Menstruationsurlaub: Blutest du noch oder arbeitest du schon?

Wer stark blutet, gehört ins Krankenhaus? Nein, auf den Arbeitsplatz – zumindest dann, wenn es sich bei dem Blut um Menstruationsblut handelt. Eine Petition fordert eine Dispens für menstruierende Angestellte. Kritiker*innen bangen um die Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt. Queere Aktivist*innen befürchten Zwangsoutings.

Menstruationsartikel zu kaufen und sie zu wechseln, ist einerseits ein Tabu, andererseits eine Hürde für trans und nicht-binäre Menschen mit Periode. (Copyright: Pexels/Sora Shimazaki)

Ornella Romito ist keine Aktivistin. Als sie Ende April eine Petition zum Thema Menstruationsurlaub bei der Abgeordnetenkammer eingereicht hat, ging sie einem persönlichen Bedürfnis nach. Das sagte sie vor Kurzem in einem Gespräch mit der Tageszeitung Luxemburger Wort. Trotzdem ist es ausgerechnet ihre Aktion, die zeigt: Regelblut ist politisch.

Romito fordert zwei Freitage im Monat für Frauen, die unter starken Regelschmerzen oder an Endometriose leiden. Letzteres ist eine chronische Krankheit, ausgelöst durch Gewebe, das sich außerhalb der Gebärmutter ansiedelt. Das ist mit heftigen Schmerzen verbunden. Die Erkrankungshäufigkeit schwankt zwischen fünf und fünfzehn Prozent. Die Periode kann aber auch ohne Erkrankung für unangenehme Begleiterscheinungen sorgen. Romito zählt in ihrer Petition einige auf: Übelkeit, Durchfall, Rückenschmerzen, Bauchkrämpfe und Müdigkeit.

„Es darf nicht sein, dass man sich jeden Monat krank melden muss und sich dafür schuldig fühlt“, erklärt sie ihre Forderung. Im Arbeitsrecht wird momentan nicht zwischen punktuellen und chronischen Erkrankungen oder Beschwerden unterschieden. Es gelten jeweils dieselben Vorschriften, solange die betroffene Person nicht dauerhaft arbeitsunfähig ist. Die 4.246 Unterschriften, die Romitos Petition bisher (Stand: 3. Juni) erhalten hat, sprechen für sich: Es gibt Bedarf an einer entsprechenden Reglung. Trotz vieler Unterstützer*innen ist die Petition in feministischen und queeren Kreisen umstritten.

Risiken und Nebenwirkungen

Der Conseil national des femmes du Luxembourg (CNFL) spricht sich auf Nachfrage der woxx dezidiert gegen die Dispens aus. Warum? Weil sie die Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt gefährden könnte. Das Argument, dass eine Dispens mit dem Tabu um die Menstruation breche, lässt der CNFL nicht gelten. Dafür bräuchte es eher frei verfügbare Menstruationsartikel sowie Werbung, in der Regelblut nicht als blaue Flüssigkeit abgebildet werde. „Dem CNFL ist auch wichtig, dass Frauen wegen ihrer Menstruation nicht als ‚sensibel‘ oder ‚schwache‘ Menschen dargestellt werden – der Menstruationsurlaub droht diese Wahrnehmung zu verstärken, statt sie zu bekämpfen“, schreibt die Direktorin des Rates, Anik Raskin, der woxx.

Eine vergleichbare Meinung vertritt auch Taina Bofferding, Ministerin für die Gleichstellung von Frauen und Männern. „Die Dispens soll keine neuen Ungleichheiten schaffen“, sagt die Ministerin im Interview mit der woxx. Das Risiko bestehe jedoch und es sei „nicht fair“, es zu ignorieren. Der luxemburgische Arbeitsmarkt sei für eine solche Reglung nicht bereit, auch wenn sie dies verurteilen und bedauern würde. Man habe jahrelang dafür gekämpft, beispielsweise die Frage nach dem Kinderwunsch, die vornehmlich Frauen gestellt wurde, aus Vorstellungsgesprächen zu verbannen. Solche Veränderungen bräuchten „leider“ Zeit. „Es ist auch wichtig, dass man Beschwerden nicht gegeneinander ausspielt. Es gibt viele verschiedene chronische Krankheiten, wie etwa Migräne“, merkt Bofferding darüber hinaus an. „Die Petition bezieht sich außerdem nur auf den Arbeitsbereich, doch was ist mit Schülerinnen, die unter starken Regelschmerzen leiden? Sollen die dann auch grundsätzlich zwei Tage vom Unterricht freigestellt werden?“

Bofferding wiederholt mehrmals, dass für sie die Enttabuisierung der Menstruation im Vordergrund stehen muss. Sie findet es schade, dass vor allem junge Menschen sich wegen ihrer Periode oder ihrer Regelschmerzen schämen. Ähnlich wie der CNFL tritt auch sie für kostenlose und leicht zugängliche Hygieneprodukte ein. In dem Sinne subventioniert ihr Ministerium das Kleinunternehmen „Struggirls“: Drei Schülerinnen verkaufen Menstruationskästen zur kostenlosen Verteilung von Hygieneprodukten. Daneben bemühen sie sich um Aufklärungsarbeit zum Thema Periode.

Die geläufige Position – Menstruationsurlaub gleich Benachteiligung menstruierender Menschen – ist für Befürworter*innen des Menstruationsurlaubs jedoch ein Denkfehler: Nicht die Dispens sei das Problem, sondern die patriarchalen Gesellschaftsstrukturen und Sexismus. „[E]s hilft sicher nicht, wenn sich Frauen aus Angst vor noch mehr Sexismus wegducken und damit andere Frauen belasten“, kommentierte etwa die Journalistin Linda Becker vom Radioprogramm Puls entsprechende Sichtweisen vor zwei Jahren. Das stimmt. Es ist nicht die Aufgabe marginalisierter Personengruppen weiter einzustecken, um keine Angriffsfläche zu bieten. Nur tickt die leistungsorientierte Arbeitswelt anders: Wer mithalten will, muss konkurrenzfähig bleiben. Wie verkorkst das Verhältnis zwischen Arbeit, Krankheit und Unwohlsein ist, offenbart eine Aussage des luxemburgischen Arbeitsministeriums.

Pexels/Karolina Grabow

Auf die Petition angesprochen, teilte der Kommunikationsbeauftragte von Minister Dan Kersch mit: „Nach Rücksprache mit dem Minister kann ich Ihnen sagen, dass der Minister eine solche Dispens a priori als schwierig einstuft – nachdem bereits ein zusätzlicher Feiertag sowie gesetzlich ein weiterer Urlaubstag eingeführt wurden; die EU-Direktive zur Work-Life-Balance angewandt wird und der Koalitionsvertrag die Einführung weiterer Feiertage vorsieht.“ Im Klartext: Eine Freistellung wegen Menstruationsbeschwerden ist dasselbe wie Feiertag und Urlaub. Heißt all das, dass Forderungen nach mehr Flexibilität im Arbeitsalltag ausbleiben sollen?

Freiheit für alle?

Mitglieder der queer-feministischen Organisation Pink Ladies machen einen Gegenvorschlag: Statt Freitage für menstruierende Menschen einzuführen, soll die Arbeitswoche generell gekürzt werden. Das entlaste alle Beschäftigten und gebe ihnen die Möglichkeit – Periode hin oder her –, ihre Arbeitszeit so zu gestalten, wie es für ihr Wohlbefinden am besten ist. Diese Alternative ist vor allem dann interessant, wenn man trans und queere Menschen in die Debatte über den Menstruationsurlaub miteinbezieht.

In Romitos Petitionstext ist ausschließlich von cis Frauen die Rede – also von Menschen, denen bei der Geburt das weibliche Geschlecht zugewiesen wurde und dieses mit ihrer Geschlechtsidentität übereinstimmt. Dabei sind sie nicht die einzigen, die menstruieren: Auch trans Männer und nicht binäre Menschen mit Uterus, die keine Hormonbehandlung durchführen, haben ihre Tage. Die Dispens könnte deshalb zu Grabenkämpfen zwischen cis Frauen – denn auch unter ihnen gibt es welche, die nicht menstruieren oder weniger unter der Periode leiden – und zu Zwangsoutings führen. „Die Petition ist sicherlich darauf bedacht, dass Frauen die Dispens bei Bedarf beanspruchen können und es kein Zwang ist. Gut, aber dann hat man immer noch zwei Gruppen von Frauen: die ‚fruchtbaren‘ und die ‚unfruchtbaren‘, wie zum Beispiel cis Frauen, die ohne Uterus geboren wurden; cis Frauen, die keine Regelblutung haben oder in der Menopause sind und so weiter“, schreiben die Aktivist*innen der Pink Ladies.

Sie werfen in dem Zusammenhang gleich mehrere Fragen auf: „Die Dispens soll für die ‚Frauen‘ gelten, die eine starke Regelblutung oder Endometriose haben. Wer misst die Intensität der Schmerzen? Wie würde man die Dispens legitimieren: Auf Basis der Genitalien? Auf Basis der Identität ‚Frau‘? Braucht man dann ein Attest? Muss man besondere Untersuchungen durchführen lassen?“ Wäre Letzteres der Fall, würden queere Frauen und trans Menschen in Bedrängnis geraten. Viele von ihnen koste der Gang zur gynäkologischen Praxis Überwindung wegen der allgemein ungleichen Behandlung von LBQT Frauen. „Vielleicht ist es für eine cis-hetero Frau einfacher zum Gynäkologen zu gehen, aber stellen Sie sich vor, was das für einen trans Mann heißt.“

Regelblut landet nicht nur in Menstruationstassen und auf Tampons, sondern auch in politischen Debatten um das Arbeitsrecht. (Copyright: Pexels/Ana Shvets)

Ein Artikel des Lifestyle-Magazins Vogue weist auf generelle Hürden hin, die menstruierende trans Menschen überwinden müssen. Einige sprechen darüber, wie schwer es ist, auf der Herrentoilette ein Menstruationsprodukt zu wechseln: Dort gebe es oft weder abschließbare Kabinen noch Mülleimer zur Entsorgung. Andere erzählen, dass sie einen netten Abend mit Freund*innen schon mal vorzeitig beendet haben, um dieser Situation aus dem Weg zu gehen. Unter anderem Cass Clemmer, Menstruationsaktivist*in, berichtet wie unangenehm der Kauf von Menstruationsprodukten ist. „Es hat sich nie gut angefühlt, in Geschäfte zu gehen und Produkte zu kaufen, die als Damenhygiene ausgewiesen sind. Als ich das erste Mal meine Periode bekam, hatte ich das Gefühl, künftig für alle eine Show abziehen zu müssen. Eine Show, in der ich gar nicht sein wollte und in die ich auch nicht reinpasste.“, sagt Clemmer der Vogue. Clemmer setzt sich seit mehreren Jahren dafür ein, dass die Debatte um Menstruation inklusiver wird.

Die Vertreter*innen der Pink Ladies sind überzeugt davon, dass eine Dispens für menstruierende Personen die Diskriminierung von trans und queeren Menschen steigern würde. Sie müssten sich in dem Fall, wie bereits erwähnt, bei den Arbeitgeber*innen und den Kolleg*innen outen, was in einem trans- oder queerfeindlichen Umfeld mit Gefahren verbunden sei. „Allgemein sind Diskriminierungen und herablassende Bemerkungen eine Realität für LGBTIQ+ Menschen in der Arbeitswelt, deswegen outen sich viele dort nicht“, geben die Aktivist*innen zu bedenken. „Um das Recht auf eine solche Dispens zu erhalten, müssten sie das dann aber tun.“ Durch den Menstruationsurlaub könnten auch trans Frauen ins Visier der Kolleg*innen geraten, weil sie die Dispens nicht beanspruchen würden. Nach der Studie „EU LGBTI Survey II: A Long Way to Go for LGBTI Equality“ (2020) der European Union Agency for Fundamental Rights (FRA) fühlten sich zwölf Prozent der in Luxemburg befragten Menschen im Jahr 2018 aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Geschlechtsidentität am Arbeitsplatz diskriminiert. Luxemburg macht aber in dem Kontext immerhin kleine Schritte vorwärts: Das Unternehmensnetzwerk Inspiring More Sustainability veröffentlichte im Februar dieses Jahres einen ersten Leitfaden zur Inklusion von LGBTIQA+ Mitarbeiter*innen.

Im Lëtzebuerger Journal äußerten sich vor wenigen Tagen Angestellte des Fachübersetzungsbüros „FaustTranslations“ zur Sache. Das Unternehmen bietet seit zwei Jahren einen „menstrual leave“ an. Genutzt wurde er bisher nicht. Als Begründung führen die drei interviewten Mitarbeiterinnen ihr Pflichtbewusstsein, die Möglichkeit einer Krankschreibung und die Schwäche ihrer Regelbeschwerden an. Sie bringen in dem Artikel Verständnis für Menschen auf, die eine Dispens nutzen würden. Trotzdem wirken ihre Ansichten einschüchternd.

Wieder kreist die Debatte um die Frage, was Arbeit überhaupt für Menschen bedeutet. Im Zuge der Recherchen zum Thema kommt immer wieder der Eindruck auf, dass es sich bei Arbeitsverhältnissen um einen ewigen Kampf handelt: mit sich selbst, mit Konkurrent*innen, mit Vorgesetzten, mit Stereotypen. Ornella Romito wirft ihre Petition in einen Raum, der neu gedacht und gestaltet werden muss. Nicht nur für menstruierende Personen. Für alle, die ihr persönliches Wohlbefinden nicht länger gegen ihre Konkurrenzfähigkeit aufwiegen oder wegen ihres Pflichtbewusstseins aufgeben möchten.

Neugierig wie die Debatte bisher in anderen Ländern verlief? Mehr dazu hier.


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