Kostenlose öffentliche Verkehrsmittel sind das Leuchtturmprojekt der neuen Regierung. Auch die restliche Mobilitätspolitik ist einen Blick wert.
„Deswegen wird der öffentliche Nahverkehr in Luxemburg kostenlos: Weil niemand mehr bereit ist, für so etwas zu zahlen“, ist in einem sozialen Netzwerk zu lesen. Es handelt sich um die Bildunterschrift für zwei Fotos von CFL-Anzeigetafeln, die jeweils eine halbe Stunde Verspätung anzeigen. Das ist einer von vielen Scherzen, die die Diskussion über den kostenlosen öffentlichen Transport dominieren. So richtig populär ist die Idee anscheinend nicht, weil die Qualität von Bus, Tram und vor allem Bahn zu wünschen übrig lässt. In der internationalen Presse, wo man nichts über die Verspätungen oder Ausfälle zwischen Esch und Ulflingen weiß, wird der luxemburgische Vorstoß jubelnd aufgenommen. In seiner Regierungserklärung ging Xavier Bettel darauf ein: „Das war eine unserer Überlegungen, als wir diese Maßnahme beschlossen haben. Es ist nämlich neben dem ökologischen und dem sozialen Aspekt, den ich herausstreichen will, eine Maßnahme, die uns als Land attraktiver macht.“
Das Koalitionsprogramm enthält jedoch nicht nur diese eine Maßnahme im Bereich der Mobilität. In den grundlegenden Zügen hat sich nichts geändert, denn immerhin hat der zuständige Minister erst dieses Jahr sein Mobilitätskonzept „Modu 2.0“ vorgestellt. Dennoch lassen sich einige Schlüsse aus dem ziehen, was die neue Regierung in den nächsten fünf Jahren vorhat.
Neu und nicht im Mobilitätskonzept enthalten ist ein „Observatoire de la mobilité“, das geschaffen werden soll. Das Observatorium soll vor allem Daten zur Verkehrsnutzung und zu den Mobilitätsbedürfnissen der Bevölkerung sammeln und sie den „betreffenden Akteuren“ zur Verfügung stellen. Damit keimt zwar neue Hoffnung auf, dass die Mobilitätszentrale, die CFL und die Busse der Stadt Luxemburg irgendwann einmal die gleiche Datenbasis für Fahrpläne benutzen und Verspätungen untereinander kommunizieren werden. Allerdings stirbt auch die Zuversicht, dass andere im Sinne des „Open Data“ auf diese Daten zugreifen und sie für eigene Apps verwenden könnten, gleich wieder. Kurios ist auch, wie diese Institution ins Koalitionsprogramm gelangen konnte: Denn LSAP und Déi Gréng haben zwar allerlei Observatorien gefordert, jedoch keins für Mobilität.
Billiger parken, wenn man gratis mit dem Zug fährt
Gemeinden und Arbeitgeber*innen soll künftig auch finanziell unter die Arme gegriffen werden, um Maßnahmen im Sinne von Modu 2.0 umzusetzen. Im Mobilitätskonzept wurden bekannterweise vier Gruppen von Akteur*innen identifiziert, die die Umsetzung vorantreiben müssen: Staat, Gemeinden, Arbeitgeber*innen und Bürger*innen. Die technische und logistische Unterstützung ist nicht neu, die finanzielle auch nicht unbedingt.
„Langfristig“ soll die Kapazität der P&R-Anlagen verdoppelt werden, wozu eine nationale P&R-Strategie ausgearbeitet werden soll. Neben der tatsächlichen Planung und Errichtung von Parkhäusern soll ein einheitliches Preismodell entwickelt werden, das Nutzer*innen des öffentlichen Transports privilegiert. Wie das funktionieren soll, wenn es keine Tickets mehr gibt, die beweisen könnten, dass man den restlichen Weg zur Arbeit mit dem Zug zurückgelegt hat, darüber schweigt das Koalitionsabkommen. Wie viel Verkehr solche P&R-Anlagen anziehen und wie viel sie verhindern, ist auch in der Mobilitätsforschung nicht eindeutig geklärt. Zumindest wenn P&R-Anlagen komplett kostenlos sind, werden sie auch immer wieder von Menschen benutzt, die eigentlich gar nicht auf die öffentlichen Verkehrsmittel umsteigen, sondern lediglich ihr Auto praktisch abstellen wollen.
Da wirkt es auch stimmig, dass dann doch nicht wenige Umgehungsstraßen in den Anhängen zum Koalitionsabkommen stehen – die von Hosingen, Heinerscheid und Dippach wurden sogar in ihrer Priorität hochgestuft. Immerhin sollen parallel dazu in den Städten verkehrsberuhigende Maßnahmen durchgeführt werden. Die Resultate hiervon werden jedoch stark von den Details abhängen. Und die könnten natürlich von Gemeindeverantwortlichen, die vielleicht nicht unbedingt Verkehrsreduktion als oberstes Ziel haben, mitgestaltet werden. Insofern stellt sich die Frage, ob damit nicht einfach mehr Verkehr statt einer „Umgehung“ produziert wird.
Das Fahrrad soll als Verkehrsmittel promotet werden – eine Aufgabe, die jedoch nur dann gelingen kann, wenn die nötige Infrastruktur dazu vorhanden ist. In den letzten fünf Jahren wurde viel Vorarbeit geleistet, nun soll diese endlich umgesetzt werden. Auch hier sind die Details entscheidend – über die schweigt sich das Koalitionsabkommen natürlich aus.
Ausbauen, dann kostenlos machen
Was hingegen deutlich drin steht: Der öffentliche Transport wird weiter ausgebaut, sowohl die Eisenbahn als auch die Tram. Besonders der Bau der neuen Bahnstrecke zwischen Luxemburg-Stadt und Bettemburg, der neuen Bahnsteige im Hauptbahnhof und des neuen Umsteigebahnhofs in Ettelbrück soll beschleunigt werden. Die Tram soll „am Horizont 2021/2022“ vom Flughafen Findel zur Cloche d‘Or fahren, die schnelle Tramverbindung nach Esch-Alzette soll zumindest bei den Straßenbauprojekten, an denen sie entlangführen würde, eingeplant werden. Sollte François Bauschs Traum in Erfüllung gehen, dass die schnelle Tram in zehn Jahren Foetz erreicht, müssten am Ende der Legislaturperiode bereits ein Großteil der Vorarbeiten dazu begonnen haben. Das Überlandbusnetz RGTR soll bis 2021 komplett neu organisiert werden, was allerdings bereits seit längerer Zeit in Planung ist.
Wenn die Infrastrukturarbeiten gut vorankommen, gibt es vielleicht weniger Grund zu meckern, wenn Anfang 2020 der öffentliche Transport für alle kostenlos wird. Für verschiedene Gruppen ist dies bereits jetzt der Fall: Schüler*innen bis zum Alter von 20 Jahren brauchen lediglich einen Ausweis, um kostenlos fahren zu können, Studierende unter 30 können ebenfalls eine Freifahrtkarte beantragen. Auch Geringverdiener*innen und ihre Familienmitglieder können mit einer „carte de libre-parcours“ unterwegs sein, wenn sie beispielsweise vom Sozialamt ihrer Gemeinde Unterstützung erfahren oder das Revis erhalten. Dies gilt auch für Geflüchtete oder Schwerbehinderte. In Luxemburg-Stadt ist der öffentliche Transport an Samstagen und geschäftsoffenen Sonntagen ohnehin kostenlos. Auch die Beförderung von Fahrrädern, Kinderwägen oder Tieren ist umsonst – was im europäischen Vergleich keine Selbstverständlichkeit ist.
Dieser Fakt – wer sehr arm ist, darf in Luxemburg sowieso gratis fahren – verwässert einerseits zwar die Argumentation der Regierung, es handle sich um eine soziale Maßnahme, entkräftet andererseits jedoch auch die Horrorszenarien so mancher Internet-Kommentator*innen, die befürchten, dass ab 2020 Obdachlose den öffentlichen Transport als temporäre Unterkunft benutzten.
Die meisten Reisenden, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln in Luxemburg unterwegs sind, zahlen dafür. Obwohl die Zahl der Passagiere in den letzten Jahren konstant gestiegen ist – ein Grund dafür, dass vor allem die Bahn so überlastet ist –, sind die Einnahmen aus Ticketverkäufen von 2016 auf 2017 um ein Prozent gesunken. Es wurden weniger Kurzzeitfahrscheine verkauft, dafür aber mehr Monats- und Jahresabos. Auch auf die Angebote für Pendler*innen aus Deutschland, Frankreich und Belgien ist 2017 häufiger zurückgegriffen worden als im Vorjahr. Für das Busnetz gibt es keine gesonderten Zahlen über die Ticketverkäufe, allerdings werden bei den seltenen Kontrollen vergleichsweise viele Menschen erwischt, die ohne gültigen Fahrschein unterwegs sind. 2017 wurden übrigens 320.000 Euro ausgegeben, um CFL-Personal zu bezahlen, das Tickets in RGTR-Bussen kontrolliert.
Insgesamt kostet das luxemburgische Busnetz laut der Kosten-Nutzen-Analyse der Beratungsfirmen Ecoplan, PRH, komobile und BDO, die im Juli dieses Jahres vorgestellt wurde, 369 Millionen Euro. Der Erlös von Fahrscheinen brachte 30,4 Millionen in die Kassen, was einen Deckungsgrad von etwas mehr als acht Prozent ausmacht. Die Bahn, deren Kosten zu 18 Prozent gedeckt sind, ist um einiges günstiger: etwas weniger als 197 Millionen kostet der Betrieb der CFL jährlich.
Insgesamt kommen durch Ticketverkäufe 66,13 Millionen zusammen, die der Staat ab 2020 zusätzlich aufbringen müsste, um kostenlosen öffentlichen Transport für alle zu gewährleisten. Das sind ungefähr 11,7 Prozent des Gesamtbudgets von 565,8 Millionen Euro. Wobei ohnehin zu klären wäre, was das im Falle von grenzüberschreitendem Zugverkehr heißt: Werden die Abonnements für Pendler*innen einfach billiger oder dürfen sie den kostenlosen öffentlichen Transport für jene, die sich nur innerhalb des Großherzogtums bewegen, mitfinanzieren?
48 Millionen Spielraum
Die neue Regierung hat durchblicken lassen, dass die steuerlichen Vergünstigungen für Fahrtkosten, oft auch als „Kilometerpauschale“ bezeichnet, zur Finanzierung des kostenlosen öffentlichen Transports herangezogen werden sollen. Zumindest soll es zu einer Reform kommen – die Verlierer*innen könnten also jene sein, die auf ihren PKW angewiesen sind, aber durch das Raster fallen, mit dem Härtefälle wie Nachtarbeiter*innen aufgefangen werden sollen.
Die oben erwähnte Kosten-Nutzen-Analyse stellt die Kosten der Kilometerpauschale für die verschiedenen Verkehrstypen detailliert dar: 9,3 Millionen Euro sind es bei den Busnutzer*innen, 4,85 Millionen Euro bei den Zugpassagieren. Der Löwenanteil des Steuerverlustes durch die Kilometerpauschale – 100 Millionen Euro – entfällt auf die Autofahrer*innen. 114 Millionen könnte der Staat also einnehmen, wenn die steuerlichen Vergünstigungen komplett wegfallen würden – also 48 Millionen mehr als nötig. Demnach gibt es Spielraum, auch ohne die von den Gewerkschaften befürchteten Einsparungen beim Personal.
Entgegen den Erwartungen ist im Kapitel über Mobilitätspolitik des Koalitionsabkommens keine deutliche grüne Handschrift zu lesen – oder Déi Gréng haben sich stärker an ihre Koalitionspartnerinnen angepasst, als das noch im Wahlkampf zu erkennen gewesen wäre. Eine „grüne“ Forderung wäre die langfristige Einführung des kostenlosen öffentlichen Transports gewesen. LSAP und DP dürfen nun zusehen, wie der grüne Transportminister ihr Wahlkampfversprechen umsetzt. Das wird zu einer Bewährungsprobe: Einerseits gilt es, ein Finanzierungsmodell zu finden, das nicht zu viele vor den Kopf stößt und andererseits muss das System bis 2020 so laufen, dass sich das Ganze auch lohnt.
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