Koalitionsverhandlungen: Irgendwas mit Gleichheit

Was für eine Rolle spielen Rassismus und LGBTIQA+-Rechte bei den Koalitionsgesprächen? Und wie erleben entsprechende Organisationen die Zeit nach den Wahlen? Die woxx hat nachgefragt.

Xavier Bettel (DP) im Schatten von Luc Frieden (CSV): Welche Politik wird die CSV/DP-Koalition gegen Rassismus und für LGBTIQA+-Rechte führen? (COPYRIGHT: SIP/Jean-Christophe Verhaegen)

Die Koalitionsgespräche zwischen der CSV und der DP im Schloss Senningen laufen auf Hochtouren. Fast täglich erhält die Presse Fotos von Politiker*innen beider Parteien, wie sie gemeinsam über das Gelände schlendern oder am Verhandlungstisch die Köpfe zusammenstecken. Zum Auftakt der Gespräche wurden zwölf Arbeitsgruppen gebildet, die sich unter anderem mit den öffentlichen Finanzen, der Gesundheit oder Armutsbekämpfung befassen. Wer die Liste durchliest, sucht vergeblich nach einem gesonderten Punkt zu Anti-Rassismus oder den Rechten von LGBTIQA+-Menschen. Fallen diese Themen bei den Verhandlungen also unter den Tisch?

Nein, meint Serge Wilmes (CSV) auf Nachfrage der woxx. Der Präsident der CSV Stad und wiedergewählter Abgeordneter im Bezirk Zentrum versichert im Mailaustausch, die Dossiers würden in der Arbeitsgruppe „Organisation du vivre-ensemble et de la qualité de vie“ behandelt, unter dem Schlagwort „Chancengleichheit“. Die erwähnte Arbeitsgruppe bespricht außerdem Fragen zur Gebietsentwicklung, Mobilität, Kultur, Freiwilligenarbeit, Jugend, Familie sowie zum dritten Alter, Sport und zu Menschen mit besonderen Bedürfnissen. Eine zusammenhangslose Aneinanderreihung von Sujets, in der die Besonderheiten verschiedener Formen der Diskriminierung unterzugehen drohen.

„Les résultats de l’ADR et le retour du CSV nous font craindre le développement d’une critique de l’antiracisme au Luxembourg comme c’est le cas dans d’autres pays, appartenant autrefois à l’extrême droite mais qui s’est répandue dans les milieux conservateurs, avec un accent sur l’importance de l’appartenance à la nation“ 
(Sandrine Gashonga, Lëtz Rise Up)

Verwunderlich ist diese Aufteilung aber nicht: Sowohl die Bekämpfung von Rassismus als auch LGBTIQA+-Politik waren Nebensache im Wahlkampf. Die CSV und die DP schreiben den Themen in ihren Wahlprogrammen unterschiedlich viel Bedeutung zu, wobei sie bei keiner der beiden eine zentrale Rolle einnehmen. Hiervon ausgehend ist es schwer absehbar, was für eine Politik Luxemburg in diesen Bereichen erwartet.

Sandrine Gashonga, Mitbegründerin sowie Präsidentin der anti-rassistischen und feministischen Organisation Lëtz Rise Up, blickt mit Unbehagen auf die neue Regierung. Die DP verspreche in ihrem Wahlprogramm lediglich die allgemeine Bekämpfung von Diskriminierung und die Ausarbeitung des nationalen Aktionsplans gegen Rassismus. Letzterer wird seit diesem Jahr erstellt, laut Gashonga erst durch Druck anti-rassistischer Organisationen. Für die Aktivistin reicht der Aktionsplan allein aber nicht aus, es brauche weitere Studien, Weiterbildungen für Justizmitarbeiter*innen, Veränderungen in der Bildungsorientierung und allgemeine Sensibilisierung. „Étant donné que le ministre en charge de l’intégration et par extension de la lutte contre le racisme était de cette couleur politique, nous nous attendions à un peu plus de thématisation de cette partie dans leur programme“, kommentiert sie das Programm der DP.

One-Pot-Politik

Mehr noch beschäftigt sie die Stärkung der ADR und somit einer Partei, die mit ihrer Haltung Hassrede, Diskriminierung, Ungleichheiten und Ausbeutung fördere. „Les résultats de l’ADR et le retour du CSV nous font craindre le développement d’une critique de l’antiracisme au Luxembourg comme c’est le cas dans d’autres pays, appartenant autrefois à l’extrême droite mais qui s’est répandue dans les milieux conservateurs, avec un accent sur l’importance de l’appartenance à la nation“, sagt sie. „L’absence de mention du racisme dans le programme électoral du CSV serait-il le signe de ce glissement ?“ Im September lud Lëtz Rise Up Vertreter*innen von Déi Gréng, Déi Lénk, der DP, CSV, Fokus, LSAP und Piratepartei zu einem Rundtischgespräch ein, um über ihre Anti-Rassismus Politik zu sprechen. Dort reagierte Maurice Bauer (CSV) auf die fehlende Erwähnung von Rassismus mit dem Satz „D’Wierder mussen net drastoen, fir eppes ze maachen“.

Sowohl im Wahlkampf als auch im Zuge des Rundtischgesprächs ist für Gashonga klar geworden, dass es in Luxemburg an einem wahren Verständnis für Rassismus fehlt. „Il semble que la question du racisme soit encore noyée dans la question de l’intégration des étrangers, alors que ce sont deux problèmes aux origines différentes, avec des cibles souvent différentes, et donc avec des solutions à apporter différentes“, stellt sie fest. Beim Rundtischgespräch von Lëtz Rise Up sei es dem Großteil der Vertreter*innen unmöglich gewesen, ihre Redebeiträge zu beenden, ohne das Wort Ausländer*innen zu benutzen.

Dafür seien unter anderem die Autor*innen der Studie „Le racisme et les discriminations ethno-raciales au Luxembourg“ (2022) – der bisher einzigen Studie zu Rassismus in Luxemburg – verantwortlich: „C’est une situation en partie créée par le parti pris par les auteurs de la seule étude sur les discriminations ethno-raciales puisque celle-ci donne une définition du racisme non exclusivement liée à l’appartenance raciale, mais également au pays d’origine, à la nationalité, à l’habillement ou aux pratiques culturelles.“ Sandrine Gashonga kritisiert die scheidende Regierung allgemein dafür, zu spät konkrete Maßnahmen gegen Rassismus ergriffen zu haben. Bis auf den bereits erwähnten Aktionsplan habe sie nur die Studie in Auftrag gegeben. Auch dürfe niemand vergessen, dass sich unter Außenminister Jean Asselborn (LSAP) die Aufenthaltsfristen in den „centre de rétention“ verlängert hätten und Asylbewerber*innen aus der Ukraine anders behandelt worden seien als solche aus afrikanischen Ländern oder aus Nahost.

(Canva/Isabel Spigarelli)

Und was erwartet Lëtz Rise Up von der nächsten Regierung? Gashonga hofft auf die Beibehaltung des Aktionsplans gegen Rassismus, will prüfen, was am Ende drinsteht, inwiefern die Zivilgesellschaft eingebunden wurde und welche Mittel zur Umsetzung bereitgestellt werden. „Ce sont des questions sur lesquelles nous allons demander des réponses“, so die Aktivistin. Gespannt wartet sie auf die Ergebnisse der nächsten „Being Black in the EU“-Studie der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte, die am 25. Oktober veröffentlicht wird. Luxemburg hatte bei der Studie von 2018 schlecht abgeschnitten, was die Lebensrealität der betreffenden Menschen im Großherzogtum angeht. „Elle avait été un choc pour le Luxembourg, et la seconde ne devrait pas être moins catastrophique. Espérons qu’elle participe à encore plus de conscience sur le sujet du racisme“, sagt Gashonga.

Anders als sie beunruhigen die Wahlergebnisse Didier Osmin Schneider, Direktor des LGBTIQA+-Zentrums Cigale, und Max Lamesch, Präsident dessen Verwaltungsrats, weniger. „On est dans l’attente, évidemment“, sagt Lamesch gegenüber der woxx. Schneider stimmt ihm zu und beruft sich auf den Austausch mit den acht Gruppen des Cigale, in denen verschiedene Gruppen des LGBTIQA+-Spektrums zusammenfinden, darunter auch Eltern und Asylbewerber*innen.

Der DP gegenüber sind Schneider und Lamesch positiv gestimmt. Die Partei hatte bisweilen das Ministerium für Familie inne, das in der letzten Legislaturperiode für die Koordination der LGBTIQA+-Politik zuständig war. Die Vertreter des Cigale loben das Engagement und die Präsenz der ehemaligen Ministerin Corinne Cahen (DP) und ihres Nachfolgers Max Hahn (DP). Beide hätten das Cigale, das eine Konvention mit dem Ministerium unterhält, unterstützt. Lamesch räumt jedoch ein, dass die Fortschritte in der LGBTIQA+-Politik gegen Ende der Gambia-Ära stagnierten. Das Cigale sei deshalb nur mittelmäßig zufrieden mit der scheidenden Regierung. Der Präsident des Verwaltungsrats hebt im gleichen Atemzug aber auch Meilensteine hervor, wie die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe im Jahr 2014. Gambia erbte das Gesetzesprojekt von der CSV-LSAP-Regierung, die jenes bereits 2010 in der Abgeordnetenkammer vorgestellt hatte.

Alte und neue Feinde

Für Lamesch geht die Stärkung der CSV deswegen auch nur bedingt mit einer rückschrittlichen LGBTIQA+-Politik einher. Für eine konservative Partei sei die CSV eher progressiv. Obwohl die CSV mit Luc Frieden voraussichtlich einen Premierminister stellt, der sich in der Vergangenheit offen gegen die gleichgeschlechtliche Ehe stellte? „Après, on ne connaît pas les positions actuelles de Luc Frieden sur les questions sociales et LGBTIQA+, vu qu’il était ministre du budget, de la justice et de la défense“, meint Lamesch. In ihrem Wahlprogramm verspricht die CSV jedenfalls keine konkrete Strategie zur Stärkung der LGBTIQA+-Rechte; in ihren Antworten auf die Wahlprüfsteine der LGBTIQA+-Organisation Rosa Lëtzebuerg positionierte sie sich zu vielen Punkten unklar.

Gefährlicher als die CSV ist für Lamesch die ADR: „Pour l’instant le seul vrai ennemi des communautés, LGBTIQA+ sera Tom Weidig.“ Weidig wurde 2023 zum ersten Mal in die Abgeordnetenkammer gewählt. Neben rechtsex
tremistischen Haltungen macht Weidig auch keinen Hehl aus seiner Queerfeindlichkeit. Zuletzt hetzte er auf den sozialen Medien gegen eine Kinderbuchlesung der Drag-Figur „Tatta Tom“. Lamesch ist jedoch zuversichtlich, dass die Zivilgesellschaft Weidig Paroli bieten wird. „Cigale et Rosa Lëtzebuerg sont parvenues à l’époque à rassembler rapidement la société civile pour une lettre ouverte commune contre la queerophobie. La plupart des organisations qui défendent des valeurs similaires aux nôtres n’ont pas hésité à s’associer à la communication“, erinnert er sich. „Cela peut nous rassurer. Ceci dit, il faut suivre les débats de Tom Weidig dans la Chambre des députés et réagir.“

Die ADR dürfte auf der Oppositionsbank eine queerfeindliche Minderheit bleiben, teilt sie sich diese doch künftig neben der Piratepartei und Déi Lénk auch mit den Grünen und der LSAP – Parteien, welche die Rechte von LGBTIQA+-Menschen grundsätzlich verteidigen. Zwischen der CSV und der DP könnte es hingegen Unstimmigkeiten geben, zum Beispiel in Bezug auf die Legalisierung der Leihmutterschaft: Die CSV will die Leihmutterschaft in Luxemburg weiterhin verbieten, die DP will sie erlauben.

Beunruhigt dies die betroffenen Wunscheltern? Das hängt davon ab, wen man fragt. Für die G-Dads, der Cigale-Gruppe für gleichgeschlechtliche Väter, ist die Legalisierung der Leihmutterschaft keine Priorität. „Faisant partie du groupe G-Dads du Cigale, je peux vous dire que la légalisation des mères porteuses au Luxembourg ne figure pas parmi nos revendications. Notre priorité est la régularisation de la filiation des personnes concernés et de leurs enfants“, sagt Didier Osmin Schneider. Die LGBTIQA+-Organisation Rosa Lëtzebuerg misst der Legalisierung der Leihmutterschaft hingegen eine große Bedeutung zu und zählt sie sowohl in ihrem Forderungskatalog an alle Parteien als auch in einem offenen Brief an die CSV und die DP zu ihren Prioritäten. Das Schreiben vom 11. Oktober enthält fünfzehn Punkte, die es nach Rosa Lëtzebuerg in den kommenden Jahren prioritär abzuarbeiten gilt, wie etwa die automatische Anerkennung beider Elternteile bei gleichgeschlechtlichen Paaren oder die Anpassung der Auflagen der Gesundheitskasse zu trans spezifischer Gesundheitsversorgung.

Max Lamesch vom Cigale verweist auf Prioritäten, die er aus Gesprächen mit den Gruppenmitgliedern des Cigale ableitet: „La reconnaissance automatique de la filiation, la situation des demandeurs de protection internationale (dpi) ainsi que celle des personnes intersexes et trans – ces dernières étant toujours les plus touchées par la discrimination.“ Er hebt die Situation queerer Schutzsuchender hervor. Die Lage sei für alle Betroffenen desaströs, für queere Asylbewerber*innen aber besonders. Zurzeit gibt es beispielsweise keine gesonderten Unterkünfte für queere Schutzsuchende in Luxemburg. „Il y a de plus en plus de réfugiées queers. Ils sont vulnérables et ne sont pas en sécurité dans leur foyer d’hébergement“, so Didier Osmin Schneider. „Il y a des agressions, de la violence verbale et physique. Il va y avoir un drame si la situation dans les foyers ne change pas.“

In ihrem Wahlprogramm versprach lediglich die Piratepartei, separate Foyers für sie schaffen zu wollen. Die DP spricht sich dagegen aus, die CSV vertritt eine unklare Position. „Nous sommes en train de réfléchir comment nous pouvons mieux les aider, étant donné que le ministère de tutelle du Cigale (Ministère de la famille) diffère de celui qui traite des questions d’asile (Ministère des affaires étrangères)“, erklärt Lamesch. „Au Cigale, par notre groupe pour les personnes concernées, nous apprenons la souffrance que ces personnes vivent dans les structures.“ Zwar sei das Cigale unter anderem mit dem Office national de l’accueil im Gespräch, um Lösungen zu finden, doch sei das nicht leicht.

All diese Dossiers unter „Chancengleichheit“ abzuarbeiten, dürfte schwer werden. Dies passiert teilweise jedoch bereits auf kommunaler Ebene, wo manche Gleichstellungsbüros sich um die Belange verschiedenster Minderheiten kümmern müssen. Die woxx berichtete in dem Kontext über Personalmangel und ein erhöhtes Arbeitspensum, das den Büros viel abverlangt. Kommt es in der Nationalpolitik trotzdem zu einer ähnlichen Zusammenlegung? Rosa Lëtzebuerg fordert jedenfalls ein Ministerium für Diversität und Anti-Diskriminierung; die CSV und die DP stehen der Idee positiv gegenüber.


Cet article vous a plu ?
Nous offrons gratuitement nos articles avec leur regard résolument écologique, féministe et progressiste sur le monde. Sans pub ni offre premium ou paywall. Nous avons en effet la conviction que l’accès à l’information doit rester libre. Afin de pouvoir garantir qu’à l’avenir nos articles seront accessibles à quiconque s’y intéresse, nous avons besoin de votre soutien – à travers un abonnement ou un don : woxx.lu/support.

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?
Wir stellen unsere Artikel mit unserem einzigartigen, ökologischen, feministischen, gesellschaftskritischen und linkem Blick auf die Welt allen kostenlos zur Verfügung – ohne Werbung, ohne „Plus“-, „Premium“-Angebot oder eine Paywall. Denn wir sind der Meinung, dass der Zugang zu Informationen frei sein sollte. Um das auch in Zukunft gewährleisten zu können, benötigen wir Ihre Unterstützung; mit einem Abonnement oder einer Spende: woxx.lu/support.
Tagged , , , , .Speichere in deinen Favoriten diesen permalink.

Kommentare sind geschlossen.