Medienpolitik: Der Untergang von RTL

Seit Anfang des Jahres nimmt das Künstler*innenkollektiv Richtung 22 den größten Sender des Landes aufs Korn. Doch hinter „RTL Eent“ versteckt sich nicht nur eine satirische Kopie des Medienkonzerns, sondern auch eine fundierte Medienkritik. Im Gespräch mit der woxx erklären zwei Aktivist*innen des Kollektivs, was sie am „Meinungsmonopolisten RTL“ kritisieren.

Aktivist*innen von Richtung 22 im Einsatz für ihren neuen Nachrichtenkanal „RTL Eent“. (Foto: Richtung 22)

woxx: 2016 hat Richtung 22 die Pin-ups von RTL kritisiert und die sind dann verschwunden. Und jetzt, 2024, wollt ihr den ganzen Medienkonzern RTL verschwinden lassen?

Lila Randale: Nichts weniger als das.

Gérard Mercator: Ja, das ist eine sehr schöne Zusammenfassung. Genau so wollen wir das.

Worin besteht eure Kritik an RTL?

Randale: Zuerst natürlich, dass es ein Sender ist, der zu einem Privatunternehmen gehört, zum Bertelsmann-Konzern. Unter dem Vorwand, eine öffentlich-rechtliche Funktion zu erfüllen, bekommt er aber öffentliche Steuergelder, und zwar mehr als alle anderen Medien in Luxemburg zusammen.

Mercator: 15 Millionen im Jahr. Mehr geht wegen EU-Regulation nicht, aber der Leviathan wächst natürlich weiter. Das heißt, es werden immer neue Strategien und neue Methoden probiert, was wir dokumentieren wollen.

Randale: Es geht uns aber auch um das Meinungsmonopol von RTL. In diesem Land wird nur dann etwas zum Thema, wenn RTL darüber redet. Ansonsten ist es sehr schwierig, eine nationale Debatte zu starten.

Mercator: Das Schlimme ist eben, dass mit diesem Monopol und in dieser gemogelten Funktion des Öffentlich-Rechtlichen wahnsinnig schlechte Arbeit gemacht wird, was wir auch dokumentieren. RTL arbeitet unsauber, schreibt Artikel ab, verzerrt Dinge, macht keine seriösen Recherchen und hat wenig seriöse Themen. Als Privatunternehmen hat es eben zum Ziel, dass Zuhörer*innen oder Zuschauer*innen sein Programm konsumieren, und nicht etwa das Ziel, Menschen zu informieren.

Auf eurer RTL-Persiflage findet sich sowohl Kritik zur inhaltlichen und sprachlichen Ausgestaltung von RTL, aber auch viele Artikel zur Geschichte und Verflechtung mit staatlichen Akteur*innen. Warum diese Website?

Mercator: Die Website ist der Auftakt für eine ganze Richtung 22-Saison. Mit unserer Recherche haben wir vor ungefähr neun Monaten angefangen. Wir haben uns eine Weile lang alles angeschaut und versucht, eine Struktur für unsere Recherche zu entwickeln.

Randale: Es gibt die jetzt die Website. Im März folgt ein Theaterstück. Und dann gibt es mindestens noch eine dritte Sache, als Überraschung.

Wie seid ihr bei eurer Recherche vorgegangen?

Randale: Wir haben uns zuerst den Staatsvertrag angeguckt und die absurde Argumentation, auf der er fußt – über die Aufgabenvergabe bis hin zum Fakt, dass sich erst nur auf das Fernsehen fokussiert wurde und nachträglich – klammheimlich – mit einer neuen Argumentation Radio und Internet noch hinzugefügt wurden. Dann haben wir Bilanzen angeschaut und Firmengeflechte entwirrt.

Mercator: Und wir haben eine Brute-Force-Methode angewendet, um all die Arten des Verkackens bei der journalistischen Arbeit von RTL zu dokumentieren. Mittels Web-Crawler haben wir alle Artikel und Kommentare von RTL.lu in einem bestimmten Zeitraum gescannt und dabei auch Sachen gefunden, die RTL eigentlich nicht zugänglich machen will. Mit diesen Daten konnten wir uns eine Übersicht machen, worüber RTL berichtet, und worüber nicht. Daran hat sich der Aufbau unserer „RTL Eent“-Seite orientiert.

Neben der Website präsentiert Richtung 22 im März ein Theaterstück, das sich mit RTL beschäftigt. (© Richtung 22)

Die woxx hat sich in der Vergangenheit immer wieder mit der Frage auseinandergesetzt, wer bei RTL und 100,7 in die täglichen Interviews eingeladen wird. Interessiert euch das nicht so sehr?

Randale: Wir haben eine Liste mit etwa 100 Themen, zu denen wir noch Rechercheartikel posten werden. Manchmal ist es schwierig zu gewichten, was zuerst kommen soll, Aber ja, unser Schwerpunkt liegt auf der Frage: Wie arbeitet RTL, wie funktioniert die staatliche Förderung und wer hat geholfen, damit sie funktioniert?

Mercator: Allein die Geschichte von Gaston Thorn, die müsste eigentlich ein nationaler Skandal sein! Was dieser Mann auf EU-Ebene durchgeboxt hat, damit RTL davon profitieren konnte, und welche Konsequenzen das für den europäischen Medienmarkt hatte. Skandalös, aber überhaupt nicht Teil der öffentlichen Wahrnehmung. Wer wie viel zu Wort kommt, ist Teil unserer Recherche zum Vibe.

Zum Vibe?

Mercator: Du kannst im Ausland sehr schwer jemandem erklären, was RTL in Luxemburg so besonders macht. Der sagt dann „Aha, ihr habt also nur einen Sender?“ Aber es ist eben mehr als ein Sender, weil die Monopolstellung unglaubliche Macht verleiht: RTL bestimmt, worüber im Land geredet wird. Wer wird eingeladen,wer spricht, und zu welchen Themen? Wie wird berichtet? Daraus ergibt sich ein ganz bestimmtes Lebensgefühl, ein Vibe. Das Traurige daran ist: Der Sender ist grottenschlecht und total unkritisch. Man wünscht sich einen anderen Vibe.

Gab es schon eine inhaltliche Rückmeldung von RTL?

Mercator: Es gab überhaupt gar keine Rückmeldung.

Randale: Das Einzige, was wir zu spüren bekamen, war, dass unsere Instagram- und Facebook-Accounts immer wieder gesperrt wurden, ohne dass wir genau wissen, warum. Es ging eventuell um Logoverwendung, aber auch das war nicht ganz klar. Die Person oder die Organisation, die hinter diesen Löschungsanträgen steckt, muss sich nicht erkenntlich machen. Wir können also nur vermuten, dass RTL dahintersteckt.

Mercator: Das ist natürlich schade. Wir fänden es viel besser, wenn uns mitgeteilt würde, was das Problem mit unserer Website ist und was uns vorgeworfen wird. Aber so ist es eben anonym und ein bisschen versteckt.

Randale: Die könnten sich das ruhig mal trauen. Die Begründung wäre auch interessant, denn wir benutzen weder ihr Logo noch ihren Namen.

Ihr benutzt ein Logo und eine Website, die dem Logo und der Website, die RTL 2023 verwendet hat, sehr ähnlich sieht. Habt ihr es nicht darauf angelegt, gelöscht oder gar verklagt zu werden?

(Foto: CC BY-SA Jwh/Wikimedia)

Mercator: Wir wünschen uns das nicht explizit. Kritik macht aber nur Sinn, wenn sie in irgendeiner Form einen Austausch als Konsequenz hat. Wir müssen bestimmte Mittel nutzen, um überhaupt so zu provozieren, dass es zu einem Austausch kommt. Natürlich ist unser Ziel nicht gewesen, dass uns jemand verklagt. Ich glaube, das wird auch nicht passieren, da der Sender selbst weiß, das er sich damit selbst schaden würde. Die Idee bei dieser Satire ist natürlich schon, ein täuschend echtes Imitat zu machen und das dann zu überspitzen.

Randale: Wenn du ein Monopol inhaltlich angreifen oder zumindest kritisieren willst, musst du wirklich alle Geschütze auffahren. Ansonsten kannst du totgeschwiegen werden. Womit wir wieder am Anfang unseres Gesprächs wären: Die Debatte um die Pin-ups wurde von RTL – bis auf eine einzige „Kloertext“-Sendung mit Softball-Fragen – totgeschwiegen. Die Frage ist: Wie kann ein privates Unternehmen diese Rolle des Service public bekommen, dafür öffentliche Gelder erhalten und trotz all dieser Skandale, die wir im Einzelnen zu dokumentieren versuchen, komplett unantastbar sein?

Kommt eure Kritik nicht etwas spät? Immerhin kann der neue Medienminister nun sagen „Pacta sunt servanda“. Und da der Vertrag bis 2030 läuft, müsste sich diese Regierung theoretisch gar nicht kümmern.

Mercator: Falsch. Also wir finden, dass es genau der richtige Moment ist, weil der Vertrag mit RTL jetzt in trockenen Tüchern ist. Der wäre auch kaum zu verhindern gewesen. Das haben wir teilweise dokumentiert, weil es dieselben Personen sind, die zwischen DP oder Regierung und CLT-UFA Lobbyarbeit machen. Es war klar, dass der Vertrag kommen musste. Der eigentliche Skandal ist, dass Radio und Website ebenfalls da mit eingebunden sind. Außerdem ist diese Commission de suivi, die als Kontrollmechanismus eingesetzt wurde, ein bisschen ein Scherz. Die Hauptfrage ist, was nach 2030 passiert. Mehr Geld als die 15 Millionen kann RTL wegen der EU-Richtlinien nicht bekommen. Nach 2030 muss also eine fundamentale Veränderung kommen. Wenn sich erst die nächste Regierung damit beschäftigt und die Diskussion um öffentlich-rechtliche Medien führt, wird es zu spät sein, denn die wird nur noch zwei Jahre Zeit haben bis zum nächsten Vertrag. Die Diskussion muss also in dieser Legislaturperiode passieren. Sie passiert schon jetzt hinter den Kulissen, das wissen wir. Aber es gibt keine gesellschaftliche Diskussion darüber, was dieses Land für ein öffentlich-rechtliches Medium bräuchte.

Randale: Ich wäre ja auch optimistischer als du, Gérard, und würde sagen: Unser Plan ist natürlich, dass RTL dieses Jahr noch untergeht (lacht). Der Missstand, dass RTL öffentliche Gelder bekommt, der ist ja schon alt, deswegen finde ich nicht, dass man sagen kann, es ist zu spät. Man muss ja auch erst mal das Problem verstehen, warum RTL so viel Macht hat und wie diese benutzt wird. Wenn man das nicht früher geschafft hat, dann ist jetzt eben der Zeitpunkt. Das gilt auch für andere Medien, die darüber sprechen müssten.

Wie sähe der Service public aus, wenn Richtung 22 ihn gestalten könnte?

Randale: Unsere Hoffnung ist, dass alle sehen, wie toll RTL Eent ist und wir auch einen Staatsvertrag kriegen. Aber wir haben uns natürlich tatsächlich gefragt, wie ein echter öffentlich-rechtlicher Sender in Luxemburg aussehen könnte. Das sollte aber keine Geschichte wie 100,7 sein, wo niemand zuhört oder zusieht.

Mercator: Man müsste sich auf jeden Fall Input von außen holen, um ein Konzept aufzustellen. Man könnte sich auch Partnerschaften mit öffentlich-rechtlichen Sendern rund um Luxemburg vorstellen, oder mit Arte. Man könnte nicht dasselbe Süppchen weiter kochen. Wenn einfach nur das gesamte Personal von RTL zu einem neuen Sender wandert, ist niemandem geholfen. Die Diskussion ist ja auch nicht komplett neu, es gab schon vor Jahrzehnten Konzepte, etwa von Robert Krieps. Wie so oft in Luxemburg, wird der Status quo nicht in Frage gestellt.

Randale: Unsere Lösung ist auch nicht „100,7 kriegt einfach einen Fernsehsender“. Wobei das auf jeden Fall vertretbarer wäre, als lediglich einen Werbesender zu haben, der einmal am Tag das „Journal“ zeigt, und dann halt noch ein paar Wiederholungen vom „Journal“.

Die Namen wurden von der Redaktion geändert. Die Website von „RTL Eent“ findet sich unter rtl1.lu

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