Für die meisten Politiker*innen ist es heute Alltag, in den Sozialen Medien zu posten, zu liken und zu kommentieren. Über die Vor- und Nachteile scheiden sich die Geister.
Es hätte eine sachliche Diskussion über die politische Arbeit auf Social Media werden können, doch der Wahlkampf funkte gehörig dazwischen: Bei einem von der C2DH und dem Alumni-Netzwerk der Uni Luxemburg organisierten Rundtischgespräch kam es am Mittwoch mehrfach zu einem Schlagabtausch zwischen CSV und Piratenpartei.
Anstoß für das argumentative Ping-Pong war die Aussage von Clara Moraru, beigestellte Generalsekretärin der CSV, als Partei verstärkt auf Social Media zu setzen, weil das journalistische Interesse gegenüber Pressekonferenzen der Oppositionsparteien deutlich geringer sei als gegenüber jenen der Regierungsparteien. Wer wolle, dass die Presse sich für die eigene Arbeit interessiere, so Sven Clements schnippische Reaktion, der müsse auch interessante Inhalte liefern. „Je le trouve très dangereux de dire ‘on est sur les réseaux sociaux pour remplacer la presse, on fait du top-down, on engage une agence de communiquation pour s’accuper de notre présence sur les réseaux sociaux’.“
Zum Glück verlief nicht das gesamte Rundtischgespräch auf diesem Niveau. Die nötige Objektivität lieferten vor allem die an der Université de Lorraine lehrende Politikwissenschaftlerin Fabienne Greffet und der Luxemburger Medienforscher Raphael Kies. Doch auch ihre Interventionen blieben oberflächlich, was vor allem der Kürze des Events – es war von 12:15 Uhr bis 13:45 Uhr angesetzt – geschuldet war.
Mit ihrem theoretischen Umriss gab Greffet einen Vorgeschmack auf die vielfältigen und komplexen Aspekte, die in dieser kurzen Zeit diskutiert werden sollten. Sie nannte zunächst Zahlen: Laut Eurostat benutzen 58 Prozent der in Europa lebenden Menschen die Sozialen Medien, in Luxemburg sind es 62 Prozent. Zur politischen Kommunikation zählte die Wissenschaftlerin sowohl die Aktivität von Parteien und Politiker*innen als auch die Beteiligung der Zivilbevölkerung am politischen Diskurs.
Die Forscherin hob hervor, dass die Social-Media-Nutzung von Politiker*innen den politischen Diskurs stark beeinflussen könne. So hätten Donald Trumps Tweets zwar letztlich zu einer temporären Kontosperrung geführt, zwischenzeitlich habe er durch sie jedoch eine weitaus höhere Zahl an Rezipient*innen erreichen können, als es ihm andernfalls möglich gewesen wäre.
Greffet sprach zudem über die Desillusionierung, die sich in den letzten Jahren den Sozialen Medien gegenüber eingestellt habe: War vor einigen Jahren noch die Vorstellung verbreitet, dass sie sich positiv auf die Demokratie auswirken könnten, so stelle man zunehmend eine Brutalisierung der Debatte, eine Verfestigung von Ungleichheiten und die Zunahme von Fake News fest. Sie wies darauf hin, dass die Wirkung Sozialer Medien auf das politische Verhalten kaum messbar sei. Was man aber wisse: „Ça n’a pas d’effets sur la participation, ça c’est sûr: En Europe il y de plus en plus de médias sociaux, mais il y a de moins en moins de participation, donc c’est sûr que ce n’est pas cela qui fait la participation électorale“. Was man zudem festgestellt habe, sei eine Korrelation zwischen Social-Media-Nutzung und politischem Engagement: Wer viel auf Twitter oder Instagram unterwegs ist, wird mit höherer Wahrscheinlichkeit irgendwann in die Politik einsteigen.
Twittern für seine Marke
Für Sven Clement liegen die Vorteile der Sozialen Medien für die politische Arbeit auf der Hand. Dazu zählen für ihn vor allem der Ideenaustausch und die Möglichkeit, sich die Anliegen der Zivilbevölkerung anzuhören. Ein Tweet, so die Einschätzung des Abgeordneten, sei zudem stets ungefilterter als ein Auftritt auf einer Pressekonferenz oder in einem Wahlspot. Djuna Bernard von Déi Gréng ihrerseits unterstrich am Mittwoch den Vorteil, auf Social Media Menschen erreichen zu können, die eher weniger auf die traditionellen Medien zurückgriffen.
Im Laufe der Veranstaltung fiel immer wieder das Wort „Marke“. Es ging dabei einerseits um die Persönlichkeit, die Social-Media-User*inner für sich erschaffen, andererseits aber auch darum, dass Politiker*innen mit ihren Posts, Likes und Kommentaren immer auch für die Positionen ihrer Partei werben. Clement merkte in diesem Zusammenhang an, dass auch der Social-Media-Auftritt nie völlig ungefiltert sei, immerhin stelle man sich selbst in einem möglichst positiven Licht dar.
Die Wähler*innen, fügte Bernard hinzu, wünschten sich zunehmend, „den Menschen hinter dem Politiker zu sehen“. Das sei vor allem auf unser Wahlsystem zurückzuführen, das sehr viel stärker auf Individuen als auf Parteien ausgerichtet sei. Es reiche demnach nicht, auf den eigenen Accounts die politische Vision zu vertreten: Persönliche Inhalte seien mindestens genauso wichtig. Damit gehe ein Balanceakt einher, der „pas du tout évident“ sei. Zum Teil sei man damit erfolgreich, zum Teil ernte man jedoch auch einen „Shitstorm“. „C’est une réalité des médias sociaux qu’on reçoit parfois un retour dur, désagréable, aggressif. Des Dick Pics, des menaces de mort sont une réalité“, erklärte Bernard.
Privat oder professionell
Damit hatten die beiden Abgeordneten einen interessanten Punkt angeschnitten. Tatsächlich stellt sich die Frage, ob Politiker*innen auf Social-Media jemals als Privatperson aktiv sein können. Für Clement ist die Angelegenheit klar: Wenn Politiker*innen auf ihrem öffentlichen Profil posten, täten sie das stets in ihrer offiziellen Funktion. Wer als Privatperson schreibe, müsse das durch die Nutzung eines privaten Profils deutlich machen.
Obwohl sie im Rahmen der Diskussion mit keinem Wort erwähnt wurde, kam man doch nicht umhin, an DP-Ministerin Corinne Cahen zu denken. Diese hatte am 8. März, also dem Internationalen Frauenkampftag, sowohl auf Facebook als auch auf Instagram wortreich verlautbart, Frauen würden in Luxemburg nicht diskriminiert (woxx 1727). Die Frauendemo setzte sie mit einem „Spaziergang unter Freundinnen“ gleich. Sich für etwas einsetzen sähe anders aus.
Diese Aussagen veröffentlichte Cahen, die als Ministerin unter anderem für die Ressorts Familie, LGBTIQ-Politiken und Integration zuständig ist, sich somit also für die Belange queerer, intergeschlechtlicher, bipoc und trans Frauen einzusetzen hat, auf ihren öffentlichen Kanälen. Also als Politikerin. Dennoch weigerte sie, beziehungsweise ihr Ministerium, sich, die Fragen der woxx zu beantworten. Ihre Partei, die DP, sprach sich in einem Statement der woxx gegenüber zwar für die Wichtigkeit des Frauenkampftags aus, zu einer klaren Distanzierung von den Aussagen der Parteipräsidentin konnte man sich jedoch nicht durchringen.
Mit ihrem Post wandte sich Cahen deutlich von der DP-Linie ab, ohne die Konsequenzen zu ziehen, die sich im Grunde daraus ergaben: Aus der Partei austreten oder sich doch zumindest den Fragen der Journalist*innen zu stellen. Der Fall ist auch deshalb bemerkenswert, weil die gesamte Debatte darüber fast ausschließlich in den Sozialen Medien geführt wurde.
Theorie und Praxis
Wer aus politischen Gründen auf Social Media unterwegs ist, tut das also nie unabhängig von der Marke, die er oder sie vertritt. Eine Tatsache, die, so Ben Olinger, directeur de création der Werbeargentur Moskito, von vielen luxemburgischen Politiker*innen nur unzureichend berücksichtigt werde. Eigentlich müssten sich Politiker*innen darin schulen lassen, meinte Olinger im Rahmen des Rundtischgesprächs.
Was bei der politischen Kommunikation auf Social Media zu berücksichtigen ist, wurde auch durch die Intervention von Raphael Kies klar. Vor 15 Jahren seien die traditionellen Medien nur noch wenig im Print, dafür umso stärker online konsumiert worden. Mittlerweile sei aber selbst das nicht mehr der Fall: „Les gens ne lisent même plus en ligne les médias traditionels, mais de plus en plus, surtout les jeunes, s’informent à travers les médias sociaux.“ Eine der Gefahren, die Kies bei der politischen Kommunikation auf Social Media sieht, ist die Kürze und Einfachheit, mit denen Botschaften dort gemeinhin veröffentlicht werden. „Dans une démocratie on devra pouvoir se confronter à différents enjeux. La limite des réseaux sociaux c’est que cette confrontation à différentes opinions est plus difficile.“ Er zeigte sich jedoch zuversichtlich, dass sich viele User*innen diesem Umstand bewusst seien. Was die Regulierung Sozialer Medien angehe, könne es in seinen Augen zielführend sein, den Nutzer*innen mehr Einfluss auf die Algorithmen zu gewähren, die den Inhalt ihrer Timeline prägen. Eine Möglichkeit bestehe darin, die Nutzer*innen entscheiden zu lassen, ob der Algorithmus ihnen Inhalte vorschlägt, die ihren Präferenzen entsprechen, oder sie vielmehr mit anderen Ansichten konfrontiert.
„Je vois parfois quelques posts problématiques“, so Ben Olingers Eindruck. Je älter Politiker*innen seien, desto eher sei es „cringe“, wenn diese über junge Social-Media-Plattformen kommunizierten. Bevor man sich, sei es als Politiker*in, sei es als Partei, für eine bestimmte Plattform entscheide, müsse man sich im Klaren darüber sein, wie man die spezifischen Tools nutzen wolle und welche Zielgruppe man damit erreichen wolle.
Die Suche nach der geeigneten Plattform oder des passenden Mediums ist, wie Djuna Bernard verdeutlichte, nicht nur eine Altersfrage. Déi Gréng hätten beispielsweise zu Beginn der aktuellen Legislaturperiode ein paar Monate lang einen Podcast betrieben – ohne Erfolg. Aufgrund der niedrigen Zuhörer*innenzahlen habe man sich dafür entschieden, die Produktion einzustellen. Parteien befänden sich, so Bernard, in einem ständigen Trial-and-Error-Prozess. Nicht jede Plattform passe zu jeder Partei.
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