REGIERUNGSKOALITION: Ein verlorenes Jahr

Die EU-Präsidentschaft mag vieles erklären, doch die LSAP-CSV- Koalition wirkt nach einem Jahr perspektivlos.

Er sei keiner Arithmomanie – zu deutsch: Zählzwang – verfallen, meinte Premier Jean-Claude Juncker, als er während des letzten Pressebriefings vor der Sommerpause zu dementieren versuchte, Luxemburg sei in der Zeit der EU-Präsidentschaft in einen innenpolitischen Winterschlaf verfallen. Was folgte, war dennoch ein akribischer Zahlenregen, der eher auf Quantität denn auf Qualität ausgerichtet war. 21 Mal habe sich der Regierungsrat im ersten Halbjahr 2005 zusammengefunden, genauso oft wie in der entsprechenden Periode des Vorjahres. Und bei der Gesetzgebung habe es mit 48 verabschiedeten „projets de loi“ geradezu geboomt. Im Endspurt schaffte die CSV-DP-Koalition in den sechs ersten Monaten des Jahres 2004 „nur“ 25 Gesetzesvorhaben. Die Bilanz scheint auf den ersten Blick beeindruckend: Die „Koalition der arithmetischen Vernunft“ hat es also verstanden, die europäische Präsidentschaft zu einem, wenn auch nicht sehr glücklichen, Ende zu bringen, ohne das politische Tagesgeschäft zu Hause zu vernachlässigen …

Die nackten Zahlen mögen beeindrucken, das Gefühl, die Regierung hätte seit ihrer Ernennung eigentlich noch gar nicht so richtig zu funktionieren begonnen, können sie aber nicht verdrängen. Tatsächlich sind einige neue Ideen, wie etwa das Pilotprojekt eines Ganztagslycées, recht schnell eingeläutet und sogar umgesetzt worden. Jetzt besteht allerdings das Risiko, dass mangels professioneller Ausgestaltung die Hoffnungen, die mit dem Projekt verbunden werden, schneller als wünschenswert von der Tagesrealität eingeholt werden.

Bei der Uni-Lëtzebuerg gibt es schon jetzt mehr unzufriedene als zufriedene Gesichter. Und anstatt ein standfestes Grundgerüst auf die Beine zu stellen, werden ad hoc Entscheidungen getroffen, etwa wenn der Uni-Präsident – zu recht – eine Unterfinanzierung beklagt und schon mal seinen Rücktritt in die Wagschale wirft. Dann wird das Uni-Budget eben aufgestockt, allerdings auf Kosten der Forschungsinstitute, getreu der Vorgabe, dass jedes Ressortministerium unter dem Strich nicht mehr Geld ausgeben darf, als vorher beschlossen wurde. Lehre gegen Forschung – das ist sicherlich nicht das, was die Lissabon-Strategie vorsieht.

In Sachen Flüchtlingspolitik spricht der Premier gar von einer „alternativen und optionslosen“ Politik. Am Anfang wurde „konsequent“ gehandelt, bis bei der LSAP intern die Kritik immer lauter wurde. Jetzt dürfen wir uns auf einen heißen Sommer einrichten. Entsprechende Briefe sind an die Familien endgültig abgewiesener AsylantragstellerInnen verschickt worden. Sie dürfen also demnächst die Reihen der Arbeitslosen im Kosovo und anderswo auffüllen. Optionslos ist diese Politik allenfalls in dem Sinne, dass die Regierung sich bislang zu keiner anderen Option hat durchringen können.

So ist auch nachvollziehbar, weshalb die Koalitionäre sich gleich dreimal – im vergangenen Juli und nochmals im September und Oktober – in Klausur begeben. Trotz 21 Ministerräten scheint es also einen Nachholbedarf bezüglich der gemeinsamen Beschlussfassung zu geben. Und es droht, was der Budgetminister jedes Jahr heraufbeschwört, was aber eigentlich nie stattfinden soll: Der finanzielle Rahmen wird enger.

So gesehen war das erste Jahr der CSV-LSAP-Koalition ein verlorenes Jahr. Die eigentliche Fehlleistung, die einer unnötigen Steuerreform, stammt zwar aus der Vorregierung, doch ist ein Gegensteuern bislang nicht zu erkennen. Bleibt zu hoffen, dass uns im kommenden Herbst endlich das eigentliche Regierungsprogramm vorgelegt wird. Inklusive einer kleinen Regierungsumbildung, denn so manche Doppelbesetzung – wegen Brüsseler Dossiers – ist ja dann nicht mehr sinnvoll.


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