Trierer Jubiläumsfeiern: Made in Marx

Am Samstag werden mehrere Ausstellungen eröffnet und eine Statue enthüllt. Karl Marx steht im Mittelpunkt des Gedenkens und des Geschäftemachens.

Wir sind Marx, Fotoausstellung in der Trierer Innenstadt. (Foto, © Claus Bach)

„Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.“ Der Satz ist nicht von Karl Marx, auch wenn er sich bestens als Motto für die Trierer Jubiläumsfeiern rund um Marx’ 200. Geburtstag am 5. Mai eignen würde. Sondern von Bertolt Brecht, der seinen Marxismus mit Menschenkenntnis und Ironie zu würzen wusste.

Über Marx-Brot, Marx-Schokolade und Marx-Wein muss man nicht den Kopf schütteln oder sich sogar aufregen; so viel kann man von Brecht lernen. Diese Objekte sind einfach Beleg dafür, dass im Kapitalismus alles in eine Ware verwandelt wird, sogar die Galionsfigur des Antikapitalismus persönlich. Dies geschieht vorrangig in trivialer Form – neben Esswaren kann man in Trier auch Quietsch-Entchen, Kaffetassen und Mousepads mit Marx-Konterfei kaufen. Handelt es sich hier – und beim obigen Brecht-Zitat – nicht sogar um eine Illustration der Marx’schen Theorie von der materiellen Basis und dem ihr untergeordneten geistigen Überbau?

Glanz und Gloria

Geistige Nahrung zum Marx-Jubiläum bieten die am 5. Mai eröffnenden zahlreichen Ausstellungen – allen voran die große Landesausstellung, die auf das Rheinische Landesmuseum und das Stadtmuseum Simeon-
stift verteilt ist. „Revolutionär, Gelehrter, Journalist oder Marxist? (…) wie können Marx’ Ideen aus heutiger Sicht verstanden werden? Anlässlich seines 200. Jahrestags beleuchten die große Landesausstellung sowie zwei Partnerausstellungen in seiner Geburtsstadt Trier die vielen Facetten von Marx als Mensch und Analytiker“, heißt es auf www.karl-marx-
ausstellung.de.

Neben der Landesausstellung mit den Themen, „Leben. Werk. Zeit.“ und „Stationen eines Lebens“ werden auch zwei Partnerausstellungen beworben. Im von der sozialdemokratischen Friedrich-Ebert-Stiftung getragenen Karl-Marx-Haus eröffnet die neue Dauerausstellung. Und das dem Bistum gehörende Museum am Dom zeigt die Ausstellung „LebensWert Arbeit“.

Wem das alles zu trocken ist, der kann auf die amüsante Porträtserie „Wir sind Marx“ ausweichen, die seit dem 10. April in der Trier-Galerie zu sehen ist – Fotos von Einwohner*innen der Moselstadt mit dem Nachnamen Marx. Mehr klassenkämpferischen Ansprüchen genügt die am 1. Mai eröffnete Ausstellung „Geldrausch. Das Kapital ruft zum großen Money-Fest!“ in der Tufa.

Gewiss, das Rahmenprogramm umfasst mehrere hundert Konferenzen, Seminare und Spezial-Führungen, die der Beschäftigung mit Marx’ Ideen dienen. Doch die Einbeziehung der Intellektuellen und ihrer Veranstaltungen in das Geschehen dürfte wohl auf dem Bestreben der Politiker*innen und Geschäftemacher*innen beruhen, den Trierer Tourismus anzukurbeln. Die Moselstadt ist nämlich im eigenen Land kein besonders populäres Reiseziel, und die Luxemburger*innen kommen nur wegen der Einkaufsmeile. Aber Besucher*innen einer anderen großen Nation streben mit Begeisterung nach Trier: die Chines*innen, und sie kommen erklärtermaßen … wegen Karl Marx.

Die chinesische Trier-Begeisterung hat denn auch für ein besonderes Highlight im Jubiläumsjahr gesorgt: Eine fünf Meter hohe Marx-Bronzestatue wird am 5. Mai am Simeonstiftplatz enthüllt. Die Idee stammt nicht von Trierer Bürger*innen oder von einer politischen Stiftung – dann wäre sie wohl abgelehnt worden. Nein, es handelt sich um ein Geschenk der Volksrepublik China. Ein Geschenk, das vielleicht auf keiner Wunschliste stand, dessen Annahme aber nicht gut hätte verweigert werden können – neben dem Tourist*innenstrom aus China war auch die Trierer Uni mit ihrer Sinologie-Fakultät und den vielen chinesichen Student*innen zu berücksichtigen. Nach lebhaften Diskussionen sprach sich neben der SPD auch die CDU für das Projekt aus, ein Sieg des Pragmatismus – oder des Opportunismus, wie die Gegner*innen meinen.

Marx, das Ungeheuer

Dass viele ein mulmiges Gefühl dabei haben, dass dem Begründer der kommunistischen Bewegung ein Denkmal errichtet wird, ist verständlich. Für Linke ist das Marx-Jubiläum auch eine Gelegenheit zur Beschäftigung mit den dunklen Seiten der Vergangenheit dieser Bewegung. Von der Errichtung einer bolschewistischen Diktatur in Russland über den stalinistischen Terror bis hin zur politischen Unterdrückung in der DDR ist viel Unrecht in Marx’ Namen verübt worden. Wofür der Vordenker aus Trier wirklich eine Mitverantwortung trägt, darüber wird weiterhin heftig diskutiert. Gewiss kann man eine Genealogie der Ideen von Stalin zurück zu Lenin und weiter zu Marx konstruieren. Daraus ergibt sich aber nicht, dass Marx, hätte er die Sowjetunion in den 1930er-Jahren bereist, sich mit dem, was dort vorging, identifiziert hätte. Allerdings sollten die Irrwege der Vergangenheit zu einem kritischen Umgang mit Begriffen wie „historische Notwendigkeit“ und „Diktatur des Proletariats“ mahnen.

Manche Kritiker*innen gehen allerdings viel weiter. So bezeichnet die Gesellschaft für bedrohte Völker die Marx-Statue als „Chinas vergiftetes Geschenk“, das Trier zur „Wallfahrtsstätte für KP-Funktionäre“ mache, die unter Berufung auf Marx „willkürlich zensieren, inhaftieren, foltern und morden“. Und erläutert: „Ganz im Sinne von Karl Marx rechtfertigt Chinas KP auch heute noch die Vormachtstellung der Kommunistischen Partei in allen Fragen des Glaubens und der Gesellschaft.“

Viele Marxismus-Kenner*innen dürften über Sätze wie diesen den Kopf schütteln, ist doch unbestreitbar, dass der Vordenker des Kommunismus alles andere als ein Freund von staatlicher Unterdrückung war. Doch solche Verwechslungen zwischen den Ideen des historischen Karl Marx und denen der Akteure, die sich auf ihn beriefen und berufen, kann man auch als Anstoß zum Nachdenken betrachten. Schließlich hat der „real existierende Sozialismus“ in Osteuropa und Asien den Blick auf viele von Marx’ emanzipatorischen Ideen verstellt. Mit dem weitgehenden Verschwinden dieser Regime hat sich die Möglichkeit eröffnet, das Erbe des berühmten Trierers neu einzuordnen. Eine Möglichkeit, die jetzt, 30 Jahre später, vielleicht endlich wahrgenommen wird.


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