenn die Kosten durch die Stromerzeugung gedeckt sind. Auch Eigentümer*innen bestehender Gebäude sollen dem Staat ihre Dächer zur Verfügung stellen können.
Einen Sektor nahm Bettel besonders in Schutz: „Ich akzeptiere nicht, dass die Landwirte von einigen als Komplizen des Klimawandels dargestellt werden.“ Die Landwirtschaft leide unter der Klimakrise, so der Premier. Es stimmt, dass Land- und Forstwirtschaft in Luxemburg mehr CO2 speichern, als sie ausstoßen. Dennoch ist in den letzten Jahren eine negative Entwicklung zu sehen: Wurden 1999 noch 6,6 Prozent der nationalen Emissionen gebunden, so waren es in den letzten Jahren nur noch 3 Prozent. Das liegt vor allem daran, dass so viele Grünflächen und Wälder verbaut wurden. Das OPC merkt dementsprechend an, dass auch die Landwirtschaft Emissionen einsparen müsste, damit Luxemburg seine Ziele erreicht.
Die Vorschläge des OPC werden dem Agrarsektor eher nicht schmecken: weniger Konsum von rotem Fleisch, Verringerung des Viehbestandes, weniger chemische Düngemittel und Pestizide. Eine Möglichkeit, die Landwirtschaft Luxemburgs zukunftsfähiger zu machen, sei die Agroforstwirtschaft. Die würde nicht nur CO2 speichern, sondern auch dafür sorgen, dass die Folgen der Klimakrise nicht die Ernten vernichten.
Die Wissenschaftler*innen sehen auch im Luxemburger Finanzplatz eine wichtige Stellschraube im Kampf gegen die Klimakrise. „Einige rechtlich-finanzielle Strukturen und Instrumente erleichtern und fördern den Prozess der Finanzialisierung und wirken damit Prozessen der gerechten Transformation und des Übergangs zu nachhaltigen und dekarbonisierten Gesellschaften entgegen“, heißt es im Bericht des OPC. Ein wirklich nachhaltiger Finanzplatz sei hingegen eine Chance für Luxemburg, meinen die Wissenschaftler*innen.
Wo bleibt die Klimaplattform?
Obwohl viele der Vorschläge des OPC altbekannt sind, stehen die wenigsten von ihnen vor der Umsetzung. Auch die „neue und transformative Governance“, die das OPC vorschlägt, um die Transition voranzutreiben und dabei niemanden auf der Strecke zu lassen, muss sich die Regierung erst noch aneignen. Aktuell regiert sie nach alter Manier – und die ist ziemlich intransparent und wenig partizipativ.
Im Klimagesetz, das Ende 2020 verabschiedet wurde, ist noch ein anderes Gremium vorgesehen: die Aktionsplattform für das Klima und die energetische Transition. Sie soll ein Diskussionsforum sein, sich mit ähnlichen Gruppierungen innerhalb der EU vernetzen und sich an der Ausarbeitung des nächsten nationalen Energie- und Klimaplans beteiligen. Um die genaue Zusammensetzung der Mitglieder dieser Plattform wurde lange gefeilscht. Vor einem Jahr, im Oktober 2021, monierten die drei Gewerkschaften OGBL, LCGB und CGFP, dass die Privatwirtschaft mit sieben Vertreter*innen gegenüber zwei der Salariatskammer deutlich überrepräsentiert sei.
Am 25. Februar 2022 beschloss der Regierungsrat die endgültige Zusammensetzung. An die Öffentlichkeit gelangte davon jedoch nichts. In der Zusammenfassung der Regierungsarbeiten, die nach jeder Sitzung des Rates an die Presse geschickt wird, ist nichts über die Aktionsplattform zu lesen. Die Organisationen, die eine*n Vertreter*in auf die Plattform entsenden sollten, erfuhren laut woxx-Informationen erst am 20. September davon, also sieben Monate später. In dem Brief der Umweltministerin, der der woxx vorliegt, wurde nicht nur die Zusammensetzung der Klima-Aktionsplattform bekannt, sondern auch das Datum der ersten Sitzung: der 7. Oktober, am Rande der Klimaexpo.
Der Kritik der Gewerkschaften wurde zumindest zum Teil Rechnung getragen. 32 Mitglieder hat die Plattform nun, davon fünf mit Beobachter*innenstatus. Drei Vertreter*innen kommen von der Regierung: zwei aus dem Umweltministerium, ein*e aus dem Energieministerium. Das Gemeindesyndikat Syvicol stellt drei Mitglieder, das Klimabündnis eins. Insgesamt sieben Vertreter*innen entsenden die Berufskammern und „Investor*innen“. Die drei repräsentativen Gewerkschaften dürfen je ein Mitglied schicken, außerdem eins für die Salariatskammer. Die Zivilgesellschaft ist durch sieben Mitglieder vertreten: Jeweils eins für Youth for Climate und die Schüler*innenvertretung CNEL sowie fünf aus dem Bündnis Votum Klima. Die Landwirtschaftskammer und die Architekt*innenvereinigung OAI dürfen ebenfalls ein Mitglied schicken.
Beobachter*innen stellen der Nachhaltigkeitsrat CSDD, das OPC, das interministerielle Komitee für Klima-Aktion und die Luxembourg Sustainable Finance Initiative (LSFI). Die LSFI ist eigentlich ein Joint-Venture zwischen Regierung, Luxembourg for Finance und CSDD – alles Akteur*innen, die eigentlich bereits auf der Plattform vertreten sind.
Transparenz nur auf Nachfrage
Warum die Zusammensetzung dieses Gremiums bisher nicht öffentlich war, hat die woxx auf Nachfrage beim Umweltministerium nicht erfahren. „Die Zusammensetzung der Plattform ist keinesfalls geheim. Die Informationen darüber stehen jedem auf Nachfrage zur Verfügung“, hieß es von einer Sprecherin des Ministeriums. Die Mitglieder des OPC, die ebenfalls von der Regierung ernannt wurden, wurden als Regierungserlass öffentlich gemacht. Laut Gesetz sollten die Mitglieder der Klima-Plattform ebenfalls persönlich für ein Mandat von fünf Jahren ernannt werden – das ist bisher jedoch noch nicht passiert. Das soll im Anschluss an die erste Sitzung nun jedoch geschehen.
Sowohl OPC als auch Klimaplattform wurden vom gleichen Gesetz geschaffen. Allerdings hat es bei der Plattform erheblich länger gedauert, bis sie ins Leben gerufen wurde. Warum das so war, konnte – oder wollte – uns im Ministerium niemand sagen: „Die Plattform ist ein viel größeres Gremium, das die organisierten Interessenvertretungen des Landes zusammenbringt. Sie ist ein Arbeitsgremium, in dem 27 Mitglieder und 5 Beobachter sitzen, die jetzt vor allem an der Aktualisierung des PNEC arbeiten sollen.“
Die neue Version des PNEC muss am 30. Juni 2023 an die EU-Kommission geliefert werden. 2020 erntete die Regierung viel Kritik für die damalige Version des PNEC: Zu wenig ambitionierte Ziele und zu viel Selbstlob (siehe woxx.eu/klimaplan2020). Neben der Klimaplattform soll aber auch ein anderes, neues Gremium mit an dem Plan schreiben, wie Xavier Bettel ankündigte: eine Taskforce. Diese habe die Regierung eingesetzt, um die Vorschläge des Klima-Biergerrots (siehe woxx 1702) in den PNEC einzuarbeiten. Sie soll „die Arbeiten koordinieren, die notwendig sind, um die vielen guten Vorschläge des Klima-Biergerrot in den Energie- und Klimaplan zu integrieren“, so Bettel am Dienstag.
Observatorium, interministerielle Aktionsgruppe, Plattform – und jetzt auch noch eine Taskforce: Gremien zur Bekämpfung der Klimakrise hat diese Regierung viele geschaffen. Die Umsetzung der vielen guten Ideen, die sie produzieren, lässt derweil noch auf sich warten.