Rassismus in Luxemburg
: Forschung als Selbstzweck?


Der Aktionsplan zur Bekämpfung von Rassismus reiht sich ein in die lange Liste nicht eingelöster Versprechen der Dreierkoalition. Dabei zeigt eine neue Studie wieder mal, wie groß der entsprechende Handlungsbedarf ist.

Bei der Vorstellung der Studie war der Saal in der Chambre des salarié-es bis auf den letzten Platz besetzt (Quelle: Tessie Jakobs)

Das Vorhaben, in der Legislaturperiode 2018-2023 einen Aktionsplan zur Bekämpfung von Rassismus (Panar) zu erstellen, ist gescheitert. Offiziell gesagt wurde dies zwar noch nicht, mittlerweile kann man es sich aber natürlich denken.

Noch am vergangenen Mittwoch redete Familienminister Max Hahn (DP) so, als habe die letzte Legislaturperiode nicht existiert. „Ich kann Ihnen nicht sagen, was im Koalitionsvertrag vorgesehen ist. Ich weiß es zwar, aber es ist noch zu früh, um sich dazu äußern zu können“, verlautbarte Hahn im Rahmen einer vom Centre d’étude et de formation interculturelles et sociales (Cefis) organisierten Konferenz. Kein Wort dazu, dass ein solcher Plan laut Koalitionsabkommen von 2018 vorgesehen war, und auch kein Wort dazu, dass die Blau-Rot-Grün-Regierung dieses Versprechen am Ende nicht einlösen konnte.

Merklich empört war am Mittwoch niemand über Hahns vorgegaukelte Naivität. Bereits in den vergangenen Monaten war es zunehmend unwahrscheinlicher geworden, dass der Aktionsplan, an dem das Familienministerium die letzten fünf Jahre gearbeitet hatte, noch in diesem Jahr das Licht der Welt erblicken würde – dabei hatte man sich diese Deadline selbst gesetzt. Noch im Juli hatte Hahn in seiner Antwort auf eine mündliche Anfrage von Nathalie Oberweis (Déi Lénk) das Stichdatum bestätigt. Dass es am Regierungswechsel liegt, dass das Dokument nun doch nicht rechtzeitig präsentiert werden konnte, ist unglaubhaft, an den paar Wochen wird die Fertigstellung wohl kaum gescheitert sein. Wahrscheinlicher ist, dass der Arbeitsaufwand von Anfang an unterschätzt worden war und die Deadline von „Ende 2023“ einfach nicht eingehalten werden konnte.

Der Panar war eigentlich gar nicht Thema besagter Konferenz. Hahn erwähnte ihn lediglich, weil er von Sylvain Besch, Direktor des Cefis, danach gefragt worden war. Was eigentlich im Zentrum der Veranstaltung stand, war die Studie „Le racisme et les discriminations ethno-raciales au Luxembourg : la parole aux victimes“.

Vor eineinhalb Jahren war bereits der erste Teil dieses Rassismus-Berichts veröffentlicht worden. Die entsprechende Studie mit dem Titel „Le racisme et les discriminations ethno-raciales au Luxembourg“ knüpfte an die Ergebnisse der „Being Black in the EU“-Studie (woxx 1554) an und ergänzte sie durch weiteres Zahlenmaterial. Anhand eindringlicher Statistiken zeigte die Studie die Diskrepanz zwischen Gesetzeslage und Lebensrealität betroffener Menschen auf, wie die woxx damals feststellte (woxx 1675). Die Studie, die in Zusammenarbeit zwischen dem Luxembourg Institute of Socio-Economic Research (Liser) und Cefis entstand, war die erste quantitative Erhebung in diesem Bereich und schloss damit eine bedeutende Forschungslücke – zumindest teilweise.

Nun wurde diese Woche also der zweite Teil des Rassismus-Berichts vorgestellt. An dessen Ausarbeitung war nur noch das Cefis beteiligt, möglicherweise deshalb, weil es sich um eine qualitative Studie handelt, die die Ergebnisse von 2021 vertiefen soll. Ein besonderes Augenmerk richteten die Forscher*innen dabei auf die verschiedenen Ausprägungen von Rassismus, die Art und Weise wie Opfer darauf reagieren, und die Auswirkungen, die Rassismus auf sie hat.

Vorurteile und Fetischisierung

Zu diesem Zweck wurden 27 Betroffene diverser Herkunft und unterschiedlichen Geschlechts und Alters zu ihren Erfahrungen mit Rassismus befragt. Dabei legten die Forschenden verschiedene Wirkweisen von Rassismus offen: Je nachdem, ob es sich bei den Opfern um Schwarze Menschen, Asiat*innen, Muslim*innen, Menschen mit niedrigem sozio-ökonomischen Status oder um rassisierte Frauen handelt, hat Rassismus unterschiedliche Ursachen und Auswirkungen. Als Beispiele wurde hier etwa die Hypersexualisierung und Fetischisierung Schwarzer Frauen („On m’a dit au lycée, un garçon de mon âge: Je voudrais bien t’essayer, je n’ai encore jamais eu une femme exotique“), und das Vorurteil „alle Asiaten sind Chinesen“ genannt. Anti-Schwarzer Rassismus äußert sich etwa darin, dass Schwarze Menschen pauschal als faul, inkompetent und kriminell wahrgenommen werden. Schwarze Migrant*innen werden zudem gerne als Nutznießer*innen abgestempelt. „Quand je suis arrivé au contrôle médical après un accident de travail, le médecin m’a dit que je suis venu au Luxembourg pour vivre sur le compte de l’État“, wird ein aus Portugal eingewanderter Mann zitiert.Ein von Islamfeindlichkeit betroffener Maghrebiner wird in der Studie mit der Aussage zitiert: „Ma femme est luxembourgeoise et voilée, quand on passe près d’un café, on entend un Luxembourgeois que je connais crier Allahu akbar!“

Durch die Befragungen arbeiteten die Forscher*innen noch einen weiteren Unterschied heraus, nämlich den zwischen wissentlichem und nicht-wissentlichem Rassismus. Als Beispiele für Letzteres gaben die Autor*innen einerseits verinnerlichte Stereotype und Vorurteile, andererseits Mikro-Aggressionen und Mikro-Herabwürdigungen an. Zu wissentlichem Rassismus gehören neben Beleidigungen und Provokationen auch verbale und physische Gewalt. In seiner Präsentation verwendete Sylvain Besch hier das Bild eines Eisbergs: Absichtlicher Rassismus bildet dabei nur die Spitze des Eisbergs. Darunter jedoch liegt die Gesamtheit zwischenmenschlicher Interaktionen, welche wiederum durch den sozialen und institutionellen Kontext beeinflusst werden. Unter der Bezeichnung „spectre du racisme systémique“ arbeiteten die Forscher*innen ein ganzes Netzwerk an ineinandergreifenden Ausprägungen rassistischer Haltungen heraus.

Angst und Unkenntnis

Mithilfe der Studie wurden die Auswirkungen, die Rassismus auf Betroffene haben kann, offengelegt: Verlust des Selbstbewusstseins, Schwierigkeiten bei der Persönlichkeitsentwicklung, Traumatisierung und Auflehnung sind nur einige davon. „Quand le racisme vient des enseignants, c’est plus déstabilisant, on perd vraiment l’estime de soi, on se sent nulle, je me souviens, je me disais, je vais retourner au Cameroun, pourquoi je suis venue ici“, wird zum Beispiel eine Betroffene zitiert. Eine weitere Konsequenz von Rassismus ist die von den Autor*innen als „charge raciale“ bezeichnete: der unablässige Versuch, durch Lebensentscheidungen rassistischen Stereotypen zu widersprechen: „Par exemple, je me donne énormément de peine pour ne pas arriver en retard. C’est pour cela que je suis hyper-ponctuelle parce que je ne veux pas correspondre au stéréotype du Noir qui est toujours en retard : l’heure africaine !“

Die Reaktionen der Opfer auf Rassismus werden in der Studie in zwei Kategorien unterteilt: Die Opfer schweigen oder sie melden sich zu Wort. Für Ersteres machen die Forscher*innen zahlreiche Gründe aus: Unkenntnis von Anlaufstellen oder ein mangelndes Vertrauen in diese, sprachliche Barrieren, mangelnde Beweise. Auch die Angst bei der Suche nach Hilfe oder beim Erstatten einer Strafanzeige negative Konsequenzen zu erfahren, verleitet Opfer zum Schweigen, wie an der Aussage einer Betroffenen deutlich wird: „On s’est dit qu’on ne fait pas trop de vagues… on a un enfant à l’école. Et derrière, il y a encore un petit qui arrive. Je vais faire quoi, le mettre dans une autre école, me lever à 5 heures du matin pour l’emmener loin ? Il a encore un an à faire avec cette femme et puis c’est bon, mon autre enfant souffrira plus si je me mets toute l’école à dos : ça ne sert à rien !“

Am Ende der Studie listen die Autor*innen ihre Empfehlungen an die Politik auf. Dazu zählen zunächst sichere Beratungs- und Hilfsstrukturen – was voraussetze, dass solche Strukturen die nötigen Ressourcen erhielten –, verstärkte Informationen über Rechte und Strukturen sowie proaktives Vorgehen im Kampf gegen Rassismus und Stereotype.

Im Vergleich zu den bereits existierenden Studien konnte die aktuelle Untersuchung wichtige Erkenntnisse in puncto Intersektionalität liefern. Auch die Auswirkungen von Rassismus auf die psychische Gesundheit und Persönlichkeitsentwicklung der Betroffenen wurde erstmals eingehender untersucht.

Zu den Ergebnissen fielen Max Hahn in seiner Abschlussrede nur Oberflächlichkeiten ein. Betroffene dürften sich nicht scheuen, Diskriminierungsfälle an das Centre d’égalité de traitement (CET) zu melden. Dass dieses über keinerlei Kompetenzen verfügt, um den Opfern weiterzuhelfen – das CET darf weder Anzeigen erstatten, noch handelt es sich um ein Beratungszentrum –, erwähnte er dabei nicht. Die vorgestellte Studie werde jedenfalls nicht in einer Schublade verschwinden. Den Rest seiner Rede verbrachte er damit, seinen Vorredner*innen für ihre Bemühungen zu danken. Wenn sich aus seinen Aussagen überhaupt etwas Konkretes ableiten ließ, dann dass Rassismusbekämpfung für die DP beziehungsweise das Mifa auch weiterhin keine Priorität sein wird.

Wenn sich aus Max Hahns Aussagen überhaupt etwas Konkretes ableiten ließ, dann dass Rassismusbekämpfung für die DP beziehungsweise das Mifa auch weiterhin keine Priorität sein wird.


Cet article vous a plu ?
Nous offrons gratuitement nos articles avec leur regard résolument écologique, féministe et progressiste sur le monde. Sans pub ni offre premium ou paywall. Nous avons en effet la conviction que l’accès à l’information doit rester libre. Afin de pouvoir garantir qu’à l’avenir nos articles seront accessibles à quiconque s’y intéresse, nous avons besoin de votre soutien – à travers un abonnement ou un don : woxx.lu/support.

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?
Wir stellen unsere Artikel mit unserem einzigartigen, ökologischen, feministischen, gesellschaftskritischen und linkem Blick auf die Welt allen kostenlos zur Verfügung – ohne Werbung, ohne „Plus“-, „Premium“-Angebot oder eine Paywall. Denn wir sind der Meinung, dass der Zugang zu Informationen frei sein sollte. Um das auch in Zukunft gewährleisten zu können, benötigen wir Ihre Unterstützung; mit einem Abonnement oder einer Spende: woxx.lu/support.
Tagged , .Speichere in deinen Favoriten diesen permalink.

Kommentare sind geschlossen.