Landwirtschaft: Weniger Kühe, mehr Mühe

Rekordpreise sorgen dafür, dass Milch-Produzent*innen kostendeckend arbeiten können. Dennoch sorgen sich viele Landwirt*innen in Luxemburg um ihre Zukunft. Die Anzahl der Rinder soll verringert werden.

Gibt es demnächst weniger Kühe, die der Premierminister öffentlichkeitswirksam streicheln kann? (Foto: SIP/Jean-Christophe Verhaegen)

Lebensmittel wurden in den letzten Monaten teurer. Die Preissteigerungen haben mitunter seltsame Blüten getrieben. So ist der Preis für konventionelle Milch höher als der für Biomilch – zumindest im Einkauf. Das Landwirtschaftsministerium veröffentlicht monatliche Statistiken, die einen Überblick über Produktion und Preise geben. „Der Preis für konventionelle Milch wird nicht separat publiziert, wich 2022 aber nie um 0,05 Cent pro Kilo vom Milchpreis insgesamt ab“, erklärt Frank Steichen vom Landwirtschaftsministerium der woxx. Während der Kilopreis für Milch insgesamt im Oktober 2022 bei 58,54 Cent lag, so lag er bei Biomilch lediglich bei 56,09 Cent. Seit Juni hat der Preis für konventionelle Milch den Preis für Biomilch überholt.

Im Oktober 2021 lag der Milchpreis insgesamt noch bei 38,47 Cent pro Kilo, für ein Kilo Biomilch gab es 45,54 Cent. Im Klartext heißt das: Landwirt*innen, die konventionelle Milch produzieren, können erstmals seit längerer Zeit ihre Kosten halbwegs decken, ihre Bio-Kolleg*innen können von den Preissteigerungen jedoch nicht profitieren. Zudem müssen sie sich an strengere Auflagen halten und anders produzieren. Allerdings zahlten auch im Oktober 2022 manche deutsche Molkereien einen höheren Preis für die Biomilch.

„Die Kostenstruktur für die Verarbeitung in Luxemburg ist hoch bei nur wenigen Lieferanten. Die Wettbewerbsfähigkeit der Luxemburger Molkerei ist dadurch leider schwach und die Biobauern müssen ihre Genossenschaftsmolkerei mittragen, und das ist wirtschaftlich schwer. Die gestiegenen Energiekosten, deren Entwicklung nicht absehbar ist, sorgt für weitere Unsicherheit und Kostensteigerung auf den Betrieben und in der Verarbeitung“, so Daniela Noesen von der „Vereenegung fir Biolandwirtschaft Lëtzebuerg“ der woxx gegenüber. Zusätzlich sind Bio-Landwirt*innen mit verunsicherten Konsument*innen konfrontiert, die angesichts der hohen Inflation bei Lebensmitteln sparen, so Noesen: „Billige Lebensmittel haben Vorrang vor bio, gesund und nachhaltig. Die rückläufigen Verkaufszahlen sprechen Bände.“

Das Land, wo die Milch fließt

In Luxemburg wurde noch nie so viel Milch produziert wie heutzutage. Der Rekord im Jahr 2020 lag bei 447.339 Tonnen. Im Jahr 1957, dem Start der Aufzeichnungen, wurden lediglich 163.700 Tonnen produziert. Nach einem ersten Hoch Mitte der 1980er-Jahre gab es in den 1990er- und frühen 2000er-Jahren eine Stagnation. Nach den Milchseen und Butterbergen der 1970er war von 1984 bis 2015 die EU-Milchquotenregelung in Kraft, die eine Überproduktion verhindern sollte. Seit dem Ende der Regelung ist die Milchproduktion in Luxemburg um etwa 100.000 Tonnen gestiegen.

Die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe mit Milchproduktion ist seitdem hingegen stetig zurückgegangen, etwa 100 Stück haben aufgehört. Die Zahl der Kühe ist gestiegen: Knapp 47.000 Milchkühe gab es 2015 in Luxemburg, 2021 waren es beinahe 55.000. Neben der Produktionsmenge ist eine andere Zahl stets gestiegen: Die Milchleistung pro Kuh. 8.203 Kilo Milch gab eine Kuh im Rekordjahr 2020, im Folgejahr waren es leicht weniger. Zusammengefasst produzieren also immer weniger Betriebe immer mehr Milch – mit etwa gleich vielen Tieren wie unter dem Quotenregime in den 1990er-Jahren.

Dieser Trend soll sich ändern. Im nationalen Strategieplan für die Landwirtschaft, der die Gemeinsame Europäische Agrarpolitik (GAP) hierzulande umsetzen soll, ist vorgesehen, die Anzahl der Rinder in Luxemburg zu reduzieren. Da Luxemburgs Landwirtschaft vergleichsweise hohe Treibhausgasemissionen hat, ist die Verkleinerung des Rinderbestands eine Möglichkeit, diesen zu reduzieren. Pro Hektar sind die Emissionen mehr als doppelt so hoch wie im EU-weiten Durchschnitt. Kühe produzieren durch ihre Verdauung Methan – ein Treib-
hausgas, das die Atmosphäre um ein Vielfaches stärker aufheizt als CO2.

Woher kommen die Treibhausgase von Nutztieren? (Grafik: Fleischatlas 2021 | Bartz/Stockmar (M) CC-BY-4.0)

Ammoniak (NH3) ist ein weiterer Schadstoff, der durch Nutztierhaltung entsteht – zum Beispiel dann, wenn Gülle nicht abgedeckt gelagert wird. NH3 ist kein Treibhausgas, sondern schädigt vor allem die Wasserqualität. Das ist besonders rund um den Stausee problematisch, da diese Gebiete als Trinkwasserschutzzonen ausgewiesen sind. Dort gibt es seit April 2021 verschiedene zeitliche Restriktionen, wann Tiere auf die Weide oder Mist ausgebracht werden darf. So ist die Winterbeweidung zwischen dem 16. November und 15. Februar in manchen Zonen um den Stausee grundsätzlich verboten. Bei nasser Witterung und außerhalb der Vegetationsperiode ist der Nährstoffeintrag ins Wasser besonders hoch.

Das ist politisch nicht unumstritten. So fragte Martine Hansen (CSV) wegen der ungewohnt hohen Temperaturen im Oktober und November nach, ob es nicht besser wäre, diese Restriktionen nach dem Wetter und nicht nach kalendarischem Datum festzulegen. Die Umweltministerin Joëlle Welfring (Déi Gréng) antwortete, dass sie nicht gedenke, diese Regelung zu ändern. Die Daten seien „ein Kompromiss zwischen Wasserschutzaspekten und den Bedürfnissen des Sektors nach Rechtssicherheit.“ Sie betonte auch, dass die Tiere bei genügend Futter auf der Weide auch nach dem 16. November einige Stunden auf die Weide können. Ausnahmeregelungen sind ebenfalls nötig, die Genehmigungen hierfür brauchen aber ihre Zeit, sodass Landwirt*innen sie nicht spontan bei guter Witterung anfragen können.

Rinderreduzierung

Wer um den Stausee herum Rinder hält, muss sich vielleicht ohnehin Gedanken darüber machen, ob die Zahl der Tiere nicht kleiner werden soll. Landwirtschaftliche Betriebe, die ihren Rinderbestand um mindestens 15 Prozent reduzieren, sollen künftig eine Beihilfe erhalten. Das ist einerseits im nationalen Strategieplan festgehalten und soll andererseits mit dem neuen Agrarhilfengesetz in nationales Recht umgesetzt werden.

Dort ist auch eine weitere Maßnahme festgeschrieben, die verhindern soll, dass die Zahl der Kühe weiter wächst: Die Erhöhung des Viehbestands ist demnächst genehmigungspflichtig, wenn die zusätzlichen Tiere mehr als zwei Arbeitskräfte binden. Betriebe, die so viele Tiere halten, dass sie mehr als fünf Arbeitskräfte bräuchten, werden keine Genehmigung erhalten. Im Gesetzestext wird sich ausdrücklich auf die Reduzierung der Ammoniakemissionen bezogen.

Das Gesetz befindet sich noch auf dem Instanzenweg. Im August hatte Landwirtschaftsminister Claude Haagen (LSAP) es eingereicht, seitdem beschäftigt sich die betreffende parlamentarische Kommission damit. Die Begutachtung des Staatsrats steht noch aus, allerdings haben schon einige landwirtschaftliche Vereinigungen ihre Stellungnahmen dazu abgegeben.

Das „Luxembourg Dairy Board“ (LDB), eine Vereinigung Luxemburger Milchproduzent*innen, die sich für einen besseren Milchpreis einsetzt, ist nicht begeistert von dem Gesetzesvorschlag. Zu sehr würde auf Extensivierung der Landwirtschaft gepocht. „Ein ‚Rééquilibrage‘ zugunsten einer ressourcenschonenden und produktiven Landwirtschaft ist unbedingt erforderlich.“ Das LDB würde sich anstatt einer Reduktion des Viehbestandes eher eine Förderung von anderen Maßnahmen, die Ammoniakemissionen reduzieren, wünschen. Auf die Methan-Problematik geht die Stellungnahme nicht ein.

Foto: SIP/Jean-Christophe Verhaegen

Wachstumsbremse

In die gleiche Kerbe schlägt auch die Landwirtschaftskammer, die unterstreicht, dass das neue Gesetzesprojekt ohne Unterredungen mit dem Sektor entstanden ist. „In diesem Zusammenhang sei angemerkt, dass der Anstieg des Rinderbestands eng mit der politischen Entscheidung, die Milchquoten abzuschaffen verbunden war. Er war nicht nur vorhersehbar, sondern fand auch unter den Augen und mit der finanziellen Unterstützung der Autoren des Projekts statt“, schreibt die Landwirtschaftskammer. Sie fordert, das Genehmigungssystem anzupassen, um eine „lebensfähige und nachhaltige Landwirtschaft“ zu gewährleisten. Der Regierungsvorschlag verunmögliche nicht nur das Wachstum der Betriebe, sondern auch deren Modernisierung. Minister Haagen kündigte am Donnerstag an, sich am 13. Dezember mit der Landwirtschaftskammer zu treffen, um das Agrargesetz zu diskutieren. Die Genehmigungspflicht für die Vergrößerung von Rinderherden steht dabei auf der Tagesordnung.

Auch die Bio-Vereinigung Luxemburgs kritisiert in ihrem Gutachten zum Agrargesetz den in ihren Augen „völlig unzureichenden“ Konsultationsprozess des Landwirtschaftsministeriums. Die Biolandwirt*innen monieren, dass es keine Zukunftsstrategie für die Landwirtschaft gebe – lediglich das Ziel von 20 Prozent Biolandwirtschaft bis 2025 ist vorgegeben. Im Bereich Rinderhaltung fordert die Vereinigung einen stärkeren Fokus auf Biolandwirtschaft und gibt an, Lösungen für die Emissionsprobleme zu haben: „Ein Betrieb kann und sollte nur so viele Tiere halten, wie er aus sich selbst heraus ernähren kann. Eine Reduktion der Rindfleisch- und Milchproduktion einhergehend mit einer Umstellung auf eine graslandbasierte, biologische Produktion würde die Emissionen aus der Wiederkäuerhaltung um 74 Prozent reduzieren.“

Wer wird subventioniert?

Rinder seien kein Klimakiller, wenn sie sich nur vom Grasland ernähren, sagt Noesen. „Die Kuh ist für die Luxemburger Landschaft und Landwirtschaft unverzichtbar, sie muss nur im richtigen Verhältnis dazu stehen. Biolandwirtschaft nimmt hier eine Vorreiterrolle ein, die noch nicht ausreichend honoriert wird.“ Deswegen fordern die Biolandwirt*innen, dass das Agrargesetz abgeändert wird, damit bestehende Biobetriebe wettbewerbsfähig bleiben und konventionelle Betriebe mehr Anreize zur Umstellung erhalten. Ansonsten ginge „erneut wertvolle Zeit verloren, die wir nicht mehr haben.“

Die staatlichen Beihilfen für die Landwirtschaft, oftmals sind es EU-Gelder, sind umstritten. Nicht nur, weil damit ein System gefördert wird, das vor allem die konventionelle Landwirtschaft fördert, sondern auch, weil diese Gelder ungerecht verteilt werden. Eine europaweite Datenanalyse, die von FragDenStaat.de initiiert wurde, brachte zu Tage, dass Großkonzerne wie Molkereien oder Zuckerfabriken am meisten von den Förderungen profitieren. Eine Analyse der Kolleg*innen von Reporter.lu zeigte, dass dieses Phänomen in Luxemburg zwar nicht ganz so ausgeprägt ist, jedoch zehn Prozent der Fördersumme an ein Prozent der Betriebe gingen. In den öffentlich zugänglichen Daten auf farmsubsidy.org ist ersichtlich, dass unter jenen, die die höchsten Summen erhielten, auch der Gemüsehändler Grosbusch und die Molkerei Luxlait zu finden sind – beide für Schulmilch- beziehungsweise Schulobstprogramme.

15,75 Millionen Euro sind für die Beihilfen für die Milchkuh-Aufzucht zwischen 2023 und 2027 vorgesehen. Wie viel Geld für die Reduktion des Viehbestandes ausgegeben werden soll, ist nicht gesondert aufgeführt – für die Umwelt- und Klimamaßnahmen im Agrarbereich sind im Gesetzesprojekt für die nächsten fünf Jahre 158,42 Millionen vorgesehen. Darunter fallen auch sämtliche Beihilfen für biologische Landwirtschaft, außerdem Beihilfen für den Weidegang von Rindern. Diese Beispiele zeigen: Das neue Agrargesetz ist ein unübersichtlicher Paragrafendschungel, der widersprüchliche Signale aussendet.


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