Spielempfehlung: Pentiment

Ein Point-and-Click-Adventure, das in einem bayrischen Kaff im ausgehenden Mittelalter spielt – ein Konzept, das erstmal merkwürdig klingt. Eine virtuelle Reise nach Tassing lohnt sich aber auf jeden Fall.

Andreas Mahler lernt im Kloster Kriesau die Feinheiten der Buchillustrationen. Pech für ihn, dass sich kurz vor Fertigstellung seines Meisterwerkes ein Mord ereignet. (Screenshots: Obsidian Entertainment)

Andreas Maler ist ein Künstler, der kurz davor ist, zum Meister zu werden. Nach einigen Wanderjahren arbeitet er 1518 im bayrischen Kloster Kiersau an seinem Meisterwerk. Das, um von den Mönchen, die Manuskripte anfertigen und illustrieren, zu lernen. Sein Aufenthalt in dem Kloster nahe der fiktiven Ortschaft Tassing wird jedoch vom Mord an Baron Rothvogel überschattet. Der Adelige hatte das Kloster besucht, um den Fortschritt eines von ihm in Auftrag gegebenen Kunstwerkes zu begutachten. Daher wird auch sofort der Mönch Piero verdächtigt – der war mit seiner Arbeit in Verzug.

Piero ist aber auch Andreas’ Mentor und Freund. Der Künstler kann nicht glauben, dass der alte Mönch einen Mord begangen haben soll. Daher macht er es sich zur Aufgabe, möglichst viele Hinweise zu sammeln, um den*die wahre Täter*in ausfindig zu machen. Viel Zeit hat er nicht: Schon bald wird der Erzdiakon von Freising in Tassing eintreffen und ein Urteil fällen. Wenn Andreas seinen Mentor vor einem Todesurteil retten möchte, muss er gute Argumente vorbringen. Er stößt dabei immer wieder auf merkwürdige Notizen, die in einer sehr verschnörkelten Handschrift gehalten sind und darauf deuten, dass jemand versucht, im Geheimen die Strippen zu ziehen und den Mord an Rothvogel orchestriert hat.

Das Spielgeschehen ähnelt einem klassischen Point-and-Click-Adventure: Man steuert Andreas durch Tassing, redet mit unterschiedlichen Charakteren, sammelt Spuren und löst mitunter kleinere Rätsel. Manchmal gibt es auch kurze Sequenzen, in denen Andreas durch ein Labyrinth gelotst werden muss oder er lernt, wie man Wolle spinnt. Manche Gespräche werden beim Essen geführt: Neben den richtigen Fragen müssen die Spieler*innen hier auch auswählen, was Andreas in welcher Reihenfolge isst. Welche Schlüsse man aus den vielen Unterhaltungen zieht, ist einem selbst überlassen: Am Ende der Untersuchung will der Erzdiakon Andreas’ Meinung hören – und lässt sich damit womöglich in seinem Urteil beeinflussen.

Alles ist illuminiert

Gestaltet ist das alles im Stile mittelalterlicher Illustrationen, wie sie Andreas selbst anfertigt. Der Zeichenstil ist allerdings realistisch, was bei den Tierwesen in den Marginalien so mancher Manuskripte nicht immer der Fall ist. Sie bevölkern jedoch das Pausenmenü des Spiels. Ein sehr interessantes Feature ist die Art und Weise, wie Text präsentiert wird. Da es keine Sprachausgabe gibt, reden die Charaktere mithilfe von Sprechblasen. Die Schrift, in der ihre Aussagen gehalten sind, ändert sich, je nachdem welchen Bildungsgrad oder Beruf sie haben: Einfache Handwerker*innen, Bauern und Bäuerinnen „reden“ in einer simplen Handschrift, während die Worte der Mönche in schönster Fraktur dargestellt werden. Der Buchdrucker, mit dem Andreas befreundet ist, wird selbstverständlich mit einer frühen Druckschrift dargestellt.

Es bleibt für Andreas jedoch nicht bei einem Mordfall. Jahre später kehrt er nach Tassing zurück. Er ist mittlerweile ein bekannter Künstler mit Kund*innen in ganz Europa. Auf seinen Reisen wird er von seinem Lehrling Caspar begleitet. Zufälligerweise passiert wieder ein Mord in Tassing und Andreas ist als Außenseiter wieder einmal in der Rolle, mehr oder weniger objektiv zu dem Fall ermitteln zu können. Pikanterweise hat sich die soziale Lage in dem Ort während seiner Abwesenheit zugespitzt und die Bauern und Bäuerinnen fühlen sich so sehr von der Abtei unter Druck gesetzt, dass sie einen gewaltsamen Aufstand in Erwägung ziehen …

Oft kommen unbekannte, veraltete Begriffe in Pentiment vor. Auch wer die vielen unterschiedlichen Charaktere sind, ist nicht so leicht zu merken. Zum Glück gibt es ein ausgiebiges Glossar, das mit einem Klick aufrufbar ist.

Der dritte und letzte Teil des Spiels dreht sich nicht mehr um Andreas Mahler, sondern um Magdalene, die Tochter des Buchdruckers. Sie soll ein Wandgemälde in dem neu errichteten Rathaus von Tassing gestalten. Dabei fällt ihr die schwierige Aufgabe zu, die Geschichte des Orts, von seinen römisch-keltischen Ursprüngen über die Christianisierung bis hin zu den Ereignissen der letzten zwanzig Jahren so darzustellen, dass sich möglichst niemand auf die Füße getreten fühlt – und die Realität dennoch wiedergegeben wird.

Keine Reue nach dem Kauf

Obwohl gerade der erste Akt ziemlich nach Umberto Ecos Roman „Der Name der Rose“ klingt, gelingt es Pentiment, eine eigenständige Geschichte zu erzählen, die visuell absolut stimmig umgesetzt ist. Die Entwickler*innen von Obsidian – einem recht großen Studio, das sonst eher 3D-Action-Blockbuster produziert – haben viele Barrierefreiheits-
optionen eingebaut, sodass das Spiel von möglichst vielen Menschen gespielt werden kann.

Der Titel Pentiment bezieht sich auf den italienischen Fachausdruck „Pentimenti“, der sich mit „Reuestriche“ übersetzen lässt. Es handelt sich um Spuren von Veränderungen, die auf Gemälden oder Malereien hinterlassen wurden. Mittels moderner Technik können Kunsthistoriker*innen heute genau sehen, welche ursprünglichen Ideen im Laufe des Schaffensprozesses wieder verworfen wurden. Die Idee des Übermalens und der Reue, nicht gleich eine gute Idee gehabt zu haben, passt sehr gut zu den Ideen, die Pentiment vermittelt.

Einerseits stellt man sich als Spieler*in oft die Frage, warum man nicht eine andere Option ausgewählt hat, andererseits bereut gerade Andreas sehr viele Entscheidungen in seinem Leben und versucht vor allem im zweiten Akt, seine Reuestriche in Tassing zu zeichnen und die Geschichte geradezurücken. Pentiment ist aber nicht nur die Geschichte Andreas Mahlers: Sie ist auch die Geschichte der Gemeinschaft in dem kleinen bayrischen Ort, des Klosters und der Gesellschaft in Mitteleuropa am Übergang zwischen Mittelalter und Neuzeit.

Pentiment ist für PC und Xbox erschienen 
und kostet etwa 20 Euro. Das Spiel ist im 
Xbox Game Pass enthalten.

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