Déi Gréng: Verwelkt

Nach herben Verlusten machen Déi Gréng sich auf die Suche nach den Ursachen ihrer Stimmverluste.

Ende September präsentierten Francois Bausch und Claude Turmes stolz ihre Fortschritte beim Ausbau der Elektromobilität – wohl kein sehr populäres Projekt, denn beide Minister verloren massiv an Stimmen. (Foto: MEA)

Auf einer großen Leinwand in einer der Rotondes wird RTL übertragen, gerade freut sich Fred Keup. Einen kurzen, sehr absurden Moment lang klatschen die Menschen auf der Wahlparty von Déi Gréng dem ADR-Parteipräsidenten zu. Dann wird die Fernsehübertragung abgebrochen und immer mehr grüne Spitzenpolitiker*innen betreten die Bühne. Die wenigsten von ihnen werden nach diesem Abend noch ein nationales Mandat haben. Sam Tanson hält eine kurze Rede, in der sie versucht, der Partei Mut zuzusprechen, und sich vor allem bei den Wahlkämpfer*innen bedankt. In diesem Moment sah es noch so aus, als könne die Partei lediglich drei Sitze im Parlament erreichen.

Schlussendlich reichte das nationale Ergebnis von 8,55 Prozent der Stimmen noch für vier Sitze. Ein Verlust von 6,57 Prozentpunkten, der für die Partei fünf Sitze weniger bedeutet. In den beiden kleineren Wahlbezirken Norden und Osten sind Déi Gréng nicht mehr vertreten, in letzterem waren die Verluste am höchsten. Die drei Minister Henri Kox, Claude Turmes und François Bausch haben massiv Stimmen verloren. Spitzenkandidatin Sam Tanson konnte hingegen sogar persönliche Stimmen hinzugewinnen. Joëlle Welfring war bisher noch bei keiner Parlamentswahl angetreten, während Meris Šehović 2018 noch im Osten angetreten war, sodass seine Resultate nicht wirklich vergleichbar sind. Lag der Anteil der Listenstimmen bei den vorigen Wahlen noch bei 62 Prozent, so ist er 2023 auf 56 Prozent gesunken – was auf weniger überzeugte Wähler*innen deutet. Eine generell schlechte Stimmung gegenüber Déi Gréng, schlechtes Abschneiden bei den Gemeindewahlen und sinkende Umfragewerte hatten darauf hingedeutet, dass die ökologische Partei bei den Wahlen Verluste erleiden würde. Doch mit Verlusten in dieser Höhe hatte wohl kaum jemand in- oder außerhalb der Partei gerechnet.

Eigentlich hatte die Partei schon wieder Hoffnung gefasst. In der letzten Runde der Spitzenkandidat*innen bei RTL hatte Sam Tanson eine gute Figur gemacht. Immer wieder hätten Menschen sie darauf angesprochen, erzählten Parteimitglieder auf der Wahl-„Party“ von Déi Gréng der woxx. „Vielleicht hat das die Situation ja wirklich verbessert. Wir wissen ja nicht, wie es vor einer Woche ausgesehen hätte!“, warf ein jüngeres Mitglied ein.

Auch wenn das Führungspersonal von Déi Gréng keine offiziellen Analysen machen wollte, spekulierten und analysierten Parteimitglieder bereits am Wahlabend. In der RTL-Runde von pensionierten Politiker*innen erklärte der frühere Fraktionssekretär Abbes Jacoby, die Corona-Pandemie trage eine Teilschuld an den Verlusten der Partei. Viele Sympathisant*innen seien impfskeptischer als die Partei und hätten ihr deswegen den Rücken gekehrt, so Jacoby. „Das ist Quatsch“, meinte ein Mitglied von Déi jonk Gréng gegenüber der woxx, „ich teile diese Analyse nicht. Das schlechte Wahlergebnis kommt eher daher, dass wir uns in der Koalition ständig über den Tisch ziehen haben lassen.“ Die Partei habe zu wenige ihrer Versprechen umsetzen können und zu viele Kompromisse machen müssen. „Die Stimmen innerhalb der Partei, die sich dafür eingesetzt haben, mehr zu machen, wurden nicht gehört“, so das junge Parteimitglied, das nicht namentlich genannt werden möchte. Ein Beispiel sei der Tankrabatt, der im Sommer 2022 beschlossen wurde. Als Punkt, an dem die Stimmung gegen die Partei gekippt sei, wird der eingestürzte Tunnel im Norden des Landes genannt, der das Ösling weitestgehend vom Schienennetz abschnitt.

Tunnel, Sicherheit oder doch nur Bashing?

Am Wahlabend zirkulierten auch andere Thesen: CSV, DP und ADR hätten gezielt Stimmung gegen Wohnbau- und Polizeiminister Henri Kox gemacht. Das Sicherheitsthema, das meistens mit Obdachlosen oder Drogenhandel im hauptstädtischen Bahnhofsviertel verbunden wird, wurde in der Tat vor allem von rechten Parteien besetzt. Mit Alleingängen wie der Anheuerung einer privaten Sicherheitsfirma in Luxemburg-Stadt wurde suggeriert, die Polizei und ihr Minister hätten die Kontrolle verloren. Im Wahlkampf dominierte das Thema jedoch nicht. Déi Gréng sehen sich trotzdem als Opfer von „Grénge-Bashing“, gezielter Stimmungsmache gegen die Partei, oft mit wenig Basis in der Realität. Auch sei eine antigrüne Stimmung aus Deutschland nach Luxemburg herübergeschwappt, hieß es in den Tagen nach den Wahlen von den Parteipräsident*innen Bernhard und Šehović in diversen Interviews. Die ADR sah in Déi Gréng ihre Hauptfeindin und machte ganz gezielt Stimmung gegen Klimamaßnahmen und vorgebliche Verbote. Dennoch ist es schwer vorstellbar, dass die grüne Kernwähler*innenschaft sich deswegen von der Partei abgewandt hat.

Haben sich diese von der ehemals pazifistischen Partei wegen der Übernahme des Kriegsministeriums und den Waffenlieferungen an die Ukraine abgewandt? Zumindest in den sozialen Medien verbreiten manche diese Theorie. Sie zu überprüfen wird schwer sein, denn in Luxemburg gibt es weder Exit-Polls noch Wähler*innenwanderungsanalysen, die Aufschluss darüber geben könnten. Was man jedoch deutlich sehen kann: Im Bezirk Zentrum waren die Verluste weit weniger stark als in den anderen Wahlbezirken. Die Hochburgen sind Schüttringen, Walferdingen und Luxemburg-Stadt, wo die Partei auf über 13 Prozentpunkte kommt. Je weiter man sich von der Hauptstadt entfernt, umso schlechter schneiden Déi Gréng ab. Im Norden konnte die Partei lediglich in Beckerich und Saeul ein zweistelliges Ergebnis einfahren, im Osten nur in Betzdorf. In Differdingen, ihrer einstigen Hochburg im Süden, erreichten déi Gréng nicht einmal mehr 5 Prozentpunkte. Auch das zeigt: Es war vermutlich kein einzelnes Ereignis, das zur grünen Wahlschlappe führte, sondern eine Verkettung von „Affären“, Rücktritten und unpopulären Entscheidungen.

Der Partei stehen nun harte Zeiten bevor. Zwar wurden die Regeln im Parlament so angepasst, dass keine „Groupe technique“ vonnöten ist – die würde im Gegenteil dazu führen, dass sowohl Déi Gréng als auch Déi Lénk weniger Redezeit zur Verfügung steht – doch ohne Minister*innen und mit weniger Abgeordneten steht der Partei auch weniger Geld zur Verfügung. Ob es möglich sein wird, alle Fraktionsmitarbeiter*innen weiter zu beschäftigen, ist unklar. Für Wahlwerbung und andere Parteikommunikation wird ebenfalls weniger Geld zur Verfügung stehen. Auch wenn die Zusammenarbeit im Parlament nicht institutionalisiert werden wird, so könnte eine mehr oder weniger geeinte Linke möglicherweise auch dazu anregen, von einem neuen politischen Projekt zu träumen. Doch auch dies muss für Déi Gréng keine Notwendigkeit sein: Am Mittwoch frohlockte Šehović auf X (vormals Twitter): „Wow, beinahe 40 neue Déi Gréng-Mitglieder seit dem Wahlsonntag!“ In einer internen Mail, die der woxx vorliegt, bietet die Parteileitung der Basis eine Möglichkeit an, anonym Feedback zu geben. Der parteiinterne Dialog soll in den nächsten Wochen durch Diskussionen gestärkt werden. Die herben Verluste vom 8. Oktober könnten durchaus eine neue Aufbruchstimmung in die Partei bringen. Dass selbst die schlimmste Wahlniederlage nicht unbedingt ein langes Verharren in der Opposition heißen muss, zeigten 2019 die österreichischen Grünen: Nachdem sie 2017 bei den Wahlen aus dem Parlament geflogen waren, katapultierten die Wähler*innen sie bei den Neuwahlen 2019 mit einem historischen Höchstand von 13,90 % in die Regierung.

In einer früheren Online- und in der Printversion dieses Textes wurde die Gemeinde Contern irrtümlicherweise dem Wahlbezirk Osten zugeordnet. Wir bitten die Einwohner*innen der Gemeinde Contern sowie des Wahlbezirks Osten, diesen Fehler zu entschuldigen.


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