Survivalguide für die Menschheit: Alle meine Krisen

Muss der Klimaschutz erste Priorität werden, auf Kosten anderer politischer Imperative? Der neue Bericht an den Club of Rome hebt eher die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen globalen Herausforderungen hervor.

„Ein Schlüssel für den Weg in eine faire Welt liegt im schnellen Übergang zu einer nachhaltigeren Welt“, heißt es in einem Kommuniqué des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) zum neuen Bericht an den Club of Rome. Richtig, das mit der Transition muss schneller gehen. Mehr Solarzellen, Elektroautos und Tofuburger. Gewiss, es gibt noch andere Probleme: die Wirtschaftskrise, die sozialen Ungerechtigkeiten, der Krieg in der Ukraine, aber sie lenken von der dringlichsten Bedrohung, der Klimakrise, ab. Wollen wir wirklich das Wachstum im globalen Süden ankurbeln, statt die Transition einzuleiten, damit diese Länder endlich weniger CO2 ausstoßen? Sollten die Kaufkraftverluste statt ausgeglichen eher als Aufforderung zum Ressourcensparen genutzt werden? Und lautet nicht die wichtigste geopolitische Lektion seit Anfang des Jahres einfach, dass wir unsere Abhängigkeit von nichtwestlichen Staaten reduzieren müssen? Das bringt auch den sozial Benachteiligten etwas, denn sie wären von noch mehr Klimawandel am meisten betroffen.

Die Idee, dass die ökologische Transition erste Pflicht aller Weltbürger*innen sei, mag Mittelschichtler*innen im globalen Norden zusagen, eine adäquate Strategie zur Lösung der planetaren Probleme ist es aber nicht. Unter anderem droht eine weltweite Schuldenkrise, die vielen Ländern im Süden die letzten klimapolitischen Handlungsspielräume nehmen wird. Auch die Zunahme der sozialen Ungleichheit innerhalb der und zwischen den Ländern nimmt zu – mit Folgen für die Innen- und Außenpolitik. Und in der Zeitschrift Foreign Affairs beschreibt der Diplomat Shivshankar Menon eine Weltordnung ohne Ordnung, in der Gruppen von Staaten „lokale Lösungen für lokale Probleme“ suchen – was nicht geeignet sei, die „großen globalen Herausforderungen“ anzugehen.

Man könnte den Satz vom Potsdam-Institut einfach umdrehen: „Ein Schlüssel für den Weg in eine nachhaltige Welt liegt im schnellen Übergang zu einer fairen Welt.“ Und tatsächlich: Sieht man sich die Vorstellung des demnächst erscheinenden Berichts auf der Website des Club of Rome an, so wird schnell klar, dass das PIK-Kommuniqué etwas einseitig formuliert ist. Gewiss, der internationale Thinktank feiert das 50-jährige Jubiläum des ersten, „Die Grenzen des Wachstums“ überschriebenen, Berichts. Dass über Wirtschaftspolitik nicht losgelöst vom begrenzten Ökosystem Erde diskutiert werden kann, war damals eine revolutionäre Erkenntnis. Doch mittlerweile wird der Hinweis auf diese Grenzen von Technokrat*innen, Wirtschaftsvertreter*innen und Nationalist*innen instrumentalisiert, um von den anderen globalen Herausforderungen abzulenken. Im Weltklimarat IPCC dagegen haben soziale und politische Fragen einen neuen Stellenwert gewonnen, wie die jüngsten Berichte belegen. Nicht anders ist es beim Club of Rome.

Alles auf die ökologische Transition zu setzen, ist keine adäquate Strategie zur Lösung der planetaren Probleme.

Schon der Name des 2022er-Berichts „Earth for All“ macht deutlich, dass es nicht an erster Stelle um Emissions- oder Wachstumsbegrenzungen geht. Für die kommenden 50 Jahre tendiere das Wirtschaftssystem in Richtung steigende Ungleichheit, liest man auf clubofrome.org. Wird dieser Trend nicht gestoppt, so führe dies „zu funktionsgestörten Gesellschaften und erschwere die Zusammenarbeit, um existenzielle Bedrohungen wie den Klimawandel abzuwenden“. Für seine Analyse verwendet das vom Club of Rom beauftragte Team von Wissenschaftler*innen die Software Earth4, eine Urenkelin des Modells World3 von 1972.

Das optimistische „Riesensprung“-Szenario zeigt, wie man die Klima- krise, zusammen mit den anderen Herausforderungen, bewältigen könnte – unter anderem durch starke Eingriffe ins Wirtschaftssystem und konsequente Umverteilung. Das pessimistische Szenario „Zu wenig, zu spät“ illustriert, wie die verschiedenen Krisen sich gegenseitig beschleunigen und in Teufelskreise münden – die so genannten „tipping points“ gibt es eben nicht nur für Gletscher und Meeresströmungen, sondern auch für ökonomische, soziale und geopolitische Strukturen.


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