In einem Gutachten bezieht der Flüchtlingsrat Position zum Kapitel „Migration“ im Koalitionsabkommen – und spart dabei nicht an Kritik.
Restriktiv und repressiv – der Kurs, der zurzeit in der EU-Migrationspolitik eingeschlagen wird, regt zur Sorge an. Nationale Regierungen, die aktuell ihre Asylpolitik verschärfen, sind in guter Gesellschaft. Dass Interessenverbände und Menschenrechtler*in- nen genau hinschauen, ist wichtiger denn je.
Es ist vor allem diese Botschaft, die der Luxemburger Flüchtlingsrat (LFR) vergangene Woche mit seinem Gutachten zum Koalitionsabkommen an die CSV-DP-Regierung sendete. Inhaltlich stellt der Text nämlich vor allem eine Wiederholung langjähriger Forderungen dar – eine Wiederholung, die, liest man das entsprechende Kapitel im Koalitionsabkommen, mehr als nötig zu sein scheint.
Gleich zu Beginn des Kapitels stolpert man über die Aussage: „afin d’éviter des abus, l’administration pourra recourir à toutes les méthodes appropriées permettant de définir l’âge d’un demandeur d’asile“. Nach einer Erklärung, was unter „toutes les méthodes appropriées“ verstanden wird, sucht man vergebens. Das erweckt den Eindruck, als hätten die Unterzeichnenden den Diskurs, der sich hierzulande in den vergangenen Jahren rund um Altersbestimmungstests zutrug, nicht mitbekommen. Andernfalls wäre man sich sicherlich der Notwendigkeit bewusst gewesen, hier mehr ins Detail zu gehen. Tatsächlich sind solche Tests – nicht nur hierzulande, sondern international – höchst umstritten.
2018 kam es diesbezüglich zu einem Schlagabtausch zwischen Menschenrechtskommission (CCDH), Ombusdman und Okaju auf der einen und dem Außenministerium auf der anderen Seite. Erstere hatten die Praktik der Genitaluntersuchungen zur Altersbestimmung von Asylbewerber*innen kritisiert. Der damalige Minister Jean Asselborn (LSAP) hatte besagte Untersuchungen zunächst als unverzichtbar verteidigt, ein ärztliches Gutachten sei die einzige wissenschaftliche und zuverlässige Methode, um das Alter von Menschen festzustellen, die keine Ausweispapiere mit sich führten. Diese Argumentationsweise wurde mitunter von der CCDH fundamental in Frage gestellt: Solche Untersuchungen seien nicht nur medizinisch nicht fundiert, sondern regelrecht menschenunwürdig. Am Ende ließ sich Asselborn überzeugen, Genitaluntersuchungen wurden abgeschafft. Rudert die neue Regierung nun zurück?
In seinem Gutachten äußert der LFR nicht nur bezüglich der potenziellen Wiedereinführung der Genitaluntersuchungen Bedenken: Auch auf das Röntgen der Handgelenke dürfe nur in Ausnahmefällen zurückgegriffen werden. Stattdessen seien psycho-soziale Gespräche als Methode zur Altersbestimmung zu bevorzugen. „Nous rappelons enfin“, fügt der LFR diesem Abschnitt noch ergänzend hinzu, „qu’à chaque étape de la procédure, le principe de présomption de minorité doit être respecté par les autorités comme dérivé de l’intérêt supérieur de l’enfant et que, si des doutes sur l’âge du demandeur persistent, celui-ci doit être présumé mineur.“
Starke Kritik übt der LFR auch am Kapitel „Le Revis“. Darin wird angekündigt, Personen mit Schutzstatus, die in einer Flüchtlingsunterkunft leben, hätten künftig kein Anrecht mehr auf die volle Auszahlung des Revenu d’inclusion social: Ein Teil des entsprechenden Betrags werde als Miete an den Office national de l’accueil (ONA) übermittelt. Eine solche Maßnahme, so die Einschätzung des LFR, widerspreche dem Ziel, Flüchtlingen zu größerer Autonomie zu verhelfen. Der Rat erinnert daran, dass die Bewohner*innen von Strukturen des ONA, die über einen Schutzstatus verfügen, gegenwärtig bereits eine „indemnité d’occupation mensuelle“ zahlen. Der LFR unterstreicht, dass es sich beim „engagement unilatéral“, den Bewohner*innen von Flüchtlingsstrukturen unterschreiben, jedoch nicht um einen Mietvertrag handele, der Vertrag sichere ihnen keinerlei juristischen Schutz zu. Dass im Koalitionsabkommen dennoch der Begriff „Miete“ benutzt werde, regt den LFR zu folgender Forderung an: Um Betroffene juristisch besser abzusichern, müsse ein Mietvertrag zwischen ihnen und dem ONA unterzeichnet werden.
Der LFR beanstandet, dass weder der „regroupement familial“ noch verletzliche Personen, allen voran minderjährige Schutzssuchende im Koalitionsabkommen Erwähnung finden. Dabei sei eine klare Positionierung in genannten Punkten mehr als nötig.
Nicht nur Kritik
Gegenüber manchen der im Migrationskapitel angekündigten Vorhaben zeigt sich der LFR allerdings zufrieden. So begrüßt man, dass die Regierung die Asylprozeduren zu verkürzen gedenkt. Dies sei im Sinne einer gelingenden Integration in die Luxemburger Gesellschaft in der Tat wichtig, so der LFR. Es sei jedoch auch wichtig, dass die beschleunigten Prozeduren nicht auf Kosten von Grundrechten vollzogen würden, „la procédure accélérée“, unterstreicht der LFR, „ne doit pas se traduire par une analyse superficielle des demandes mais doit se faire à travers le recrutement de davantage de personnels formés (…), à la fois à la Direction de l’Immigration et auprès des juridictions administratives“. Auf eine positive Reaktion stößt auch das geplante Heruntersetzen der Frist für einen Eintritt auf den Arbeitsmarkt: Diesen sollen Betroffene künftig nicht erst sechs, sondern schon vier Monate nach ihrer Asylanfrage erhalten.
Auch auf den gegenwärtigen Mangel an Flüchtlingsunterkünften will die Regierung reagieren. Sowohl in den Aufnahmestrukturen als auch in den Centres primo accueil ist die Situation nach wie vor angespannt – eine Situation, die der damalige Außenminister Jean Asselborn im Oktober zum Anlass einer drastischen Maßnahme genommen hat: Männlichen, alleinstehenden Dublin-Flüchtlingen wird das Recht versagt, automatisch in einer Struktur unterzukommen. Stattdessen kommen sie auf eine Warteliste, was de facto bedeutet, dass sie obdachlos sind. Die aktuelle Regierung hält an dieser Regelung fest. In der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage von Meris Sehovic (déi Gréng) hatte Finanzminister Gilles Roth (CSV), erklärt, man suche nach einer kurzfristigen Lösung.
Langfristig, dessen ist sich die Regierung laut Koalitionsabkommen bewusst, reicht das jedoch nicht. Zu diesem Zweck soll ein jahresübergreifender Plan ausgearbeitet werden, um neue Strukturen zu bauen und bestehende zu renovieren. Der LFR begrüßt dieses Vorhaben ebenso wie die geplante Anpassung der Gesetzeslage rund um das ONA. Laut Flüchtlingsrat sei es wichtig, bei einer diese Reform vorangehenden Analyse auch die Einschätzung von Interessenverbänden und Betroffenen mit einzubeziehen.
Was der LFR außerdem begrüßt: Die Regierung will die Möglichkeit untersuchen, die private Flüchtlingsaufnahme künftig zu entlohnen, und verpflichtet sich, die Liste sicherer Herkunftsländer regelmäßig zu evaluieren.
Fragwürdige Unterstützung
In seinem Gutachten kommt der LFR abschließend auf die EU-Migrationspolitik zu sprechen. Im Koalitionsabkommen spricht die Regierung dem vergangenen Sommer zustande gekommenen Kompromiss (siehe „EU-Asylpolitik: Schlimmer geht immer“) ihre Unterstützung aus. Das veranlasst den Rat zur Anmerkung: „Le LFR exprime sa préoccupation pour le soutien du Pacte, particulièrement, à ce qui concerne le traitement des demandes d’asile au-delà des frontières de l’Union Européenne“. Man fürchte, dass die Umsetzung des Paktes eine Verschlechterung der Menschenrechtslage nach sich ziehe. Es sei kruzial, mahnt der Flüchtlingsrat, die Auswirkung von Abkommen auf die Menschenrechte zu evaluieren, bevor man ihnen beipflichte. In diesem Kontext kritisiert der LFR zudem die Verstärkung der Mittel der Grenzschutzagentur Frontex, wie sie der Asylpakt vorsieht. „Le LFR rappelle que FRONTEX est accusé de nombreuses violations des droits humains, ainsi que des refoulements illégaux de nombreux migrants, et s’oppose donc à tout soutien vers l’agence européenne dans son état actuel.“