Luftschadstoffe: Atemlos durch den Verkehr

Sind Luftschadstoffe eigentlich gar nicht so gefährlich? Eine Gruppe von Ärzt*innen in Deutschland behauptet das – und setzt dabei auf altbekannte Muster, um Zweifel zu säen.

Gefahr aus dem Auspuff: Luftverschmutzung ist laut WHO das größte umweltbedingte Gesundheitsrisiko in der EU. (Foto: Pixabay)

In Deutschland tobt eine Kontroverse um Grenzwerte für Luftschadstoffe. Es handelt sich aber nicht etwa um eine Bürger*innenbewegung, die angesichts des Dieselskandals fordert, die beteiligten Automobilkonzerne zur Rechenhaft zu ziehen. Stattdessen sind es etwas mehr als 100 Lungenärzt*innen, die die aktuell gültigen Grenzwerte in Frage stellen und eine wissenschaftliche Neubetrachtung fordern. Federführend ist dabei Dieter Köhler, der als ehemaliger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) durchaus Renommee hat.

Der Lungenarzt kritisiert schon länger, dass die Grenzwerte zum Beispiel für Feinstaub zu hoch seien. Bereits 2014 zitierte ihn Die Welt mit der Aussage, die Beziehung zwischen Feinstaubbelastung und frühzeitigen Toden sei lediglich eine Korrelation, ein kausaler Zusammenhang sei nicht bewiesen. Der pensionierte Mediziner war zum Beispiel 2018 ein gern gesehener Gast in Talkshows und Fernsehsendungen, wo er seine Behauptung verbreitete, die Grenzwerte für Stickoxide seien zu hoch und es ginge keine tödliche Gefahr von dem Schadstoff aus.

Anfang Januar rief Köhler in einem Rundschreiben an seine Kolleg*innen der DGP dazu auf, ihn und seine Stellungnahme zu unterstützen. Darin beschreibt er die Konsequenzen einer Senkung des Stickdioxid-Grenzwertes so: „Das würde dann zum Schließen vieler Innenstädte führen und ganz erhebliche politische Probleme mit vermutlich chaotischen, möglicherweise auch gewaltbereiten Szenarien nach sich ziehen.“

Einer gegen alle

Die eigentliche Stellungnahme ist im Tonfall zwar sachlicher gehalten, sie spricht jedoch tausenden Studien die Wissenschaftlichkeit ab. Die Argumente sind wie folgt: Die Studien zeichneten lediglich Korrelation statt Kausalität auf, Störfaktoren verwässerten das Ergebnis, es gäbe eine (nicht näher benannte) Störgröße, die die Unterschiede zwischen Gebieten mit hoher und niedriger Luftschmutzung erklärte. Außerdem wären Raucher*innen, die nicht bei jeder Zigarette tot umfielen, das beste Argument dafür, dass Stickoxide nicht so giftig seien.

Neben Köhler waren drei andere Autoren an der Stellungnahme beteiligt, darunter auch Thomas Koch. Der Ingenieur, der am Karlsruher Institut für Technologie das Institut für Kolbenmaschinen leitet, hat zehn Jahre lang für Daimler Motoren entwickelt. Im Februar 2018 hielt er einen Vortrag über die Umwelteinflüsse von Dieselmotoren, bei dem er auch die Zahlen über vorzeitige Todesfälle durch Luftverschmutzung der Europäischen Umweltagentur vorstellte – nebst der Behauptung, der Dieselmotor sei längst besser als sein Ruf.

Auf der Liste der über 100 Unterzeichner*innen, die Köhlers Aufruf geteilt haben, finden sich elf Ärzt*innen und ein Physiker aus Schmallenberg. Die Stadt ist eine der flächengrößten in Deutschland, zählt aber lediglich 25.000 Einwohner*innen. Außerdem ist sie der Sitz des Lungenfachkrankenhauses, in dem Köhler gearbeitet hat. Rund 60 solcher Fachkliniken existieren in der Bundesrepublik – trotzdem könnte hier die Vermutung entstehen, dass vor allem Ärzt*innen aus Köhlers Umfeld den Aufruf unterzeichnet haben.

Aufgebauschte Minderheitenmeinung

Die sind auch eigentlich keine Fachleute, auch wenn „Lungenfacharzt“ so klingen mag. Die Studien, aus denen die Berechnungen stammen, wie viele vorzeitige Tote durch Luftschadstoffe verursacht werden und aus denen sich auch zumindest Teile der Grenzwerte ableiten lassen, sind epidemiologischer Natur. So wundert es auch nicht, dass den knapp drei Prozent aller deutschen Lungenärzt*innen so einige widersprechen. Der österreichische Verkehrsclub VCÖ hat eine lange Liste mit Gegenargumenten zusammengestellt. Mediziner*innen aus verschiedenen Ländern protestieren heftig gegen Köhlers Brief – dazu kommen Epidemiologie-Verbände und Studien internationaler Organisationen wie der Europäischen Umweltagentur, der US-Umweltbehörde EPA und auch der Weltgesundheitsorganisation WHO. Auch die DGP, bei deren Mitgliedern Köhler für seinen Aufruf rekrutierte, hat im November 2018 ein Positionspapier veröffentlicht, in dem sie sich deutlich für noch strengere Grenzwerte ausspricht.

Einer kleinen, lauten Minderheit steht also eine gewaltige Mehrheit gegenüber, die eine Unzahl von wissenschaftlichen Studien im Rücken hat. Dennoch findet Köhlers Stellungnahme enorm viel mediales Gehör – eine Situation, die nicht neu ist. Dieser Mechanismus hat schon bei der Frage über die Gefahr des Rauchens funktioniert und er funktioniert immer noch beim Klimawandel, den manche auch weiterhin als nicht-existent oder nicht-menschengemacht deklarieren möchten. „Balance as bias“ nannten Maxwell und Jules Boykoff diesen Effekt beim Klimawandel. Die Forscher untersuchten Artikel von prestigeträchtigen US-Presseorganen. Ihre Schlussfolgerung: Indem die Presse versucht, „beiden Seiten“ gleich viel Platz zu geben und als gleich valide anzusehen, verzerrt sie die Debatte und die wissenschaftlichen Fakten.

Hinzu kommt, dass Themen, die mit einer (gefühlten) Einschränkung von Autofahrer*innen zu tun haben, in der Bundesrepublik besonders emotional geführt werden: 1975 titelte der Spiegel „Gefesselt an’s Auto“ und diskutierte ausführlich die Vor- und Nachteile einer Gurtpflicht, neun Jahre später wurde über das Für und Wider des Katalysators gestritten. Und 2019 sehen sich manche deutsche Publizist*innen nicht nur von Luftschadstoffnormen, sondern auch von einem möglichen Tempolimit auf Autobahnen in ihrer Freiheit bedroht.

Foto: Markus Spiske/pexels

Nicht nur der Diesel

Die vielen Diskussionen um Luftschadstoffe aus dem Verkehr haben aber nicht nur emotionale Gründe. Luftverschmutzung ist in der Regel unsichtbar und die Wirkung tritt nicht sofort ein – eine weitere Parallele zum Klimawandel. Dabei sind die drastischen Konsequenzen dramatischer Luftverschmutzung bekannt: 1952 starben in London tausende Menschen während einer Smog-Episode. Die Folge waren die ersten Gesetze zur Luftqualität.

Während Sorgen um Schwefeldioxid oder Kohlenmonoxid durch konsequente Umweltgesetzgebung der Vergangenheit angehören, sind Feinstaub, Stickoxide und bodennahes Ozon immer noch präsent. Feinstaub sind kleine Partikel, die je nach Größe in PM10 und PM2.5 eingeteilt werden – die Zahl steht für die Größe in Mikrometer. In Ballungsgebieten ist der Verkehr die größte Feinstaubquelle. Die chemische Zusammensetzung des Staubes entscheidet über die Gefährlichkeit. Metalle und Benzo[a]pyren gelten als besonders gesundheitsschädlich oder krebserregend, sie entstehen im Straßenverkehr und in Holzöfen. Der Ultrafeinstaub, auch ultrafeine Partikel genannt, ist gesetzlich nicht reguliert und wird daher auch nicht systematisch gemessen. Das Gleiche gilt für Rußpartikel – beide Stoffarten gelten jedoch als potenziell besonders gefährlich.

Galten Dieselmotoren lange als einzige Übeltäter in Sachen Feinstaub, so ist dies nicht mehr so klar: 2017 veröffentlichte ein Team internationaler Wissenschaftler*innen eine Studie, nach der neuartige Dieselmotoren weniger Feinstaub emittierten als Benzinmotoren. Allerdings: Die Stickoxid-Emissionen aus dem Dieselmotor sind immer noch höher. Unter dem Begriff, auch oft als „NOx“ abgekürzt, versteht man verschiedene Verbindungen von Stickstoff und Sauerstoff, die beim Verbrennungsprozess im Motor entstehen – unsere Atmosphäre besteht ja zu einem großen Teil aus Stickstoff. Da Stickoxide sehr reaktiv sind, sind sie auch akut ein Problem für Asthmatiker*innen. Ein Aspekt, der die Ärzt*innen rund um Köhler nicht interessiert hat: Stickoxide können Pflanzen schädigen und zur Überdüngung von Böden und Gewässern beitragen.

Im Sommer tragen Stickoxide dazu bei, dass bodennahes Ozon entsteht. In den Städten wird dies gleich wieder von Stickstoffmonoxid abgebaut, in ländlichen Gebieten und am Stadtrand ist dies jedoch nicht der Fall. Ozon ist giftig und kann – so der internationale wissenschaftliche Konsens – eine Fülle an Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen auslösen.

In der EU gelten Grenzwerte für manche Luftschadstoffe, die Mitgliedstaaten sind für die Messung und Einhaltung verantwortlich. Allerdings gibt es einige Stimmen, darunter auch die WHO, die für manche Stoffe niedrigere Grenzwerte fordern. Die Weltgesundheitsorganisation sagt 
zum Beispiel, dass es keine „sichere“ Schwelle für Feinstaub gibt – demnach müsste der Schadstoff so weit wie möglich reduziert werden. Der Europäische Rechnungshof legte 2018 einen Sonderbericht vor, der mit „Luftverschmutzung: Unsere Gesundheit ist nach wie vor nicht hinreichend geschützt“ einen dramatischen Titel trug. Darin wurde festgestellt, „dass die Bürger Europas nach wie vor schädlicher Luft ausgesetzt sind, was in erster Linie auf die schwachen Rechtsvorschriften und die unzulängliche Umsetzung der Politik zurückzuführen ist.“

Hohe Stickoxid-Werte auch 
in Luxemburg

Auch Luxemburg ist kein Musterschüler. Ein Vertragsverletzungsverfahren wegen Überschreitung der NOx-Werte ist anhängig. Die Feinstaubwerte sind im Großherzogtum bisher an den meisten Tagen unter den Grenzwerten geblieben. Vor einem Jahr startete eine Messreihe der Stickdioxid-Werte in verschiedenen luxemburgischen Gemeinden – die Resultate davon sind entgegen der Versprechungen bislang nicht an die Öffentlichkeit gelangt.

In einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage von Diane Adehm und Marc Lies (CSV) bestätigt Umweltministerin Carole Dieschbourg (Déi Gréng), dass die Situation in Hesperingen eine Reduktion erfordere. Während die CSV eine Umgehungsstraße fordert, verweist Dieschbourg auf das Verkehrskonzept Modu 2.0 und den öffentlichen Transport. Im nationalen Luftreinhalteplan, der 2017 präsentiert wurde, sind neben „soften“ Maßnahmen wie der Förderung von Elektroautos und des ÖPNVs auch härtere Methoden wie Umweltzonen, aber auch der Bau von Umgehungsstraßen, vorgesehen. Wer sich um die Luftqualität in seiner Nähe sorgt, kann mit der staatlichen App „Meng Loft“ prüfen, wie die aktuelle Lage ist.

Aus der CSV sind aber auch andere Töne zu hören. Seit Wochen ärgert sich Laurent Mosar auf Twitter über Fahrverbote in deutschen Städten, so schrieb er am 21. Januar: „Ich hab das Gefühl dass diese grünen Talibane jeden Morgen aufstehen und sich fragen mit welchen Verboten sie uns maximal nerven können.“

Am Dienstag fragte der LSAP-Abgeordnete Franz Fayot den Gesundheitsminister Etienne Schneider (LSAP) in der Fragestunde des Parlaments, was von der Debatte in Deutschland zu halten sei und ob die Regierung plane, mit einer Informationskampagne gegenzusteuern. „Ich rate davon ab, sich davon zu viel beeinflussen zu lassen“, war das salomonische Urteil Schneiders, der in Zeiten des Autofestivals wohl auch an seine Rolle als Wirtschaftsminister denken musste.


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