Rechtsruck in Luxemburg: Gefangen in der Gegenwirklichkeit

Die Analyse war schon am Wahlabend klar: In Luxemburg gab es einen Rechtsruck. Neben CSV und DP, die jetzt eine Regierung bilden, triumphierte die ADR. Sie stellt eine Gefahr für alternative Lebensentwürfe und progressive Errungenschaften dar.

Können auch in der nächsten Legislaturperiode die Köpfe zusammenstecken: Fernand Kartheiser (links) und Jeff Engelen (rechts) von der ADR. (Foto: CC BY-ND 2.0 Chambre des députés)

Am Sonntagabend war bei der ADR Feierstimmung angesagt. Die Partei hat zwar nicht einmal einen Prozentpunkt zugelegt, konnte jedoch einen Sitz im Osten gewinnen. Vor allem durch das schlechte Ergebnis von Déi Gréng, denn die ADR selbst hat im Osten wie auch im Zentrum, möglicherweise durch Konkurrenz von Roy Redings neuer Partei „Liberté“, sogar leicht verloren. Der neue Sitz führt dazu, dass die Partei nun Fraktionsstärke erreicht und somit von finanziellen und organisatorischen Vorteilen im Parlament profitieren kann. Nach dem Referendum von 2015 und der Fusion mit „Nee 2015“ gab die ADR gerne an, 80 Prozent der Wähler*innen vertreten zu wollen – davon ist die Partei nach wie vor weit entfernt, trotzdem sieht sie sich in ihrer Ideologie bestätigt.

Grundsätzlich muss man feststellen: Rechte Parteien wurden am vergangenen Sonntag in Luxemburg gestärkt. CSV, DP und ADR verfügen mit 40 Sitzen im Parlament über eine Zweidrittelmehrheit, könnten also theoretisch die Verfassung ändern. Obwohl der wiedergewählte ADR-Abgeordnete Fernand Kartheiser mitten im Wahlkampf, am 22. September, einen eigenen Vorschlag für eine Verfassungsrevision im Parlament einbrachte und am 4. Oktober vorschlug, diese in einem Referendum absegnen zu lassen, ist es unwahrscheinlich, dass CSV und DP bald noch einmal über eine neue Verfassung reden wollen.

Neben den bisherigen Abgeordneten aus dem Norden und Süden, Jeff Engelen, Fernand Kartheiser und Fred Keup, werden Tom Weidig aus dem Zentrum und Alexandra Schoos aus dem Osten in der Abgeordnetenkammer Platz nehmen. Weidig ist als Mitbegründer von „Nee 2015“ kein Unbekannter; im Juni hatte der Vizepräsident der ADR auf sozialen Netzwerken zum Protest gegen die Dragqueen-Lesung von „Tatta Tom“ aufgerufen. Weidig dürfte eines der extremistischsten ADR-Mitglieder sein, seine menschenverachtenden Ansichten versteckt er kaum. So existieren zahlreiche Screenshots von Facebook-Postings, in denen er zum Beispiel „scherzhaft“ die NS-Besatzung Luxemburgs lobt oder Rassentheorie verteidigt. Ein Foto, auf dem Weidig vor einer Abbildung eines Hakenkreuzes in einer Ausstellung den Arm ausstreckt, hat der Abgeordnete in spe mittlerweile von seinem Facebook-Profil gelöscht.

Auch Jeff Engelen scheint es mit der Abgrenzung nach rechts nicht so ernst zu nehmen: Man müsse mit Rechts- wie mit Linksextremen reden können, so der Nord-Abgeordnete am Wahlabend gegenüber RTL. Anders als ihre Parteikollegen, gibt sich Alexandra Schoos für ADR-Verhältnisse fast schon progressiv – oder naiv. Die 35-jährige Tierärztin und Vizepräsidentin der Partei rückt als erste Frau überhaupt für die ADR in die Abgeordnetenkammer. Im Interview mit Radio 100,7 beteuerte sie ihren persönlichen Widerstand gegen Rechtsextremismus; in der Tageszeitung „L’Essentiel“ wird sie als Verfechterin der Frauenrechte zitiert.

Von der Rentenpartei zur 
selektiven Demenz-Partei

Schoos trat im selben Bezirk an wie Alain Vossen: Der ehemalige ADR-Kandidat gab im Juli seinen Rücktritt aus dem Wahlkampf bekannt, nachdem rechtsradikale Facebook-Beiträge von ihm öffentlich wurden. Seine Mitstreiterin Schoos will nichts von der rechtsextremen Gesinnung ihres Kollegen gewusst haben. Andernfalls hätte sie Vossen, so Schoos sinngemäß, nicht als Kandidaten toleriert. Auf die Verbindungen der ADR zu der fundamentalkatholischen und rechtsextremen französischen Partei Civitas ging die neugewählte Abgeordnete im Interview mit 100,7 derweil nicht ein.

Die Partei wurde auf Anordnung des französischen Innenministers Gérard Darmanin und nach Abstimmung des „Conseil des ministres“ am 4. Oktober zur Auflösung aufgefordert. Der Grund sind unter anderem antisemitische Positionen. Alain Escada, seit 2012 Vorsitzender der Civitas, war im Januar zu Gast bei einer Podiumsdiskussion der Sektion ADR International. Anne-Marie Yim, ehemalige Präsidentin der ADR International, soll ihn eingeladen haben. Thema des Abends war die Corona-Krise, Hauptredner war der umstrittene Mediziner und Corona-Leugner Christian Perronne. Wie Radio 100,7 später aufdeckte, hielt auch Yim eine antisemitische Rede, die Kartheiser eigenen Angaben zufolge ablehnend kommentiert haben soll.

Auch Schoos wehrte sich diese Woche bei 100,7 gegen die Aussage, ihre Partei drifte nach rechts. Vielmehr würden andere konservative Parteien sich immer stärker nach links bewegen: „Wir stehen heute da, wo die CSV vor 20 Jahren war.“ In dem Interview beteuerte Schoos, keine starke Abneigung gegen „woke“-Aktivist*innen zu haben, also gegen Menschen, die sich verstärkt gegen strukturelle Diskriminierung und Unterdrückung einsetzen. Damit deckt sich Schoos’ Position nicht mit der ihrer Partei. In Fred Keups X-Profil steht „against woke ideology“ und die ADR spricht sich sowohl in ihrem Wahlprogramm als auch in öffentlichen Debatten klar gegen eine sogenannte „Cancel Culture“ aus.

Im Gegenzug hetzt eine Partei wie die ADR aber selbst regelmäßig gegen Kulturangebote, die nicht in ihr Weltbild passen, wie etwa Lesungen und Theaterstücke für Kinder, die sich mit LGBTIQA+-Themen beschäftigen. Geht es um ihr unliebsame Themen, schimpft die Partei über ein „Ideologie-Korsett“ und will im Sinne der Kunstfreiheit auch die „Charte de déontologie“ im Kulturbereich abschaffen, die ein Kapitel gegen sexistische und queerfeindliche Diskriminierung beinhaltet.

Foto: CC-BY-SA GilPe/Wikimedia

Frauenrechte nur für hetero Frauen

Meint Schoos ihr Bekenntnis ernst, wird es spannend, wie sie sich künftig in solchen Diskussionen positioniert, auch wenn es um Frauenrechte geht. Die ADR ist eine anti-feministische Partei, forderte sie doch in ihrem Wahlprogramm die Abschaffung des Ministeriums für die Gleichheit zwischen Frauen und Männern, von Frauenquoten und Gleichstellungsbeauftragten allgemein. Darüber hinaus will die Partei die „procréation médicalement assistée“ (PMA) verbieten, was Frauen benachteiligen würde, für die eine Schwangerschaft nur über diesen Weg möglich ist. Noch dazu spricht sie queeren Paaren, also auch lesbischen Frauen, das Recht auf Heirat und Familiengründung ab, ist offen transfeindlich und gegen ein Recht auf Schwangerschaftsabbruch. Spricht die ADR über Frauenrechte, geht es demnach vor allem um heterosexuelle cis Frauen.

Fest steht, dass die Wähler*innen mit der ADR scheinbar nachsichtiger waren als mit den Grünen. Die Skandale der ADR wurden ignoriert, Déi Gréng gnadenlos abgestraft. Ganz zur Freude des ADR-Parteipräsidenten Fred Keup, der sich am Wahlabend auf RTL schadenfroh über die Niederlage von Déi Gréng freute. Die Grünen zu überholen, sei das Ziel der ADR gewesen, sagte Keup am Wahlabend auf RTL. „Unsere Programme, unsere Politik unterscheiden sich grundsätzlich voneinander. Es ist eine Frage von Ideen“, erklärte er dies gegenüber der woxx. „Entweder Sie wollen eine grüne Politik mit all den Verboten, die deren Verordnungen mit sich bringen, oder aber Sie wählen eine Politik im Sinne der individuellen Freiheit. Die Menschen haben sich entschieden.“

Keup hat Recht, denn das Debakel der Grünen und die Stärkung der ADR spricht für einen deutlichen Gesinnungswandel in der Gesellschaft. Vielleicht ist das sogar vielsagender als die Erfolge der DP oder der CSV, die leicht gestärkt wurden oder stagnierten. Beide Parteien zeigten sich diese Woche eher unbeeindruckt von den Zugewinnen der ADR. Carole Hartmann (DP), immer noch im Wahlkampfmodus, meinte auf 100,7: „Die DP ist Wahlsieger, nicht die ADR.“ Claude Wiseler (CSV) lehnte es ab, von einem Rechtsruck in Luxemburg zu sprechen; dafür sei der Erfolg der ADR zu gering. Die Einordnung der Ereignisse schien die Politiker*innen kurz nach den Wahlen jedenfalls weniger zu beschäftigen als der eigene Sieg.

Damit zeigt die ADR einmal mehr, dass die Leugnung unbequemer Fakten ausreicht, um Wähler*innen zu beruhigen. Was Donald Trump perfektioniert hat, haben Keup und Co. einfach übernommen. „Das ist Ihre Meinung“, antwortete Parteipräsident Keup etwa auf die Enthüllung, dass Dan Hardy, Fraktionssekretär der ADR, Symbole aus der deutschen Reichsbürgerszene als Profilbild bei Whatsapp benutzte. Auch den RTL-Bericht über die Verstrickungen mit Civitas quittierte die Partei mit der Aussage, Déi Gréng hätten die Affäre „inszeniert“, da ein Mitglied der Partei in dem Beitrag zu Wort kam. Gleichzeitig klagte sie bei der Alia und verbreitete den Namen der Journalistin überall – besser kann man unliebsame Journalist*innen gar nicht einschüchtern. Die Alia wies die Klage zurück.

Copy-paste Diskurs

Die ADR baut mit Postings in sozialen Netzwerken und Youtube-Videos im Stile von Nachrichtensendungen nicht nur eine Gegenöffentlichkeit auf, sie bietet eine Gegenwirklichkeit: Fakten gelten nicht, sondern nur noch das Bauchgefühl und der „gesunde Menschenverstand“. Dass sie damit nicht weniger ideologisch sind als ihre politischen Gegner*innen, ignorieren die Partei sowie deren Wähler*innen. Die ADR inszeniert sich als Vertreterin des wahren Volks gegen eine angebliche Verbotskultur und „Wachstum“, dafür aber für den Verbrennermotor und die Luxemburger Sprache. Letzteres ist, inklusive des Vorschlags, ein Referendum zum Thema Ein-Million-Einwohner*innenstaat abzuhalten, eine Absage an Migration und somit Rassismus, gut verpackt wie ein Weihnachtsgeschenk, von vielen Medien jedoch dankbar aufgegriffen.

Der ADR hilft natürlich auch die Stimmung gegenüber den Grünen in Deutschland. Der vergiftete Diskurs wird importiert – was die realen Pläne von Déi Gréng zu einem Heizungsgesetz sind, ist völlig egal: Hauptsache es lässt sich eine Polemik daraus ableiten. Das gilt nicht nur für ökologische Themen, sondern ist auch bei der zuvor erwähnten Hetze gegen „Tatta Tom“ zu beobachten, wo die Rhetorik der Alt-Right aus den USA kopiert wurde.

DP und CSV wollen es nicht wahrhaben, aber auch ihre Wahlkampfthemen sind Teil und Auslöser dieses Rechtsrucks. So präsentierten sich beide Parteien als Verfechter*innen von „Law and Order“-Politiken, vor allem in Bezug auf das hauptstädtische Bahnhofsviertel. Wundern muss sich niemand, dass Adrenalin-Präsident Maksymilian Woroszylo auf den Zug aufspringt und Tiktok-Videos vom angeblichen „Paradies für Kriminelle“ dreht. Bei den gleichzeitig zu den luxemburgischen Parlamentswahlen stattgefundenen Landtagswahlen in Hessen und Bayern stellte sich heraus, dass ein hoher Anteil von jungen Menschen, insbesondere junge Männer, die AFD wählten. Ob die Beliebtheit rechter Tiktoker*innen auch in Luxemburg zu einem Wahlerfolg für die ADR führte, lässt sich mangels Wahlforschung nicht so leicht herausfinden – beunruhigend ist die Tendenz allemal.

Jahrelang hat sich Luxemburg vorgegaukelt, es gäbe hierzulande keine rechtspopulistische Partei. Obwohl die Wahlerfolge der ADR sowohl 2018 als auch 2023 eher mäßig waren, sitzt sie nun in Fraktionsstärke im Parlament und kann ihre mediale Gegenwirklichkeit weiter ausbauen. Eine rechtsliberale Koalition wird dankbar ihre Stichworte und Themen aufnehmen, die linken Kräfte der Opposition haben bisher wenig erfolgsversprechende Ansätze dagegen gezeigt. Immerhin hat der Sprecher von Déi Lénk, Gary Diderich, am Wahlabend gemeint, man müsse künftig mehr „antifaschistische Basisarbeit“ leisten – eine wichtige Kampfansage.

ADR-Wahlergebnisse

Nationaler Durchschnitt: 
9,27 Prozent (+0,99)
Zentrum: 6,55 Prozent (-0,28)
Osten: 9,47 Prozent (-0,11)
Norden: 12,04 Prozent (+2,25)
Süden: 10,5 Prozent (+1,73)


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