Rassismus: Vom zahnlosen Tiger

von | 04.12.2025

Zum Jahresende stellt die Regierung den dringend erwarteten Aktionsplan gegen Rassismus vor. Kritisiert wurde er bereits Mitte Oktober. Über eine Strategie mit vielen blinden Flecken und leeren Worten.

(Foto: James Eades/Unsplash)

Mitten im Satz bricht das Gespräch ab. Nach ein paar Sekunden klingelt das Telefon erneut. „Das ist Teil des Problems“, sagt Andy Schammo vom Centre pour l’égalité de traitement (CET), dessen Stimme nun wieder klar zu hören ist. Er ist gerade im Bus auf dem Weg zur Arbeit, da er sich, wie viele aus seinem Team, ausschließlich ehrenamtlich beim CET engagiert. „Wir haben den fertigen Plan auch erst am Montag bekommen. Jetzt muss ich die Presseanfragen ein bisschen flexibel handhaben“. Das CET ist die unabhängige zentrale Anlaufstelle für Menschen, die in Luxemburg Diskriminierung erfahren haben. Für den Aktionsplan gegen Rassismus ist es Teil des Beratungsgremiums der beteiligten Ministerien. Die fehlende Kommunikation und Unterstützung seitens der Regierung sind nicht seine einzigen Kritikpunkte, trotzdem beginnt Schammo mit einem positiven Aspekt: „Das Gute ist, dass es diesen Aktionsplan gibt“ – keine Selbstverständlichkeit.

Der erste Dezember 2025 könnte fortan als historisches Datum angesehen werden. Fast 50 Jahre nachdem Luxemburg im Jahre 1978 die Internationale Konvention zur Beseitigung jeder Form von rassistischer Diskriminierung (ICERD) ratifiziert hat, stellten die Minister Max Hahn (DP), Georges Mischo (CSV) und Claude Meisch (DP) am vergangenen Montag einen erstmaligen nationalen Aktionsplan Antirassismus vor. Denn Rassismus, so Familienminister Hahn, sei besonders in drei Bereichen besonders ausgeprägt: Wohnen, Arbeit und Bildung.

Öffentliche Aufmerksamkeit bekam das Thema Rassismus in Luxemburg erstmals 2018, nachdem die Studie der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) „Being Black in the EU“ dem Großherzogtum einen schlechten Platz bescheinigte. 52 Prozent der Befragten gaben an, rassistisch belästigt worden zu sein. Elf Prozent hatten rassistische Gewalt erlebt (woxx 1520). Luxemburg, das sich nach außen gerne als tolerant und weltoffen präsentiert, musste sich einer unangenehmen Wahrheit stellen, tat dies aber nur zögerlich.

Zunächst gab es nur eine Diskussionsrunde, die hauptsächlich die ignorante Haltung in Teilen der Politik offenbarte (woxx 1554). Erst im Juli 2020, gab das Familienministerium dann auf Drängen der Abgeordnetenkammer, die durch die „Black Lives Matter“-Bewegung befeuert worden war, beim Luxembourg Institute of Socio-Economic Research (Liser) und dem Centre d’étude et de formation interculturelles et sociales (Cefis) die Studie „Le racisme et les discriminations ethno-raciales au Luxembourg“ in Auftrag. Zwei weitere Jahre später dann die Ergebnisse, die bestätigten, was den meisten schon klar war: Vor allem Personen afrikanischer Herkunft sind in Luxemburg Opfer von Rassismus und Diskriminierung. Allerdings seien auch arabische Muslim*innen und Portugies*innen stark betroffen (woxx1675). Vergangenen Montag, wiederum fast drei Jahre später, bildeten diese Zahlen den Ausgangspunkt eines Aktionsplanes, der das Ruder mit 23 Zielen und 128 Einzelmaßnahmen herumreißen will.

Nichts muss, alles kann

„Was uns fehlt, ist die Konkretisierung verschiedener Aktionen“, sagt Schammo vom CET, der sich trotz Vollzeitarbeit durch die 60 Seiten des Plans gekämpft hat. „Klar sind Ziele aufgelistet, aber wie kommen wir dahin? Nehmen wir das Thema Bildung als Beispiel: Da sind sehr viele Maßnahmen aufgelistet, aber wo kommen die Ressourcen her? Nicht nur die finanziellen, sondern auch die menschlichen Ressourcen? Wo nehmen wir plötzlich alle diese Expert*innen her?“

Das Thema Bildung ist eines von sechs Fokuskapiteln, die die Regierung mit dem Plan ins Visier nimmt. Dazu kommen noch die Bereiche Daten und Statistiken, Unterstützung für Opfer, Wohnraum, Arbeit und Sensibilisierung. Letztere ist dabei ein klarer Hauptpfeiler, der sich durch alle Kapitel zieht. So soll eine Weiterbildung mit dem Namen „Rassismus verstehen, um zu handeln“ ausgearbeitet werden, die den verschiedenen Zielgruppen im Bildungs-, Arbeits-, und Immobiliensektor „vorgeschlagen“ werden soll. Gerade Lehrer*innen seien von den vielen Weiterbildungen schon derart belastet, dass er ihnen nicht noch mehr aufbürden möchte, sagte Meisch bei der Präsentation. Dies gilt aber im Grunde für alle visierten Bereiche: Der Plan beinhaltet keine Quote oder wirkliche Verpflichtung. Zwischen den drei weißen, cis-hetero Männern mittleren Alters scheint demnach Konsens zu herrschen: Rassismus ist vor allem ein Problem, das entsteht, wenn Menschen andere unbewusst diskriminieren, etwa durch sogenannte Mikroaggressionen – Äußerungen und Handlungen, die Menschen aus bestimmten Gruppen abwerten. Eine Sichtweise, die viel zu kurz greift.

V.r.n.l. Georges Mischo (CSV), Max Hahn und Claude Meisch (beide DP) stellten vergangenen Montag den neuen Aktionsplan Antirassismus vor. (Foto: MFSVA)

Statt verpflichtende Aufgaben einzuleiten, will die Regierung Anti-Rassismus-Label mit dem Slogan „Je m’engage contre le racisme“ einführen, um die Bereitschaft privater Akteure zu erhöhen. Die Labels, deren genaue Form noch unklar ist, sollen nur vergeben werden, wenn bestimmte Kriterien erfüllt seien, jedoch sind diese im Plan nicht näher definiert, wie die Association de soutien aux travailleurs immigrés (Asti) gegenüber der woxx kritisiert: „Die Asti bleibt gegenüber dem Mehrwert eines solchen Instruments sehr skeptisch.“ Der Kritikpunkt war bereits Mitte Oktober vom Centre de Liaison des Associations d’étrangers (Clae) in einer Stellungnahme vorgebracht worden. Die Idee berge nämlich die Gefahr, ein reines Marketinginstrument zu werden: etwas, das sich vielleicht gut anhört und gut aussieht, aber keine tatsächliche Wirkung entfaltet.

Zudem vermisst das Clae, das in Luxemburg jährlich das Festival de Migration ausrichtet, eine umfassende Politik für die Aufnahme und Begleitung von Migrant*innen. Es mangele an einer kohärenten Strategie zur Inklusion, an belastbaren Daten sowie an Maßnahmen, die systemische Ungleichheiten nachhaltig reduzierten. Eine Möglichkeit dazu sähe das Clae in der Förderung einer interkulturellen Politik, die Vielfalt und kulturelle Praktiken als konstitutiven Bestandteil der Gesellschaft anerkennt – nicht bloß als Randerscheinung. Konkret bedeutet das: Räume schaffen, in denen Migrant*innen mit ihrer Kunst und Kultur sichtbar werden können.

Fehlende Kultur

Trotz der Vorschläge des Clae, widmet die Regierung dem Kultursektor im Aktionsplan kein eigenes Kapitel. Dabei sind Künstler*innen stark von strukturellem Rassismus betroffen. „Raum ist einer der deutlichsten Engpässe“, sagt der Künstler Uyi Nosa-Odia gegenüber der woxx. „Für viele migrantische Künstler*innen, insbesondere für schwarze und braune Künstler*innen, ist der Zugang zu angemessenen Ausstellungsräumen extrem begrenzt – es sei denn, sie finanzieren alles selbst oder drücken sich in kurzfristige Zeitfenster hinein.“ Wie etwa während des Black History Month, der seit 2023 stattfindet und die gesamte Sichtbarkeit für nicht-weiße Kunstschaffende in Luxemburg auf den Monat Oktober konzentriert. Nosa-Odia, der in der luxemburgischen Kunstszene unter dem Namen UNO bekannt ist, lebt seit acht Jahren in Luxemburg und ist auch als Kulturunternehmer und Mentor tätig. Seine vielfältige Rolle verschaffe ihm Möglichkeiten, die anderen migrantischen Künstler*innen verwehrt blieben. „Wenn es selbst für mich so schwierig ist, kann ich mir nur vorstellen, wie steil der Weg für diejenigen ist, die jünger, neu hier oder weniger gut vernetzt sind“, sagt er.

Bedacht ist der Kulturbereich im Plan durch den Vorschlag einer Weiterbildung, die zum Thema Rassismus sensibilisieren soll. Zudem solle das Musée national d’histoire et d’art (MNHA) eine Wanderausstellung zu Luxemburgs kolonialer Geschichte erstellen (woxx 1797). Die Idee ist nicht neu, hatte die Künstler*innengruppe „Richtung 22“ bereits 2021 Führungen zu Luxemburgs Kolonialgeschichte. Auch das MNHA hatte im Jahr 2022 eine Ausstellung zum Thema gezeigt. So wichtig und notwendig die geschichtliche Aufarbeitung dieser Zeit und die Beleuchtung der Rolle Luxemburgs auch sind, so darf dahinter nicht die Gegenwart migrantischer Kunst verschwinden.

Fehlende Intersektionalität

Ein weiterer Punkt, der bereits unmittelbar nach der Präsentation Kritik hervorrief, betrifft die fehlende Intersektionalität, also das Zusammenwirken mehrerer Diskriminierungsformen – etwa Rassismus, Sexismus oder Ableismus –, die sich nicht nur addieren, sondern gegenseitig verstärken und Betroffene besonders verletzlich machen. „In diesem Plan wurde wenig intersektionell gedacht“, unterstreicht Andy Schammo vom CET gegenüber der woxx. „Das heißt, die Mehrfachdiskriminierung oder die Mehrfachprivilegierung, die ja damit einhergeht, wird kaum berücksichtigt. Und dieser Ansatz ist in unseren Augen elementar, wenn man Diskriminierungsstrukturen aufbrechen und aufarbeiten will. Das fehlt uns.“

Kritik, die nach der Präsentation vor der Abgeordnetenkammer unter anderem auch von Marc Baum (déi lénk) hervorgebracht wird. Auf diese Anmerkung hin rechtfertigt sich Familienminister Hahn, dessen Ministerium das Federführende ist. Dem würde durchaus Rechnung getragen, deshalb seien ja dreizehn Ministerien beteiligt, um alle Maßnahmen möglichst zusammenzudenken. Obwohl im ersten Moment unklar ist, ob Hahn intersektionell mit interministeriell verwechselt, merkt er dann an, dass es ja auch Personen gäbe, die eine dunkle Hautfarbe und eine Behinderung hätten und vielleicht auch eine Frau seien. Dies führe dazu, dass die Aktionen „größer gedacht“ werden müssten. Bei der Durchsicht des Dokuments gibt es davon allerdings keine Spur. Lediglich als Schlagwort in den einleitenden Worten findet es Erwähnung.

Dabei ist dies ein Punkt, der besonders auch in Bereichen eine elementare Rolle spielt, die im Plan nur peripher behandelt werden: Polizei- und Justizapparat. „Ich habe festgestellt, dass Frauen mit einem Migrationshintergrund in ihren Kontakten mit Polizei und Justiz häufig mit Diskriminierungen konfrontiert sind“, sagt Rechtsanwältin Stéphanie Makoumbou gegenüber der woxx. „Diese äußern sich sehr oft in Stereotypen, die sich auf Sprache oder kulturellen Kontext beziehen. So kann es etwa vorkommen, dass einer Frau aus Westafrika, die körperliche, psychische und wirtschaftliche Gewalt beschreibt, im Jahr 2025 entgegnet wird, die von ihr geschilderten Gewalttaten seien kulturell akzeptiert und daher weniger schwerwiegend.“ Für Makoumbou, die sich für den Opferhilfeverein „La Voix de Survivant(e)s“ engagiert, sind die strukturellen Lücken Alltag: „Das Fehlen qualifizierter Dolmetscher*innen, institutionelle Vorurteile im Zusammenhang mit dem Aufenthaltsstatus sowie die Weigerung, Unterstützung zu leisten, wenn Betroffene keinen geregelten Aufenthaltsstatus haben …“, zählt Makoumbou auf. „Ich hatte einen Fall, in dem ein Polizeibeamter die Aussage meiner Klientin einfach nicht aufnehmen wollte, weil sie keine Papiere hatte. Der Aufenthaltsstatus darf niemals ein Hindernis für Schutz und Hilfe darstellen.“ Um die Situation zu verbessern, sei es aus ihrer Sicht unerlässlich, dass der neue Aktionsplan eine stärkere Ausbildung der Akteur*innen im Justizbereich (Polizei, Richter*innen, Anwält*innen) zu intersektionalen Diskriminierungen vorsähe.

Fehlende Repräsentation

Künstler*innen und Personen, die von Mehrfachdiskriminierung betroffen sind, sind nicht die einzigen, die die Regierungsstrategie im Regen stehen lässt. Das Clae bemängelte in seiner Stellungnahme die zu enge Fokussierung des Plans, der sich stark auf Rassismus gegenüber afro-descendanten Personen beschränkt und somit die notwendige gesamtgesellschaftliche Perspektive und die Vielfalt der Betroffenen in Luxemburg vernachlässige. Dabei haben vergangene Studien schon gezeigt, dass andere Gruppen mit Migrationshintergrund stark betroffen sind. Jüngst hatte die Statec in einem Bericht zu Arbeit und sozialer Kohäsion gezeigt, dass Menschen mit portugiesischer Nationalität einer hohen Armutsgefährdung ausgesetzt sind. Die Kritik der bewussten Reduzierung wird nicht von allen geteilt. Während das Clae eine umfassendere Abdeckung aller betroffenen Gruppen von Anfang an fordert, akzeptiert das CET den datengestützten Fokus auf die am stärksten betroffene Gruppe als einen notwendigen ersten Schritt, bei dem es jedoch nicht bleiben darf.

Beide Organisationen sind sich jedoch einig in der Forderung nach weitreichenderen Befugnissen des CET. Dieses hat bislang das Problem des „Tigers ohne Zähne“, wie es Schammo formuliert. „Wir sind ein bisschen abhängig vom guten Willen der Institutionen. Wir können Fälle analysieren, Empfehlungen geben und nachhaken – aber viel mehr bleibt uns eigentlich nicht übrig, weil wir keine anderen Schritte gehen können.“ Vor diesem Hintergrund sei nachvollziehbar, dass sich nur wenige Betroffene bei der Anlaufstelle meldeten. Die Ankündigung einer zusätzlichen Opferstelle sorgte daher eher für Irritation als für Orientierung. Aus CET-Sicht droht zusätzliche Verwirrung: Betroffene wüssten noch weniger, an wen sie sich wenden sollten, während zugleich das zentrale Problem – die fehlenden Kompetenzen des CET – unberührt bliebe.

Trotz aller Kritik will Schammo optimistisch bleiben. Derzeit liefen Gespräche über eine Reform der Gesetzgebung, die dem CET künftig ermöglichen soll, rechtliche Schritte einzuleiten oder Betroffene aktiv durch Verfahren zu begleiten. „Das ist für uns sehr wichtig, damit wir mehr etwas bewirken können“, sagt er. „Wir sind sehr gespannt, wie der neue Aktionsplan jetzt in der Realität aussehen wird. Und inwiefern diese Prozesse offen für Kritik oder erforderliche Änderungen sind.“ Der Plan sieht regelmäßige Evaluierungen vor. Eine erste Externe soll in fünf Jahren erfolgen. Wie gewillt die Regierung ist, vorhandene Lücken und Schwachstellen zu beseitigen, wird sich wohl erst dann zeigen.

Der nationale Aktionsplan Antirassismus wurde am 1. Dezember 2025 von der luxemburgischen Regierung vorgestellt und dient der erstmaligen systematischen Umsetzung der Internationalen Konvention zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (ICERD), die Luxemburg bereits 1978 ratifiziert hatte. Der Plan, der von 13 Ministerien unter Federführung des Familienministeriums erarbeitet wurde, umfasst 23 Ziele und 118 Maßnahmen und konzentriert sich auf sechs zentrale Bereiche, in denen Diskriminierung laut Studien am stärksten auftritt, darunter Wohnraum, Arbeit und Bildung. Die Umsetzung wird durch zwei Gremien überwacht: ein Steuerungsgremium mit Vertreter*innen der 13 Ministerien und ein Begleitgremium, das Vertreter*innen der Zivilgesellschaft und unabhängiger Institutionen umfasst, darunter CET, Okaju, Ombudsman und die Menschenrechtskommission.

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