Mit seinem neuen Buch „Wasserstand“ schaffte Luc François es 2023 auf die Shortlist des „Lëtzebuerger Buchpräis“. Eigentlich als Fantasy- und Science-Fiction-Autor bekannt, wagt er sich darin an den Roman noir. Ist ihm der Wechsel gelungen?
„Es war ruhig im Diner. Noch. Kaum eine Seele auf der Straße und auch drinnen nur zwei Tische besetzt. Abgehalfterte Gestalten, von Kaffee und blauem Dunst leidlich bei Sinnen gehalten.“ Der Anfang von „Wasserstand“ von Luc François, im Juli bei Kremart Edition erschienen, versetzt die Lesenden in eine typische Szene eines Krimis, nach dem Stil des Film noir. Die Stelle trieft vor Klischees, doch dann kommt der Twist: Die Szene entpuppt sich nach wenigen Seiten als Ausschnitt aus dem neuen Werk von Klaus Klopp, dem Hauptcharakter des Romans und ein in allen Belangen unterdurchschnittlicher Autor.
Bisher hat Klopp zwei Krimis geschrieben, die es nur auf den „Grabbeltisch am Bahnhofskiosk“ geschafft haben. Erschienen sind sie noch dazu bei einem einfallslosen Verlag, dessen literarischer Anspruch mit dem Motto des Verlegers, „Kleinvieh macht eben am meisten Mist“, beschrieben wird. Doch Klausi, wie der Schriftsteller auch genannt wird, hat Größeres vor: Er setzt sich das Ziel, sein neues Buch beim renommierten Nemo-Verlag unterzubringen, wo auch sein Kumpel Dirk arbeitet. Der hat gerade eine neue Reihe mit Büchern für jedermann angekündigt, unter anderem von dem erfolgreichen aber unausstehlichen Eugene V. Graves.
Alternierende Handlungsstränge
Und so variiert die Handlung von „Wasserstand“ zwischen Binnen- und Rahmenerzählung. François greift immer wieder Klopps Kriminalroman auf, rund um Trevor, die „Poltergeist-Bande“ und den abgehalfterten Polizisten Smith. Bei Klopps Manuskript handelt es sich zunächst um einen typischen Roman noir, der eine gewisse Spannung entwickeln kann, aber keine großen Besonderheiten aufweist. Dies ändert sich, als Klopp nach einer durchzechten Nacht beim Anblick eines Wasserglases einen Einfall hat: Trevor besitzt plötzlich die Fähigkeit, um jede Figur einen Wasserschleier zu erkennen, der deren Emotionen wiederspiegelt. Er kann nun ihren Wasserstand ablesen: „Es klebte Smith wortwörtlich am Körper. (…) Ich sah dem Spiel eine Weile zu, bis irgendwann der ganze Mensch nass war, von einem dünnen Wasserfilm überzogen.“
François gewährt im Verlauf der Rahmenhandlung aber auch immer tiefere Einblicke in Klaus Klopps Leben. Der Alltag des Schriftstellers spielt sich in den Momenten ab, in denen er vom Schreiben abgehalten wird – zwischen Telefonaten mit seinem Verleger Ernie, Gesprächen mit seiner Nachbarin Frau Schmidt – denen er beiden eigentlich aus dem Weg gehen will – sowie Kaffee-, Alkohol- und Nikotinkonsum. Und dazwischen versucht er, mit Social Media zurecht zu kommen. Außerdem ist da noch die komplizierte Beziehung zu seiner Familie, von der er sich entfremdet hat.
Der Besuch seines alten Freundes Dirk bringt dann alte Erinnerungen an die Oberfläche: Als Student hatte Klausi den Traum, ein erfolgreicher und beachteter Schriftsteller zu werden. Irgendwann scheint dieser Wunsch zum Greifen nah: Auf der Buchmesse „Globus“ hat Klausi die Chance, aus seinem letzten Roman zu lesen. Doch statt auf der großen Bühne stehen zu dürfen, muss er sich mit dem „Kleinen Kämmerlein“ begnügen. In „Wasserstand“ ereignet sich auf der Messe aber noch ein wichtiger Zwischenfall, der den Roman in eine neue Richtung lenkt: Bei einer Lesung von Eugene V. Graves kommt es zu einem Unfall, nach dem Klaus manisch an seinem neuen Werk schreibt. Er beginnt, sich darin zu verlieren.
Verschwimmende Grenzen
Bis dahin sind weder Klopps Roman noir noch der Handlungsstrang um den scheiternden Schriftsteller selbst besonders innovativ, doch mit dem Unfall beginnen die Grenzen zwischen den beiden Handlungen zu verschwimmen – und das hat einen deutlichen Mehrwert für François Roman. So fragt die Erzählinstanz irgendwann: „Wie ist dein Wasserstand, Klausi?“ Denn im Leben von Klaus Klopp gerät einiges durcheinander: Für die nächtlichen Eskapaden des Schreibrausches, bedarf es eines hohen Alkoholkonsums; am nächsten Tag wiederholt sich das Spiel. Die leicht zu erkennenden Parallelen zu Klaus alkoholabhängigen und allein lebenden Ermittler Smith, dürften kein Zufall sein.
Sowohl Klaus als auch seine Figur Smith benötigen dringend Hilfe von Außenstehenden, um wieder auf die richtige Bahn zu finden. Smith sträubt sich allerdings dagegen und selbst Klaus, sein Schöpfer, vermag ihm nicht zu helfen, wenn er schreibt: „Diese Szene hätte anders verlaufen sollen. Einen einsichtigeren Smith hatte ich mir vorgestellt. Nur woher sollte diese Einsicht plötzlich kommen?“
Neben den Erzählebenen, weicht François auch die Genrekonventionen auf. Groß darauf einzugehen würde zu viel des Romans vorwegnehmen, doch so viel sei gesagt: Das Ende des Buches hat weder viel mit Krimis noch mit einem klassischen Autorenroman gemeinsam, driftet stattdessen aber ein bisschen zu sehr ins Sentimentale ab.
Der Roman nimmt durch diese narrativen Experimente von Luc François dennoch deutlich an Fahrt auf, doch leider sind dann bereits zwei Drittel des Buches vorbei. Als Leser*in wundert man sich durchaus, warum es bis zu diesem spannenden Wechsel so lange gedauert hat. Trotzdem ist das Buch gut geschrieben: Der Stil des Autors liest sich flüssig und unterhaltsam, auch dank des durchgehend leicht ironischen Tons. Obwohl Françoisʼ Debüt bei Kremart Edition also nicht vollkommen gelungen ist, darf man durchaus auf das nächste Projekt des Autors gespannt sein, denn hier ist ein Schriftsteller am Werk, der Lust hat, sich auszuprobieren.