Theater: „Gewalttaten gegen Frauen sind kein Randphänomen”

Das Theaterstück „Woyzeck Interrupted“ dekonstruiert das kanonische Original von Georg Büchner und verweist auf die tragische Aktualität von Femiziden, die Folgen des Lockdowns inklusive.

Enno Trebs, der im Stück „Woyzeck Interrupted“ die Hauptfigur spielt, mimt den verzweifelten Schauspieler, der auf die Trennung seiner Partnerin nur eine Antwort kennt: Gewalt. (Copyright: Arno Declair)

Woyzeck lebt: Im Theaterstück des Dramatikers Georg Büchner, der es 1836 schrieb, im Deutschen Theater und hinter geschlossenen Wohnungstüren. Büchner dienten damals Zeitungsartikel über Frauenmorde als Inspiration. In „Woyzeck Interrupted“ der Regisseur*innen Mahin Sadri und Amir Reza Koohestani wird Büchners Stück zwar nur fragmentarisch wiedergegeben, doch der Kern der Erzählung bleibt derselbe: Gewalt gegen Frauen.

Alarmierend ist, dass sich seit Büchner hinsichtlich der Gewalttaten von Männern an Frauen wenig geändert hat. „Noch immer wird in Deutschland alle drei Tage eine Frau durch ihren Partner oder Ex-Partner getötet. Das ist der Punkt, an dem die Dramatikerin Mahin Sadri und der Regisseur Amir Reza Koohestani mit ihrem Text ansetzen“, heißt es in der Stückbeschreibung auf der Website des Deutschen Theaters. „Sie suchen nach den genderspezifischen Machtverhältnissen und der strukturellen Gewalt im Privaten. Angesichts der sich wiederholenden Femizide in der Realität erzählen sie nicht nur einen Einzelfall, sondern zeigen auch ein Muster auf – nicht um es zu reproduzieren, sondern um es zu unterbrechen.“

Mahin Sadri und Amir Reza Koohestani ziehen dabei einen Bogen zur Aktualität: Die Proben zu einer Inszenierung von Büchners „Woyzeck“ werden vom Ausbruch einer Pandemie unterbrochen und die Affäre des Hauptdarstellers mit der Hospitantin zerbricht. Sie ist schwanger, will das Kind jedoch nicht austragen. Das Paar, dessen Ausweg die Trennung ist, bleibt in der gemeinsamen Wohnung eingesperrt. Der Lockdown zwingt sie zusammenzubleiben, obwohl die Konflikte und die Meinungsverschiedenheiten ausarten.

Es ist sicherlich keine reine Fiktion, die Sadri und Koohestani auf die Bühne bringen, auch wenn erste offizielle Zahlen anderes vermuten lassen. Der Bericht „Impact of COVID-19 on Crime Patterns, Domestic Violence Law Enforcement Operations and Training Needs“ des Cepol National Units gibt an, dass die Gewalt gegen Frauen während der Ausgangssperre nicht allgemein gestiegen ist. Ähnliches berichtete das luxemburgische Ministerium für Gleichstellung von Frauen und Männern im Juni. Der Bericht des Cepol basiert jedoch nur auf bei der Polizei oder anderen Autoritäten gemeldeten Fälle und ist deswegen mit Vorsicht zu genießen. Die Dunkelziffern sind vermutlich höher.

Aus einem Gespräch zwischen der Dramaturgin Sima Djabar Zadegan und Mahin Sadri – nachzulesen auf der Website des Deutschen Theaters – geht hervor, dass „Woyzeck Interrupted“ das tragische Schicksal der Frauen spiegelt, aber auch eine Hommage an ihren Kampf gegen Gewalt ist. „Bei Femiziden, also der Tötung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts, denke ich an erster Stelle an die vielen Frauen, die ihre Stimme in den letzten Jahren dagegen erhoben haben“, sagt Sadri. „Und ich sehe die Angst und Ablehnung, die ihnen und anderen unterdrückten Minderheiten entgegenschlägt, wenn sie an den bestehenden Machtverhältnissen rütteln. (…) Gewalttaten gegen Frauen (…) sind kein Randphänomen, das ausgelagert werden kann auf tiefere Gesellschaftsschichten oder Entwicklungsländer, sondern sie finden überall statt. (…) Georg Büchner inspirierten damals Zeitungsberichte über Femizide – das ist wiederum ein spannender Ausgangspunkt für mich heute.“ Amir Reza Koohestani gibt an, dass ein Artikel über Femizide in Deutschland aus dem Jahr 2018 erste Gespräche über das Theaterstück auslöste. Die Zusammenarbeit mit einer weiblichen Dramaturgin sei ihm wichtig gewesen, weil er nicht mit einer rein männlichen Perspektive an die Thematik herangehen wollte.

„Woyzeck Interrupted“ läuft am 28. Dezember, von 20 bis 21:30 Uhr im Livestream auf der Internetseite des Deutschen Theaters und ist in englischer Sprache untertitelt. Tickets können bis 20:30 Uhr am Tag der Aufführung online erworben werden.

Woyzeck Interrupted. Deutsches Theater Digital, am 28. Dezember, ab 20 Uhr, auf der Website des Deutschen Theaters.

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