SCHIEFERGAS: „Eine ökonomische Seifenblase“

Eine neue Energiequelle ist gefunden – das Schiefergas. Wie risikoreich und unrentabel dessen Förderung aber ist, erläuterte in dieser Woche der Geologe Romain Meyer.

Anfang Oktober hatte die Universität Luxemburg zusammen mit der polnischen Botschaft und den Europaabgeordneten Robert Goebbels (LSAP) und Claude Turmes (Déi Gréng) eine Konferenz unter dem Titel „Shale Gas – a solution to EU’s energy problems?“ veranstaltet. Schon im Vorfeld war die Besetzung des Panels dafür kritisiert worden, dass es sich vor allem aus Befürwortern der Förderung des Schiefergases zusammensetze und somit keine nuancierte Debatte ermögliche.

Um das Potenzial – insbesondere aber die Gefahren – einer Förderung von Schiefergas in Luxemburg ging es deshalb diese Woche bei einer anderen Konferenz, die von der „Green European Foundation“ in Zusammenarbeit mit der „Gréngen Stëftung“ organisiert wurde. Ihr Anliegen war, „kritischere Meinungen und unbelichtete Aspekte in der Debatte zu Wort kommen lassen“, wie das Tagungs-Kommuniqué erläuterte. Vertreten war neben dem Europaabgeordneten Claude Turmes der Luxemburger Geologe Romain Meyer, der an der Universität Bergen in Norwegen über die Möglichkeiten und Auswirkungen der Schiefergasförderung forscht und in seinem Vortrag das Potential von Schiefergas in der Minette-Region unter die Lupe nahm.

„Die Entscheidung, in Richtung Schiefergas zu gehen, ist viel eher eine politische als eine geologische. In Zeiten des Übergangs von den fossilen und atomaren zu alternativen Energiequellen wird ein Physiker oder Chemiker das Erdgas nicht als Energiequelle der Zukunft bezeichnen“, so Meyer. Auch in den USA sei der Schiefergas-Boom vorbei. In den Presseartikeln werde die Förderung eher als zweischneidiges Schwert beschrieben, und zwar nicht nur wegen der Umweltrisiken: Die beteiligten Firmen führen im Moment einfach nur Defizite ein.

In Luxemburg riefe eine Schiefergasförderung zahlreiche Probleme hervor. Vor einer Bohrung müsste das gesamte hydrologische System genau untersucht werden, was bereits die Probebohrungen sehr verteuern würde. „Wie weit die Sache dann letztlich rentabel ist, weiß man nicht, da die Schiefergasschichten in Luxemburg wie vielerorts anderswo zu den nicht-konventionellen Lagerstätten gehören – das heißt, der Gasgehalt des Gesteins ist unbekannt“, so Meyer.

Außerdem liege die rund 10-Meter dicke Schiefergasschicht recht nah an der Erdoberfläche. Es gebe also kaum darüber liegende schützende Schichten, die ein Entweichen des Gases verhindern. Es bestehe das Risiko, dass Methan, ein großer Klimakiller, in die Atmosphäre gelangt. Aber auch die chemischen „Fracking“-Substanzen könnten sich ungehindert kilometerweit im Boden ausbreiten und das Grundwasser verseuchen. Bei dem Fracking-Verfahren, mit dem das Schiefergas extrahiert wird, werden Millionen (!) Liter Wasser mit Sand und chemisch-toxischen Substanzen gemischt und in den felsigen Untergrund gepresst.

Studien besagen, dass nach Beendigung der Förderung bis zu 80 Prozent dieser Chemikalien nicht mehr aufgefangen werden können und im Boden verbleiben, wo sie sich ständig weiter ausbreiten. Zudem lassen sich die Substanzen nicht mehr recyclen. Sie müssen als Sondermüll endgelagert werden, was weitere Kos-ten verursacht. „Man riskiert, ganze Landstriche zu kontaminieren“, so der Geologe.

Zudem leben im Minettbassin rund 150.000 Menschen. Infolge des Erzabbaus ist die Region bereits durchlöchert wie ein Schweizer Käse, was eine weitere Gefahrenquelle darstellt. Aus all dem zieht Meyer den Schluss: „Letztlich ist die Sache eine ökonomische Seifenblase, und unter vernünftigen, wissenschaftlichen Gesichtspunkten hat die Förderung keinen Sinn“.

Der Europaabgeordnete Claude Turmes verwies in seinem Beitrag auf die Auswirkungen und Verschiebungen, die das Schiefergas auf die Klimapolitik in Europa und auf die gesamte Entwicklung der erneuerbaren Energien hat. So gebe es zurzeit in der EU-Kommission eine Meinungsverschiedenheit zwischen Energiekommissar Günther Oettinger, der eher pro Schiefergas ist, und Umweltkommissar Janez Potocnik, der darauf insistiert, dass es in puncto Umwelt noch eine ganze Reihe offener Fragen gebe. Infolgedessen liege dem Umweltausschuss einerseits ein überwiegend kritischer Bericht vor, und andererseits ein zweiter dem Industrieausschuss, der das Schiefergas in eher positivem Licht sehe – im Dezember werde das Parlament hier Position beziehen.

Auch in den USA habe Interessenspolitik bei der Förderung des Schiefergases eine bedeutende Rolle gespielt: Der ehemalige Vizepräsident Dick Cheney sei vor seiner Amtszeit unter Bush Vorstandsvorsitzender des international agierenden Konzerns „Halliburton“ gewesen, der auch in der Ölförderung aktiv ist. Dick Cheney habe in seiner Amtszeit dafür gesorgt, dass Schiefergas keinen Umweltauflagen und die bei der Förderung verwendeten Chemikalien keiner Meldepflicht unterliegen. Ebenso habe er Ausnahmen bei der Wassergesetzgebung durchgesetzt und erreicht, dass keine Bestandsaufnahmen von Methangaslecks mehr durchgeführt werden.

Auch in Europa stelle sich, so Turmes weiter, die Frage, wie weit die bestehenden Gesetzgebungen diesen Herausforderungen gerecht werden können: „Deckt die bestehende Chemikalienrichtlinie Reach dieses Feld überhaupt ab? Es fehlten Gesetze, die Unternehmen dazu verpflichten, die Nutzung ihrer Chemikalien transparent zu machen“. Auch in der Wasserrahmenrichtlinie würden Schiefergasbohrungen nicht behandelt. Beide müssten also nachgebessert werden.

Erst kürzlich habe die Energieagentur in Paris warnend darauf hingewiesen, dass bei massivem Schiefergasabbau die weltweiten Klimaziele nicht mehr einzuhalten seien. Die Erdgas- und die Schiefergasindustrie stellten sich gegen eine strenge Klimagesetzgebung, da sie ihr Business unrentabel machen würde. Die Erdgasindustrie lasse sich ihr Lobbying gegen Klimaziele und erneuerbare Ziele in Brüssel rund eine Million Euro pro Jahr kosten. „Wenn man diesen energiepolitischen Hintergrund kennt, wird man doppelt skeptisch“, sagt Turmes.

Als Argument werde von Lobbyisten oft vorgebracht, die Wind- oder Solarkraft alleine reiche nicht aus. Studien zeigten jedoch, dass rund 45 Prozent des EU-Gasverbrauchs auf das Konto der Hausheizungen gehen. Die neue EU Richtlinie zur Energieeffizienz zwinge die Länder, ihre gro-ßen Gebäude zu renovieren. Auch der Gasverbrauch im Strombereich solle nicht weiter anwachsen

„Das bedeutet, dass der Verbrauch von Erdgas in Europa in den nächsten Jahren massiv zurückgehen wird. Und mit jeder Windturbine und Fotovoltaik-Anlage reduzieren wir die Laufzeiten von Atom- Kohle- oder Gaskraftwerken“, betont Turmes. Leider jedoch werde die ökonomische Krise zurzeit von jenen missbraucht, die mit der Klima- und und Effizienzgesetzgebung nicht glücklich sind und darum versuchen, das Rad der Geschichte zurückzudrehen.

 

 


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