Kulturpolitik: Esch2022: 
Scherben oder Erbe?

Das Team von Esch2022 zog diese Woche eine letzte Bilanz, während sich beim Schlagabtausch zwischen Richtung22 und der Gemeinde Esch kein Ende abzeichnet.

Die Kulturministerin Sam Tanson (déi Gréng) und der Escher Bürgermeister Georges Mischo (CSV) (v.r.n.l.) waren bei der Präsentation der Bilanz von Esch2022 vertreten. (Copyright: Ville d’Esch/Emile Hengen)

Auf den Straßenschildern in Esch trotzt das Logo der Kulturhauptstadt Esch2022 nach wie vor Wind und Wetter, doch war das Kulturjahr tatsächlich wegweisend für die Kulturpolitik der Südgemeinden? Im März berief die Oppositionspartei ADR eine Debatte dazu in der Abgeordnetenkammer ein. „Es ist schwer, so früh nach Abschluss des Kulturjahres in einer „Heure d’actualité“ eine definitive Bilanz zu ziehen“, quittierte Georges Mischo (CSV), amtierender Bürgermeister der Gemeinde Esch, damals die Auftaktrede von Fred Keup (ADR). Das Team von Esch2022 gab diese Woche nun in seiner letzten Pressekonferenz unter anderem Aufschluss über die Erfahrungen der Projektpartner*innen und deren Zukunft.

160 von ihnen haben sich an einer Umfrage beteiligt, die von Esch2022 und der luxemburgischen Beratungsfirma The Impact Lab entwickelt wurde. Aus den Daten geht hervor, dass die Projektträger*innen hauptsächlich NGOs und Stiftungen waren (61 Prozent), nicht etwa Gemeindeverwaltungen (17 Prozent) oder öffentliche Kulturinstitutionen (7 Prozent). 112 Projektträger*innen gaben jedoch an, mit Gemeindeverwaltungen zusammengearbeitet zu haben; 101 waren für die Umsetzung ihres Projekts auf öffentliche Kulturinstitutionen, 96 auf andere NGOs angewiesen.

Auch wenn 42 Prozent von ihnen bestätigten, ihre Ausgangsziele erreicht zu haben, begegnete ein Großteil von ihnen mehreren Hürden: Über die Hälfte der Befragten empfanden die Partizipation des Publikums (71 Prozent), die Kommunikation (65 Prozent), die Beschaffung von Geldern, administrative Anforderungen sowie die Logistik (jeweils 54 Prozent) als Herausforderung.

Der hapernde Austausch mit dem Publikum sei der Pandemie, dem vollen Kulturkalender sowie allgemeinen Kommunikationsschwierigkeiten geschuldet. „Die hohe Anzahl an Projekten erschwerte ihre Bekanntmachung in den Medien, was für alle Europäischen Kulturhauptstädte ein Problem ist“, so die Erklärung dafür in der Studienpräsentation. Die Pandemie – aber vielleicht auch die vielen Personaländerungen im Gesamtprozess? – habe den Auftakt der Kommunikation über Esch2022 zudem verlangsamt und die interregionale sowie mehrsprachige Ausrichtung des Kulturjahres die Medienberichte erschwert.

Mit den finanziellen und administrativen Problemen spielten die Projektträger*innen vor allem auf den Zeitaufwand an, den beides mit sich brachte und der sich negativ auf die künstlerische Arbeit auswirkte. In wenigen Fällen soll das Ausbleiben von Geldern zur erneuten Evaluierung oder der Größenänderung des Projekts beigetragen haben. Die woxx berichtete bereits im Vorfeld des Kulturjahres ausführlich über diverse Finanzierungsprobleme.

Die Erfahrungsberichte der Projekt-
träger*innen enden schließlich mit ihrem Vermächtnis. Ein Punkt, der besonders mit Blick auf das Künstler*in-nenkollektiv Richtung22 interessant ist: Dieses hatte im Dezember 2022 gewarnt, die Nachhaltigkeit des Kulturjahres sei in Esch gefährdet und bedauerte unter anderem, dass Fördergelder für Esch2022-Projekträger*innen und die Aussicht auf dauerhafte Konventionen mit der Stadt auf sich warten ließen.

Realität hinter den Zahlen

In der Bilanz von Esch2022 heißt es dagegen: 60 Prozent der Projekt-
träger*innen führen ihre Aktivitäten zum Teil und 21 Prozent vollständig fort. Aussagekräftiger ist allerdings eine andere Zahl, und zwar die, wie viele Projektträger*innen durch das Kulturjahr eine Langzeitkollaboration eingegangen sind: das sind nur 37. Das führt zurück zur Kritik von Richtung22, nach der es langfristiger Zugeständnisse der Gemeinden brauche, um Kulturschaffende in der Region zu halten.

Letzte Woche machte Richtung22 ihrem Ärger mit einer Aktion über die Escher Kulturpolitik erneut Luft. Im Mittelpunkt stand das Kulturzentrum Bâtiment 4 (B4), das im Zuge von Esch2022 gegründet wurde. Die Künstler*innen schrieben in ihrer Pressemitteilung, die dort ansässigen Kulturschaffenden müssten Platz machen für administrative Mitarbeiter*innen der Escher Großevents „Nuits de la culture“ und „Francofolies“.

Ralph Waltmans, Direktor kultureller Angelegenheiten der Gemeinde Esch und Vorstandsmitglied der ASBL frEsch, bestätigte der woxx, dass aufgrund der derzeit geringen Raumnutzung einzelne Mitarbeiter*innen der frEsch-Projekte künftig das B4 mitbenutzen sollten. Der Mietvertrag für das Nebengebäude B5 – beide Gebäude gehören Arcelor Mittal – laufe in den nächsten Monaten aus, derzeit sitzen auch dort Mitarbeiter*innen von „Nuits de la Culture“ und „Francofolies“. Es sei sehr wahrscheinlich, dass diese nach Ablauf des Mietvertrags in den Hauptsitz von frEsch in der Rue du Luxembourg umziehen würden, so Waltmans ergänzend.

Das B4 ist laut Internetauftritt ein alternatives Kulturzentrum, das von einem unabhängigem Kollektiv verwaltet, aber von der Gemeinde Esch und ihrer ASBL frEsch geleitet wird. Der zentrale Aspekt der Selbstverwaltung wurde laut Richtung22 im Februar aufgehoben: „Das Kollektiv aus dem B4 wurde nicht in die rezenten Entscheidungen eingebunden und darf schon seit Dezember letzten Jahres nicht mehr über neue Mitgliedschaften entscheiden. Dass es dadurch leerstehende Räume gibt, wurde bewusst von frEsch herbeigeführt, obwohl es viele interessante Anfragen von Künstler*innen und Organisationen gibt.“

Der woxx liegt ein Versammlungsbericht vom Februar vor, nach dem der Kulturschöffe Pim Knaff (DP) Vertreter*innen des B4-Kollektivs die komplette Selbstverwaltung absprach. Diese sei in der Form nie vereinbart worden, wobei die Mitglieder des Kollektivs das Gegenteil behaupten. Die Charta des B4 macht dazu widersprüchliche Angaben: Einerseits soll das Kollektiv zusammen mit dem – inzwischen stark reduzierten – Personal des B4 die Alltagsgeschäfte leiten und unabhängig sein, andererseits sind frEsch und die Stadt für administrative und finanzielle Angelegenheiten zuständig.

Angesprochen auf die Zukunft der Kulturschaffenden im B4 präzisiert Waltmans, der Mietvertrag mit Arcelor Mittal sei inzwischen bis 2029 verlängert worden, die Räumlichkeiten stünden ihnen bis dahin kostenlos zur Verfügung. „Unsere Verträge gehen nur bis 2024“, sagt hingegen Richtung22. „Uns wurde noch nicht mitgeteilt, ob die Verlängerung des Mietvertrags bedeutet, dass wir länger bleiben dürfen.“ Der aktuelle Mietvertrag enthält darüber hinaus eine Klausel, nach der die Beteiligten den Vertrag jederzeit auflösen können, eine Kündigungsfrist ist nicht angegeben.

Töpfe voller Geld?

Genauso undurchsichtig empfindet Richtung22 die anhaltenden Diskussionen über Fördergelder für Kulturschaffende in der Gemeinde Esch nach dem Kulturjahr. Anfang 2023 teilte Ralph Waltmans der woxx mit, es sei eine „Carte blanche“ in Höhe von 250.000 Euro für die Fortsetzung von Esch2022-Projekten vorgesehen. Eine unabhängige Jury und der Conseil de gouvernance culturel (CG) der Stadt Esch entscheide, wer die Unterstützung erhalte. Es wurden 10 zulässige Bewerbungen beim Service culturel der Stadt Esch eingereicht. Die angefragten Fördergelder belaufen sich auf über eine halbe Million – mehr als doppelt so viel als das vorgesehene Budget. Am 17. Mai soll der Verwaltungsrat von frEsch über die Entscheidung der Jury informiert worden sein.

Waltmans verweist in dem Kontext auf weitere Fördermöglichkeiten: Seit 2019 stehe es Kulturschaffenden ganzjährig frei, sich auf eine „Carte blanche“ zu bewerben. Dabei handele es sich um eine zweite „Carte blanche“ und für die sei 2023 ein Budget von 50.000 Euro beabsichtigt. Und auch dieses Budget erweist sich als unzureichend: Zum 15. Mai lagen Bewerbungen in Höhe von über 230.000 Euro vor. Wer leer ausgehe, werde bei administrativen Aufgaben unterstützt und in Richtung einer Teilnahme an den „Nuits de la culture“ oder anderer Kulturprojekte orientiert. Zudem stünde für das B4 ein „budget artistique“ von 70.000 Euro bereit.

Richtung22 offenbart der woxx, die Verantwortlichen hätten in der Tat inoffiziell abgelehnte Bewerbungen auf die diversen „Cartes blanches“ an das B4-Kollektiv weitergeleitet, dabei sei dieses nicht befugt über die Verwaltung städtischer Fördermittel zu entscheiden. „Diese Bewerbungen wurden nicht offiziell abgelehnt“, weiß Richtung22. „Es ist eine fortlaufende Praxis der Stadt, Informationen an unbeteiligte Dritte weiterzugeben – das ist eigentlich illegal.“

Noch dazu sei die Umschichtung der Budgets intransparent und verstärke die Ungewissheit darüber, mit welchen Geldern die Kulturschaffenden am Ende rechnen könnten. „Esch hat insgesamt viel zu wenig Unterstützung für die lokale Kreation eingeplant, weil der Fokus auf der Sanierung von Gebäuden und auf den Großevents liegt“, unterstreicht Richtung22. „Deshalb werden jetzt mittels der ganzjährigen „Carte Blanche“ und dem Budget des B4 nachträglich andere Töpfe für die Projektfinanzierung zur Hilfe gezogen und damit zweckentfremdet.“

Waltmans nennt das „Missverständnisse“ und verweist auf eine Informationsversammlung zum Thema, an der sich Richtung22 trotz Einladung nicht beteiligt habe. „Aus Protest“, kontert das Kollektiv. „Seit Monaten warten wir auf Gespräche über die Zukunft des Bâtiment 4 und grundlegende Fragen zu Personal, Raumbelegung und Vertragsdauer.“ Erst jetzt sei die Einladung zu einer Versammlung beim B4-Kollektiv eingegangen, bei der dieses den Wunsch der Escher Gemeinde, das Budget des B4 zweckzuentfremden, legitimieren solle. „Da machen wir nicht mit“, sagt Richtung22.

Zwar wurde dem Künstler*innen-
kollektiv unmittelbar nach seiner Aktion informell die Hälfte der in ihrer „Carte Blanche“ beantragten Gelder zugesichert, im Lot sei dadurch aber nichts. „Die Gemeinde Esch hat komplett darauf verzichtet, die Organisationen nach dem Kulturjahr zum Beispiel mithilfe von Konventionen dauerhaft abzusichern. Dadurch, dass unsere Anfragen jetzt auch auf die „Carte Blanche“ geschoben wurden, nehmen wir kleineren Gruppen, die genau so dringend Gelder benötigen, weg“, fasst Richtung22 das Dilemma zusammen. Die Künstler*innen haben eigenen Aussagen nach eine Konvention mit der Escher Gemeinde angefragt, was Waltmans im Februar negierte.

Blick auf andere Südgemeinden

„Wir wollen nicht wie verwöhnte Kinder klingen, aber wir verurteilen nach wie vor die Art, wie hier mit Geldern umgegangen wird“, schrieb Richtung22 kürzlich auf Social Media. „Was sich wie ein Sieg anfühlt, kann genauso gut nur der Versuch sein, einen Skandal vor den Gemeindewahlen zu vermeiden.“ Schwarz auf Weiß gebe es weder die Garantie, im B4 bleiben zu können, noch die Aussicht auf das versprochene Geld. Auch sei ungewiss, ob das B4 künftig der Kulturverwaltung als Bürogebäude dienen solle.

Die Situation in Esch bleibt also angespannt. Andere große Südgemeinden wie Differdingen und Düdelingen sind bisher von Kritik an den Kulturverwaltungen verschont blieben. Ähnlich verhält es sich mit kleineren, aber kulturell aktiven Gemeinden, wie etwa Bettemburg. Die Kulturbeauftragten aus Differdingen und Düdelingen betonen, in ihren Gemeinden sei bereits vor dem Kulturjahr viel Wert auf die lokale Kulturförderung gesetzt worden. Differdingen will in Zukunft verstärkt auf Künstler*innenresidenzen und finanzielle Beihilfen setzen, Details sind aber noch nicht spruchreif. Aus Düdelingen heißt es, die Kulturszene finde seit Jahren die Unterstützung, die sie brauche.

In den drei erwähnten Gemeinden wurden außerdem die Abteilungen für Kultur dauerhaft um eine Stelle ergänzt. Alle drei setzen auch mehrere Projekte von Esch2022 fort, wie Düdelingen unter anderem das Musikfestival „Usina“; Differdingen die Nutzung der entweihten Kirche in Lasauvage; Bettemburg die länderübergreifende Ausschreibung des literarischen „Prix Laurence“. In Düdelingen soll es durch Esch2022 dann schließlich auch zu einer neuen Konvention kommen: Der „tiers lieu culturel“ Vewa, gegründet im Kontext des Kulturjahres, soll schon bald eine Konvention mit der Gemeinde unterzeichnen.

 

3 Zahlen zu Esch2022

3.145 kulturelle Aktivitäten

1.862 davon in der 
Gemeinde Esch

512.000 Besucher*innen der 
Events von Esch2022

(Quelle: Präsentation Esch2022)


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