Roman über feministische Subversion: Das okkulte Feuer des Hasses

Drei junge Frauen, die sich aufmachen, eine Band und eine „Gemeinschaft hassender Mädchen“ zu gründen: In ihrem Roman „Gott hassen“ denkt die norwegische Autorin Jenny Hval über den Bruch künstlerischer Regeln nach und versucht zugleich, eine radikale Ästhetik feministisch zu grundieren.

Sucht nach einer Ästhetik jenseits der „siedenden Hexensuppe des Patriarchats“: Die Autorin und Musikerin Jenny Hval. (Foto: Baard Henriksen)

Das Mädchen steht zwischen seinen Mitschüler*innen, bereit für das Klassenfoto. Es ist eine jener Konventionen, die in der Schule befolgt werden, damit man sich später erinnern kann. Stillschweigend wird vorausgesetzt, dass alle das auch wollen. Dass es eine gute Zeit ist, dass es schöne Momente sind, die im Gedächtnis bleiben sollen. Auf diese Weise bekommt man sie von früh auf eingepaukt, die Nostalgie; gleichermaßen Droge des oft bloß erzwungenen Gemeinschaftsgefühls wie auch Betäubungsmittel für ungelebtes Leben. Das Mädchen, schwarz gekleidet, mit schwarzem Lippenstift, wird das inszenierte Bild jedoch verdunkeln und der Gemeinschaft eine Absage erteilen: Als der Fotograf zum Lächeln auffordert, sagt es: „zur Hölle“ – worauf die halbe Klasse sich erschrocken bekreuzigt.

„Wir sind umgeben vom Glauben an Magie, Verstöße, und der Angst davor, dass Frommheit und Glaube mit Sprache vernichtet werden können“, wird das zur Frau gewordene Mädchen die Szene rückblickend kommentieren. Wer sich also traut, mit der Sprache Grenzen und Konventionen zu überschreiten, dem scheint ungeheuerliche Macht gegeben.

So auch mit dem Satz „Ich hasse Gott“, mit dem das Buch beginnt. Das Mädchen, das mit der Ich-Erzählerin identisch ist, hasst auch das ganze christlich-konservative Milieu im Südnorwegen der 1990er-Jahre, in dem es aufwächst und in dem rassistische und homophobe Einstellungen salonfähig sind. Sogar die norwegische Sprache scheint sich dieser bedrückenden Atmosphäre unterzuordnen, eine Sprache, die laut der Erzählerin viele Worte für Fehler und Sünden bereithält, aber nicht die richtigen für Genuss. Sie sucht einen Weg aus dieser Sprache heraus, will etwas „aus der Sprache ausgraben; etwas, das weder in der Schrift noch in Bildern existiert, sondern nur in einem Zwischenraum“.

Jenny Hvals Buch „Gott hassen“ macht es zunächst absichtlich schwer, klar zu sehen, was im Zentrum des Interesses steht. Nur eines wird recht schnell deutlich: Es geht um Überschreitungen, die Missachtung von Grenzen, den Bruch von Regeln, die diktieren, wie man handeln, sprechen und nicht zuletzt auch schreiben soll.

In diesem Sinn hat das Buch viel mit dem kulturellen Hintergrund des Black Metal gemein, auf dessen Ästhetik es sich auch explizit bezieht. Hval belebt für kurze Zeit die radikale Kampfansage, die dieser Musikstil in den frühen 1990er-Jahren beinhaltete, der damals weit mehr als ein bloßes Genre war. Sie deutet die grimme, kalte Bildsprache an, von denen die Albumcover früher Meisterwerke wie Darkthrone’s „A Blaze in the Northern Sky“ geprägt waren: jene grobkörnigen Schwarz-Weiß-Fotos, deren Motive sich der eindeutigen Inaugenscheinnahme, dem sezierenden Studium entziehen zu wollen schienen, wie die Qualität der Tonaufnahmen ein gewollter Dilettantismus, resultierend in perfekt inszenierter eiskalter, seelenloser Anderweltigkeit.

Nur langsam sickert das Thema einer Geschichte in die im Stil autobiografischer Notizen gehaltene Erzählung ein: Es geht um eine junge Frau, die sich an ihr Aufwachsen in Norwegen erinnert und die ein Drehbuch für einen Horrorfilm schreiben will. „Ich weiß noch nicht, worum es gehen soll, aber ich mag die frühe Black Metal-Ästhetik, die nur um Haaresbreite von meiner Jugend entfernt ist“, notiert sie: „Es erfüllt mich mit Hoffnung, dass Kunst auf so primitive Weise entstehen kann, ohne Spuren von Professionalität oder Kompromissen. Kunst, die Hass enthält. Ich denke, wie viel Hoffnung im Hass steckt.“

Noch immer werde ihr „warm vor Freude“, wenn sie den Satz sagt, der dem Buch den Titel gibt, so die Erzählerin, und betont die körperliche Dimension solcher Überschreitungen: „Ich genieße das brennende Gefühl der Scham, und spüre, wie die Wangen anschwellen und im heißen Feuer der Ausgrenzung glühen.“

Es ist ein eigentümliches Buch, das Jenny Hval geschrieben hat und das sich über weite Strecken liest wie ein Rückblick auf ihre eigene Jugend, obwohl dieser Eindruck vielleicht gar nicht zutreffend ist. 1980 geboren, wurde Hval zunächst als Musikerin bekannt, ehe sie 2009 mit ihrem Roman „Perlenbrauerei“ als Schriftstellerin debütierte. Als experimentelle Singer-Songwriterin mache sie „provokante Musik“, die sich „auf bestürzend direkte Weise mit Gender und Sexualität auseinandersetzt“, stand im Online-Musikmagazin „Pitchfork“ vor zehn Jahren über sie zu lesen. Mit Black Metal hat der Sound der Solokünstlerin, die Kate Bush als Inspiration nennt und wegen ihres Gesangs bisweilen mit Laurie Anderson verglichen wird, klanglich gar nichts zu tun.

„Wenn es irgendetwas gäbe, das heute noch subversiv wirkt, was könnte das sein?“

Die Motivation ihres Schreibens dafür umso mehr. Wie im frühen Black Metal ist es die Suche nach einer Ästhetik der Drastik, die ihrem Buch zugrunde liegt; allerdings sucht Hval nach einer Ästhetik, die ihren radikalen Anspruch nicht sogleich wieder an Rassismus, Homophobie, Frauenhass und Antisemitismus verrät. Nicht zufällig ist es ein Skript für einen eher blutigen Horrorfilm, das die Protagonistin des Buches schreiben will, denn „Blut hat keine Nationalität, keine Religion und kein Geschlecht“. Vielleicht müsse sie versuchen, so zu schreiben, „wie es Black Metal in seiner abstraktesten Phase getan hat“, wo sich „alles anhörte wie ein einziger Schrei, ein mit formlosen Bestandteilen angefüllter Raum“.

Dieser Schrei, die Raserei dieses Musikstils, ist ebenso der Versuch, eine ästhetische Form für den verspürten Hass zu finden, wie er die Wut über die scheiternde Suche nach einer Formsprache ausdrückt, die radikal genug ist, um die Unerträglichkeit der Welt mit ihren das Leben verleugnenden Zwängen zu sprengen. In seinen Anfängen war Black Metal für Momente auf Haaresbreite an einer solchen radikalen Ästhetik dran, wie Hval nahelegt. Er hat „etwas Schweres und Gefährliches freigelegt“, schreibt sie, doch dann verriet er seine Kompromisslosigkeit an Gemeinschaftskult, Nostalgie und Reaktion: „Durch die blinde, jungenhafte und mythologische Faszination ist er heller und heller geworden, weißer und weißer“, so die Ich-Erzählerin, „das Heldendrama, die Hierarchie, die Geschlechtertrennung, der Autoritarismus, die Xenophobie und die Stille werden zu seinen definierenden Elementen – Dinge, die ohnehin schon die Gesellschaft definieren.“

En passant liefert Jenny Hval in ihrem Roman eine Abrechnung mit dem Black Metal. Dieser habe sich angepasst und sei zum Mainstream geworden, habe sich von der Subkultur reingewaschen, auf die selbe verräterisch-opportunistische Weise „wie die Sozialdemokratie den Sozialismus weggespült hat“. Er sei kein Protest und keine Warnung mehr, sondern zum Spielplatz für unsichere Männer geworden, „die sich eine Zeit zurückwünschen, in der sie stark hätten sein können“.

Platz für Frauen gab es dort ohnehin nie so recht, auch deshalb sieht sich die Protagonistin gezwungen, sich eine andere Form des Ausdrucks zu suchen. „Gott hassen“ ist ebenso sehr ein Roman über das Scheitern des Black Metal als einer Ästhetik der Drastik wie der Versuch, eine solche feministisch zu grundieren. Dazu zählt auch die in dem Text immer wiederkehrende Dimension der Körperlichkeit; die Erinnerung daran, dass der Körper, Sitz all dessen, was von Religion und Moral verpönt wird, die Basis jeder sinnlichen Wahrnehmung ist.

Foto: Eskil Olaf Vestre, NRK P3/Flickr

Wie eine die traditionellen erzählerischen Formen sprengende Form aussehen könnte, untersucht Hval anhand der mit ihren Reflexionen verwobenen Geschichte. In ihr freundet sich die Ich-Erzählerin mit zwei jungen Frauen an, gründet eine Band mit ihnen (oder ist es ein Hexenzirkel?), und sorgt damit für den „Beginn einer expandierenden Gemeinschaft hassender Mädchen“. Gemeinsam durchstreifen sie Oslo, spielen Konzerte, versuchen „eine neue Form des Lieds zu beschwören“, neue Formen zwischenmenschlicher Beziehungen zu ergründen, in denen Körperlichkeit und damit Lebendigkeit und Sexualität ebenso wie Hinfälligkeit und Vergänglichkeit zur Sprache kommen können. Zwischen den erzählerischen Szenen, die in ein surrealistisch anmutendes, atemloses Finale münden, findet sich jedoch immer wieder die Frage nach dem Wollen der Kunst, nach der von Hvals Protagonistin auch explizit gestellten Frage: „Wenn es irgendetwas gäbe, das heute noch subversiv wirkt, was könnte das sein?“

Dies ist das eigentliche Thema des Buches, und so ist der Roman nicht zuletzt eine philosophische Reflexion über die Suche nach radikalen ästhetischen Formen und und darüber, wie sich in diesen Formen eben jene gesellschaftliche Konventionen niederschlagen, die man doch eigentlich niederzureißen und zu überwinden versucht. Konventionen, die sich in formalen Regeln sedimentieren, die jede subjektive Struktur zähmen und ihrer Fantasie berauben, die jene Hierarchien reproduzieren, die es doch gerade zu überwinden gilt. Sie wolle sich an der Kunstgeschichte „rächen“, so die Erzählerin.

Mit den in ihrem Roman 
präsentierten Überlegungen 
nähert sich Hval den Arbeiten 
von Philosophinnen wie Rita Bischof und Elisabeth Lenk an.

Aller Wut zum Trotz begeht Jenny Hval dabei nicht den Fehler, zu einem modernen Bildersturm aufzurufen, im Glauben, eine adäquate ästhetische Form könne ohne historische Voraussetzungen sein. Stattdessen will sie die in den etablierten und pseudosubversiven Formen mitgeschleiften Hierarchien und Machtverhältnisse restlos entlarven, darunter nicht zuletzt „die ganz eigene, siedende Hexensuppe des Patriarchats“.

Wie das gehen kann, deutet die Ich-Erzählerin im Verlauf der Geschichte an: „Vielleicht müssen wir alle Definitionen, die wir von Kunst haben, töten. Denn kennzeichnet die Kunst nicht gerade die Trennung der ästhetischen Praxis von Ritualen, Magie und Revolten? Rituale, Magie und Revolten: Das sind die dicken Pinsel, das ist die schlechte Kunst.“

Mit solchen Überlegungen nähert sich Hval den Arbeiten von Philosophinnen wie Rita Bischof und Elisabeth Lenk an, die sich auf den Spuren von Autoren wie Georges Bataille und Walter Benjamin mit der herrschaftlichen Funktion der Aufspaltung der sakralen Sphäre, aus der die Kunst entsprungen ist, in einen reinen, höheren, göttlichen und in einen unreinen, niederen, dämonischen Teil auseinandergesetzt haben. War Kunst einst integraler Bestandteil des archaischen Rituals, das ihr seine Formen und Inhalte aufprägte, führte die Zivilisationsgeschichte zu einem Primat von Verhaltensweisen, die mit der herrschenden Vernunft konform sind, und zum Ausschluss von allem, das als unproduktiv, verschwenderisch und den Leidenschaften zugeneigt erscheint. So kam es auch zur Vorherrschaft einer idealistischen Ästhetik, die alles verabscheut, was deren Normen und Formgesetzen nicht entspricht. Gegen dieses Diktat der etablierten Formen und des Schönen gab es in der Kunstgeschichte immer wieder aggressive Revolten; und zwar Revolten gegen die Form an sich, so Rita Bischof: „Es scheint, als würde sich das aus der Darstellung Verdrängte an der Konstruktion einer idealisierten Welt rächen, indem es mit beispielloser Gewaltsamkeit über diese herfällt.“ Die von einem idealistischen Kunstbegriff als grotesk, abstoßend und unförmig gescholtenen Formen „gleichen in ihrer Zerrissenheit dem Schrei, mit dem die geschundene Kreatur gegen die ihr aufgedrängte Form, die Vernunftform, protestiert“.

Es sind diese verpönten Formen und ihre sinnlichen Repräsentationen, denen Jenny Hval einen Platz zu geben versucht. Immer wieder deutet sich dabei an, dass der Hass auf die etablierten Formen in die, wie Bischof es formuliert, „apokalyptische Zerstörung ethisch organisierter Wahrnehmung“ kippen kann. Das Potenzial dafür hatten auch die Nationalsozialisten verspürt und zu nutzen versucht, wie Batailles Schriften zeigen, und die reaktionären, nazistischen Züge im Black Metal korrespondieren mit diesem Gespür. „Und niemand fragt nach dem Grund für den Hass“, heißt es an einer Stelle des Buches. Hval fragt nicht nur, sondern bemüht sich, eine Antwort zu finden – im Ringen um eine Ästhetik, die nicht mehr die Züge der Herrschaft trägt.

Jenny Hval: Gott hassen. Aus dem Norwegischen von Clara Sondermann. März Verlag, 240 Seiten.

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