Die Online-Ausstellung „Popkult60“ setzt die 1960er-Jahre in Szene: Die Besucher*innen entdecken in einem Wohnzimmer im Sixties-Style popkulturelle Phänomene. Wer griff gegen Kriege zum Mikrofon? Und was verbindet Robin Hood mit dem ehemaligen US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt?
Alles beginnt im digitalen Wohnzimmer: An der Wand hängt ein Poster der US-amerikanischen Rockband Creedence Clearwater Revival mit Retro-Schriftzug, auf der Kommode mit spitzen Holzbeinen stehen ein Plattenspieler und ein Filmprojektor. Es gibt außerdem noch einen Fernseher, zwei Sessel, einen Beistelltisch und zwei Regalbretter mit Radio. Einzelne Objekte blinken auf, wenn die Besucher*innen mit ihrer Computermaus darüber streifen. Hinter ihnen verbergen sich Beiträge zu ausgewählten popkulturellen Themen, die in den 1960er-Jahren relevant waren.
Die Beiträge sind Teil des Projekts „Populärkultur Transnational – Europa in den langen 1960er Jahren”, das unter anderem von Forscher*innen des Luxembourg Centre for Contemporary and Digital History (C2DH) und des Institute for History (IHIST) der Universität Luxemburg durchgeführt wird. Auch zwei Lehrstühle des Historischen Instituts der Universität des Saarlandes und der Bereich Interkulturelle Wirtschaftskommunikation der Friedrich-Schiller-Universität Jena beteiligen sich an dem Forschungsprojekt. Grob zusammengefasst geht es den Wissenschaftler*innen um die Untersuchung popkultureller Phänomene in Europa und anderswo. Dazu gehört es auch, den Einfluss der Popkultur auf den politischen und gesellschaftlichen Wandel aufzuzeigen.
Zwischen Pop und Politik
Dieser Anspruch macht sich in der Online-Ausstellung bemerkbar. Wer auf den Plattenspieler klickt, erhält beispielsweise Informationen über das Lied „Le Déserteur“ von Boris Vian. Maude Williams, Historikerin, zeichnet in ihrem Beitrag „Die Reise eines politischen Liedes um die Welt“ seine Geschichte nach. Vian schrieb den Text 1954, als das französische Militär noch mitten im Indochina- krieg steckte. Der Titel lässt es erahnen: Vian spricht sich mit seinen Zeilen gegen die Einberufung von Soldaten aus. Das polarisierte, wie Williams festhält. 1955 forderte Paul Faber, Mitglied des Conseil Départemental de la Seine, die Zensur des Liedes, drei Jahre später trat sie in Kraft. Warum „Le Déserteur“ in der Ausstellung auftaucht? Weil das Lied 1962 schließlich nach Westdeutschland exportiert wurde. Gerd Semmer, der gemeinhin als Vater des deutschen Protestsongs gilt, übersetzte die Version des Chansonniers Marcel Mouloudji ins Deutsche. Dieses und andere Lieder, die sich gegen Krieg und Nuklearwaffen richteten, wurden auf der LP „Ostersongs“ veröffentlicht. Sie wurden 1962 und 1963 auf Protestmärschen in der Bundesrepublik gesungen. Inzwischen wurde Vians Stück in über 45 Sprachen und Dialekte übersetzt.
An anderer Stelle geht es unter anderem um Adaptionen von Robin Hood. Gunter Mahlerwein setzt sich in „Kinderfernsehserien. Edle Räuber von Robin Hood bis Rinaldo Rinaldini“ allgemein mit Helden – er schreibt ausschließlich über männliche Figuren – der Fernsehgeschichte der Sechziger Jahre auseinander. Er verweist gegen Ende auf die Thesen von Filmwissenschaftler*innen, die die filmische Umsetzung der Legende um Robin Hood im politischen Kontext betrachten. Sie ordnen Allan Dwans Stummfilm aus dem Jahr 1922 als „Ausdruck des US-amerikanischen Isolationismus vier Jahre nach Kriegsende“ ein. Michael Curtiz und William Keighleys Verfilmung von 1938 bezeichnen sie als „Kommentar zum New Deal“. Der „New Deal“ beinhaltete eine Reihe von Wirtschafts- und Sozialreformen zwischen 1933 und 1938, mit denen US-Präsident Franklin D. Roosevelt auf die Weltwirtschaftskrise reagierte.
In den Texten der „Popkult60“-Ausstellung kommt immer wieder zur Sprache, dass Frauen in den popkulturellen Produktionen oder Vereinen dieser Zeit, wie etwa die von Amateurfilmer*innen, unterrepräsentiert waren. Leider bleibt es bei dieser Randnotiz. Niemand zeigt andere Narrative auf oder beleuchtet die Umstände kritisch. Insgesamt fehlt es der Schau stellenweise an weiterführenden Informationen. Besonders auffällig ist das in dem Beitrag über „Radio Luxembourg & Europe n°1. Privatkommerzielle und transnationale Radiostations“ von Richard Legay, dem Kurator der Online-Ausstellung. „Obwohl es illegal ist, hören viele Menschen im Osteuropa in den 1960er Jahren den englischen Dienst von Radio Luxembourg“ steht an einer Stelle. Warum das illegal war, wie es den Osteuropäer*innen dennoch gelang, den Dienst zu hören, und wie die Affäre endete, erklärt Legay nicht. Unbeantwortet bleibt auch, was aus den Bestrebungen des „Comité de direction“ der „Compagnie luxembourgeoise de télédiffusion“ (CLT) wurde: Das Komitee wollte in den 1960er-Jahren Programme aus skandinavischen Ländern ausstrahlen. Generell bleibt die weitere Entwicklung von Radio Luxembourg in dem Beitrag auf der Strecke.
Trotzdem ist die Ausstellung ein paar Klicks wert. Es ist ein kurzweiliges Vergnügen, das die ersten Forschungsergebnisse des Projekts übersichtlich zusammenfasst. Die Wissenshäppchen stammen aus der ersten Projektphase, die zwischen 2018 und 2021 lief. Vor wenigen Monaten hat die Forschungsgruppe die zweite Runde eingeläutet: Sieben neue Teilprojekte werden jetzt bis 2024 realisiert. Ob sie die Ausstellung ergänzen werden, ist derzeit nach Aussagen von Valérie Schafer, Professorin am C2DH, gegenüber der woxx noch unklar.
Die Ausstellung ist auf Französisch, Deutsch und Englisch verfügbar. Auf popkult60.eu/e/
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