Gesetzesprojekt zu Diskriminierung: „Papier ist geduldig“

Diskriminierung soll als erschwerender Umstand ins Strafgesetzbuch eingeführt werden, doch das Centre pour l’égalité de traitement zweifelt die Umsetzung durch die Justiz an. Über die Gräben zwischen Theorie und Praxis.

Wenn die Polizei wie hier mutmaßliche Täter*innen verhaftet, erörtert sie nicht systematisch, ob Diskriminierung hinter der Straftat stecken könnte. (Copyright: CC BY Andy Wilson NC-ND 2.0)

In letzter Zeit bestimmen Übergriffe auf marginalisierte Personen regelmäßig die Schlagzeilen. Ende August wurde der trans Mann Malte C. beim CSD in Münster durch einen Angriff tödlich verletzt, als er sich gegen Lesbenfeindlichkeit einsetzte. Im September fand ein Jugendlicher eine zerstückelte Frauenleiche in Mont-Saint-Martin, das Opfer stammte aus Diekirch. Am Dienstag informierte die luxemburgische Staatsanwaltschaft über einen Fall häuslicher Gewalt mit Todesfolge. Der mutmaßliche Täter ist ein Mann, das Mordopfer war seine Ehefrau.

In Luxemburg können Richter*innen Taten wie diese in Zukunft härter bestrafen, denn im Juni legte das Justizministerium ein neues Gesetzesprojekt vor: Diskriminierung soll als erschwerender Umstand im Strafgesetzbuch verankert werden. Lässt sich das Hauptdelikt also auf diskriminierende Motive zurückführen, muss das Gericht dies ins Urteil mit einfließen lassen. Die Maximalstrafe wird erhöht.

Mit dem Gesetzesprojekt reagiert das Ministerium auf eine Empfehlung der European Commission against Racism and Intolerance (Ecri) aus dem Jahr 2017. Die Ecri hatte diese in ihrem letzten Länderbericht zu Rassismus und Intoleranz in Luxemburg ausgesprochen, derzeit arbeitet die Kommission an einem aktualisierten Bericht über das Großherzogtum. Rezente Aufforderungen des EU-Rates dürften das Projekt ebenfalls vorangetrieben haben. Im März rief dieser die Mitgliedsstaaten dazu auf, bis Ende des Jahres Aktionspläne und Strategien auszuarbeiten, um den EU-Aktionsplan gegen Rassismus (2020) und die EU-Strategie zur Bekämpfung von Antisemitismus (2021) umzusetzen. Doch was heißt das konkret für die Betroffenen entsprechender Straftaten? Verhilft es ihnen zu mehr Sichtbarkeit, zu Gerechtigkeit?

„Malgré cette nouvelle loi, le CET reste sceptique quant à la réelle application de cette circonstance aggravante généralisée par les juges“, lautet die Prognose des Centre pour l’égalité de traitement (CET). In seiner im September veröffentlichten Stellungnahme zum Gesetzesprojekt führt das Zentrum seine Skepsis auf den bisherigen Umgang mit vergleichbaren Taten zurück. Es käme selten zu einer strafrechtlichen Verfolgung oder zu Sanktionen; Gesetze gegen Diskriminierung hätten in Luxemburg vor allem eine symbolische und pädagogische Wirkung. Nathalie Morgenthaler, Direktorin des CET, nennt im Mailverkehr mit der woxx Zahlen: 2020 habe es 183 Fälle von Aufruf zum Hass gegeben, 77 davon hätten zu einer Voruntersuchung geführt, in nur 15 Dossiers sei es zum Urteil gekommen. „Auch wenn die Strafmaßnahmen auf dem Papier verdoppelt werden, heißt das nicht, dass die Richter*innen diese strenger anwenden. Sie erhalten ‘nur’ einen größeren Handlungsspielraum“, führt sie weiter aus. „Papier ist geduldig, wie wir am Beispiel der Adem sehen.“

Misstrauen statt Exempel

Die Arbeitsagentur ist befugt, Arbeitgeber*innen, die wiederholt diskriminierende Stellenausschreibungen publizieren, zu bestrafen – das tut sie laut Morgenthaler jedoch nicht. Das CET mache die betroffenen Arbeitgeber*innen seit 2011 auf ihr Handeln aufmerksam und habe zunächst eine Liste mit den Namen der Firmen an die Adem weitergeleitet. Die Ansprechpartner*innen bei der Arbeitsagentur sollen das CET später in einem Gespräch gebeten haben, die Weiterleitung zu unterlassen und nur noch Wiederholungstäter*innen zu melden. Morgenthaler berichtet, dass selbst diese nicht bestraft werden und die Adem stattdessen einen kollegialen Ansatz verfolge. Zwar kommt es nach Statistiken des CET selten vor, dass Arbeitgeber*innen mehrfach diskriminierende Anzeigen veröffentlichen – 2022 fielen bisher in drei von 69 entsprechenden Stellenangeboten Wiederholungstäter*innen auf –, trotzdem lässt das Beispiel tief blicken.

Neben dem laschen Umgang mit bestehenden Gesetzen, sei es auch ein Problem, dass Betroffene die Vorfälle oft gar nicht erst anzeigen würden. Das hat für Morgenthaler unterschiedliche Gründe. „Es besteht praktisch keine Jurisprudenz, wenn es um Diskriminierung in Luxemburg geht, bis auf die Hassrede. Solange die Richter*innen kein Exempel statuieren, ziehen die Betroffenen nicht vor Gericht“, sagt Morgenthaler. Unter anderem die Studie „Le racisme et les discriminations ethno-raciales au Luxembourg“ bestätigt ihren Eindruck, wenn es um rassistische Diskriminierung und Angriffe aufgrund der Ethnie geht. 66,6 Prozent der Studienteilnehmer*innen, die von Rassismus oder ethnischer Diskriminierung betroffen waren, meldeten den Vorfall nicht – zumeist entweder aus einem Mangel an Informationen über Anlaufstellen und Prozeduren oder aus dem Gefühl heraus, eine Anzeige würde nichts ändern. Dasselbe gilt für die Opfer homo- oder transfeindlicher Gewalt in Luxemburg. Die Europäische Agentur für Grundrechte hielt 2021 in ihrer Studie „A long way to go for LGBTI equality“ fest: Nur 19 Prozent der diskriminierten Personen meldeten die Vorfälle. Weiter heißt es in der Studie, 21 Prozent der Gewaltopfer hätten sich aus Angst vor queerfeindlichen Reaktionen nicht an die Polizei gewandt.

Abgesehen von den erwähnten Studien, geben auch die Jahresberichte von CET, Bee Secure oder der Arbeitsgruppe „Recherche et information sur l’antisémitisme au Luxembourg“ (Rial) Aufschluss über die allgemeine Situation marginalisierter Personengruppen in Luxemburg. Das CET und Bee Secure führen Buch über die Anliegen ihrer Kontakte. So geht aus dem letzten Jahresbericht des CET hervor, dass Rassismus oder Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft der häufigste Grund für eine Kontaktaufnahme (60 von 203 Fällen) war. Insgesamt erstatten nur 10 Prozent der Betroffenen, die sich beim CET gemeldet haben, Anzeige. Der Bee Secure Stopline wurden letztes Jahr 291 Internetadressen gemeldet, die rassistische, revisionistische oder andersartig diskriminierende Inhalte vermittelten. 187 davon wurden als illegal klassifiziert. Und auch Rial legt in seinem letzten Jahresbericht Zahlen vor: 2020 hielt die Arbeitsgruppe 64 antisemitische Vorfälle in Luxemburg fest. Das stellt mehr als eine Verdoppelung seit 2018 (26 Fälle) dar.

Foto: CC BY-sparkle-motion NC 2.0

One-Pot-Statistiken

Kommt es zur Straftat, werden die verletzlichsten Personengruppen jedoch unsichtbar: Vonseiten der Polizei und der Justiz fehlt es an differenziertem Zahlenmaterial, wenn es um Straftaten gegen marginalisierte Personengruppen geht. Diskriminierung fällt unter die Artikel 454 beziehungsweise 457-1 des Code pénal: Dort werden die unterschiedlichsten Formen von Diskriminierung gruppiert und verurteilt. Die Statistiken der „autorités judiciaires“ erfassen die Unterschiede zwischen den einzelnen Formen der Diskriminierung aber nicht. Genauso verhält es sich mit Statistiken zu Straftaten, bei denen das Hauptdelikt ein anderes als Diskriminierung ist. In einer Statistik über Gewaltverbrechen in Luxemburg würde ein Fall wie der von Malte C. dementsprechend nicht als transfeindliche Straftat auftauchen. Dabei wäre die Benennung relevant, schildert die Tat doch die weltweit wachsenden Ressentiments gegen trans und queere Personen allgemein.

Dasselbe trifft auf Gewaltverbrechen mit antisemitischem Hintergrund zu, auch wenn Antisemitismus im aktuellen Jahresbericht der Polizei kurz zur Sprache kommt. Im Kapitel zu Antiterrorismus steht zum Beispiel, dass letztes Jahr 188 Hassaufrufe der rechtsradikalen Szene gemeldet wurden und es sich bei den 68 verfolgten Fällen mehrfach um Antisemitismus sowie Leugnung des Holocausts gehandelt haben soll. Genauere Zahlen liefert die Polizei in dem Bericht hierzu nicht. In der Zusammenfassung des Jahresberichts werden die genannten Vorfälle auch nicht explizit erwähnt, im Gegensatz zu ausführlichen Informationen darüber, ob Einbrecher*innen in bewohnte oder leerstehende Gebäude eingedrungen sind.

„Es wird nicht systematisch erfasst, welche sexuelle Orientierung oder religiöse Zugehörigkeit die mutmaßlichen Täter und Opfer haben, unabhängig der Straftat“, schreibt die Pressestelle der woxx auf Nachfrage zur Datenerhebung. Diese Informationen würden in den Protokollen nur festgehalten und weitervermittelt, wenn sie strafrechtlich relevant seien, wenn also beispielsweise ein Verdacht auf Rassismus bestehe. Aussagekräftige Statistiken zu den jeweiligen Tatmotiven zu führen, sei unmöglich, betont die Polizei und erklärt: „Einerseits ist das Motiv zum Zeitpunkt des Polizeieinsatzes unbekannt und kann erst später ermittelt werden; zum anderen handelt es sich immer nur um ein vermutetes Motiv. Vor Gericht kann sich im Nachhinein herausstellen, dass eine oder mehrere Motivation(en) hinter der Tat stecken.“ Im Zweifelsfall hängt es also zunächst von den Beamt*innen im Dienst ab, ob ein Delikt mit Diskriminierung in Verbindung gebracht wird oder nicht. Die Pressestelle der Polizei versichert in dem Zusammenhang, dass die Beamt*innen dahingehend geschult würden. Strafrechtliche Aspekte wie Rassismus oder Diskriminierung, aber auch der Umgang mit Betroffenen verschiedener Straftaten seien Teil der Grundausbildung. Bei Einsätzen würde außerdem darauf geachtet, dass beispielsweise nur Polizistinnen weibliche Betroffene betreuten.

Nathalie Morgenthaler findet es derweil bedauerlich, dass es keine differenzierten Statistiken zu Gewaltverbrechen und Diskriminierung gibt. Ohne Daten sei es schwer, Phänomene zu quantifizieren, und sie blieben deswegen Tabuthemen. Das Justizministerium pflichtet Morgenthaler in einer Mail an die woxx bei: „Die Differenzierung zwischen den einzelnen Formen von Diskriminierung ist wichtig, um die verletzlichen Personengruppen zu schützen, eben auch im Hinblick auf das neue Gesetzesprojekt.“ Trotzdem ist in diesem keine Rede von detaillierteren Kriminalstatistiken. Das Justizministerium bestätigte der woxx, dass keine Änderung der Datenaufarbeitung angedacht ist. Fälle, die mit Diskriminierung zu tun haben, werden demnach weiterhin in einen Topf geschmissen und die fundierte Analyse gesellschaftlicher Entwicklungen somit erschwert. Ähnlich inkohärent scheint, dass Justizministerin Sam Tanson (Déi Gréng) dieser Tage die „Déclaration Dublin“ zur Prävention häuslicher, sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt unterzeichnete, der Femizid in Luxemburg aber bis heute nicht per Strafgesetzbuch definiert ist. Daten dazu werden dementsprechend nicht erhoben, wie unter anderem das Europäische Institut für Gleichstellungsfragen in seinem thematischen Länderbericht festhält.


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