Umgang mit der Presse: Unnötiges Trial-and-Error

Als „übertrieben“ bezeichnete der Premierminister vergangene Woche die Debatte rund um das Bettelverbot und offenbarte damit ein mangelndes Verständnis für die Rolle der Presse.

Es braucht scheinbar nicht viel, damit Premierminister Luc Frieden von der hiesigen Presse genervt ist. (© SIP/Jean-Christophe Verhaegen)

In der Debatte rund um das Bettelverbot kommen DP- und CSV-Politiker*innen nicht mehr aus den Negativschlagzeilen heraus. Ironischerweise liegt das mindestens genauso viel an dem fragwürdigen Demokratieverständnis, das manche Akteur*innen in den vergangenen Wochen zum Ausdruck brachten, wie am Sachbestand selbst. So bezeichnete etwa die hauptstädtische Bürgermeisterin Lydie Polfer (DP) Kritik an der Maßnahme als „ungesunde Polemik“ und Innenminister Léon Gloden (CSV) setzte ein Gedicht von Künstler Serge Tonnar mit einem Aufruf zur Gewalt gegen ihn und seine Familie gleich.

Als habe er versucht, dem noch eins draufzusetzen, verkündete Premierminister Luc Frieden (CSV) am Freitag der Tageszeitung Le Quotidien gegenüber: „Je trouve que la place accordée à ce débat sur la mendicité est largement exagérée dans le débat général et les sujets qui s’imposent pour l’avenir du pays.“

Wenn man’s nicht besser wüsste, könnte man meinen, hier spräche ein Politiker, der der Stellungnahmen zu einem bestimmten Thema längst überdrüssig geworden ist. Tatsache ist aber, dass es sich bei diesem Satz um die erste Reaktion des Premiers zur Polemik „Heescheverbuet“ handelt.

Deutlicher hätte Frieden seine Gleichgültigkeit dem Thema Armut gegenüber nicht zum Ausdruck bringen können. Umso ironischer, dass die Regierung dieses zu Beginn der Legislaturperiode doch zur Priorität erklärt hatte. Bedingung hierfür scheint zu sein, dass sie selbst entscheidet, wann, wie und für wie lange das Thema auf der Agenda steht.

Man muss die Presse ja nicht dafür loben, dass sie ihren Job macht, sie dafür zu kritisieren, zeugt jedoch von einem fragwürdigen Verständnis, was deren Rolle betrifft.

In einem hat Frieden recht: Was Medieninhalte, Wortmeldungen der Opposition und Stellungnahmen aus der Zivilbevölkerung betrifft, dominierte in den vergangenen Wochen das Bettelverbot deutlich gegenüber anderen Problematiken. Um einmal beim Beispiel der Presse zu bleiben: Im Monat Januar gab es keinen Tag an dem nicht ein „Edito“, ein Interview oder eine Reportage veröffentlicht wurde, die das Verbot und damit zusammenhängende Themen aufgriffen. So vielfältig wurde über das Thema berichtet, dass so manch eine Wochenzeitung händeringend nach einem Blickwinkel suchte, bei dem die Tagepresse ihr nicht schon längst zuvorgekommen war. Man muss die Presse ja nicht dafür loben, dass sie ihren Job macht, sie dafür zu kritisieren, zeugt jedoch von einem fragwürdigen Verständnis, was deren Rolle betrifft.

Mediale Berichterstattung ist kein Selbstzweck. Es ist keine im Hintergrund laufende Geräuschkulisse. Ganz im Gegenteil: Der Presse kommt neben der Informationsvermittlung die wichtige Rolle zu, die Meinungsbildung zu fördern und über Missstände aufzuklären. Eine Demokratie kann nur dann funktionieren, wenn die Presse diese drei Aufgaben erfüllt. Indem Frieden die Debatte für „übertrieben“ erklärt, spricht er Journalist*innen das Vermögen ab, selbst einschätzen zu können, wie ausführlich und wie lange über ein Thema berichtet werden sollte. Doch damit nicht genug: Frieden macht deutlich, dass er die mediale Berichterstattung nicht ernst nimmt. Er wünsche sich eine Klimapolitik, die nicht nerve, hatte der Premierminister im Herbst in der Chamber verlautbart. Seine Reaktion auf die Debatte rund um das Bettelverbot liest sich so, als wünsche er sich dasselbe von der Presse.

Es ist nicht der erste Fauxpas, den sich Frieden innerhalb kürzester Zeit den Medien gegenüber leistet. Es sei daran erinnert, dass er Journalist*innen im November nur begrenzten Zugang zum Verhandlungsstandort in Schloss Senningen gewähren wollte. In diesem Fall ruderte Frieden nach starker Kritik zurück und bezüglich seiner Aussagen zur „übertriebenen Debatte“ wird er das möglicherweise wieder tun. Das reicht aber nicht. Statt die Öffentlichkeit diesem Trial-and-Error-Prozess auszusetzen, täte Frieden gut daran, sich von Menschen mit mehr Medienkompetenz beraten zu lassen.


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