Rat und Kommission ignorierten das klare „Nein“ des Europaparlamentes und stimmten dem Transfer von Passagierdaten an US-Behörden zu. Dies geschah nicht nur auf Druck der USA, sondern durchaus im eigenen Interesse.
Das Europaparlament macht Pause und prompt wissen andere diese zu nutzen. Am Montag stimmten die EU-Außenminister einem Abkommen über die Weitergabe von Flugpassagierdaten mit den USA zu. Ein Abkommen, dem sich das Parlament wiederholt widersetzt hatte. Zuletzt am 4. Mai, während seiner letzten Sitzungswoche vor den Wahlen. Nun kann sich das parlamentarische Nein einordnen in die lange Reihe der folgenlosen Beschlüsse des europäischen Abgeordnetenhauses in Straßburg.
Folgenlos auch deshalb, weil das Europaparlament in diesem wie in vielen anderen Fällen gar kein Mitspracherecht genießt. Aus diesem Grunde hatte eine große Mehrheit der Abgeordneten bereits im April 2004 beschlossen, den Europäischen Gerichtshof in der Sache anzuhören. Doch die Meinung der hohen europäischen Instanz scheint weder Kommission noch Ministerrat zu interessieren, das Urteil wurde jedenfalls gar nicht erst abgewartet. Und dass der Datentransfer-Deal zwischen europäischen und US-amerikanischen Behörden mit hoher Wahrscheinlichkeit gegen EU-Datenschutzgesetze verstößt, ist offensichtlich auch Nebensache.
Die Kommission habe ausreichende Garantien ausgehandelt, um die Privatsphäre der Menschen zu schützen, so Kommissionssprecher Jonathan Todd am Montag vor der Presse. Dem Abkommen nach dürfen Fluggesellschaften nun bis zu 34 Angaben pro Passagier an die amerikanischen Behörden weiterleiten. Dazu gehören neben Namen und Adressen der Reisenden und deren BegleiterInnen auch die Nummern ihrer Kreditkarten und Mobiltelefone. Besonders umstritten waren die so genannten sensiblen Daten wie Menüauswahl oder Sonderwünsche der Passagiere. Solche Daten ließen möglicherweise Rückschlüsse auf Religion und Gesundheit der Passagiere zu, hatten Parlament und Menschenrechtsorganisationen wiederholt bemängelt. Diese Daten würden, präsentiert die Kommission stolz ihr Verhandlungsergebnis, entweder gar nicht erst übermittelt oder von den US-Behörden gefiltert und vernichtet. Woher Brüssel die Gewissheit nimmt, dass solche Zugeständnisse auch eingehalten werden, geht aus der Presseerklärung vom Montag nicht hervor.
„Eine verhandelte Lösung ist nie perfekt“, erklärt stattdessen Frits Bolkestein. Und: „Wir suchen nicht die Konfrontation mit dem Parlament.“ Dass eine solche derzeit kaum zustandekommen kann, weiß auch der EU-Kommissar. Denn ein funktionierendes Europaparlament wird es erst wieder nach den Wahlen, also frühestens ab Juli geben. Dies mag auch erklären, wieso ein Aufschrei der Abgeordneten ausblieb. Die EU-ParlamentarierInnen befinden sich mitten im Wahlkampf und haben wenig Interesse daran, solch eindrucksvolle Beispiele für den eher spärlichen Einfluss des Straßburger Parlamentes an die große Glocke zu hängen. Die Prognosen für die Wahlbeteiligung bei den EU-Parlamentswahlen am 13. Juni sind auch so schon schlecht genug.
Die Alternative zu diesem Abkommen sei eine „rechtliche Unsicherheit und möglicherweise ein Chaos für Passagiere und Fluggesellschaften“, gab EU-Kommissar Frits Bolkestein am Montag zu Bedenken. Anders als das Parlament halte die Kommission Nachverhandlungen mit den USA nicht für möglich. Auch der Ministerrat zieht sich in seinen Erklärungen gerne auf den Druck der USA zurück. Nach dem Motto: Mehr war bei diesen Deal nicht drin.
Ein Blick auf die hauseigene Praxis der europäischen Sicherheitspolitik lehrt jedoch, dass sich die mutigen Verteidiger der EU-Bürgerrechte angesichts der umstrittenen Datensätze selbst schon die Hände reiben: Bereits im März 2003 hatte Spanien etwa vorgeschlagen, auch den europäischen Ermittlungsbehörden solle Zugriff auf die Datenbanken von Fluggesellschaften gewährt werden. Inzwischen haben auch andere EU-Staaten Interesse angemeldet. Am Ende könnten also tatsächlich beide Verhandlungspartner einen guten Deal gemacht haben.