Kein Weltuntergang vor 2052: Geduld, Kassandra!

Auch die übernächste Klimakonferenz wird’s nicht richten. Und was dann? Die langfristigen Prognosen von Jørgen Randers verstören Pessimisten wie Optimisten gleichermaßen. Und Demokraten sollten besser gleich weghören.

„Der König überall.“
Friedrich der Große,
„wohlwollender Diktator“,
inspiziert den von ihm
gegen die Ernährungskrise verordneten Kartoffelanbau.

Gute Nachrichten zum Auftakt der 19. Weltklimakonferenz in Warschau: Die beiden Länder mit dem höchsten CO2-Ausstoß, China und die USA, arbeiten zusammen und haben große Fortschritte bei der Senkung ihrer Emissionen erzielt. Doch im Falle Chinas handelt es sich um eine Senkung des Ausstoßes relativ zum BIP (Bruttoinlandsprodukt), welches weiterhin schnell wächst. Und die US-Maßnahmen werden nicht reichen, um den Rückstand aufzuholen, der durch den ungehemmten Ausstoß des vergangenen Jahrzehnts entstanden ist.

So werden die Weltklimakonferenzen immer mehr zu sinnlosen Veranstaltungen an Orten, die anscheinend mit schwarzem Humor ausgewählt wurden: nach dem Erdölland Qatar 2012 nun das Kohleparadies Polen. Daran dürfte auch der Taifun Haiyan, der nun die Philippinen verwüstet hat, nichts ändern – zwar ist der Schrecken groß, doch unter den Schäden hat die globale Elite nicht zu leiden. Bereits im vergangenen Jahr hatte der philippinische Vertreter Yeb Saño angesichts der Zerstörungen durch den Taifun Bopha – damals als der schlimmste des Jahrzehnts angesehen – in die Konferenzrunde gefragt: „Wer wird etwas dagegen unternehmen, wenn nicht wir? Wenn nicht jetzt, wann dann?“ Verständlich, dass er diesmal in Tränen ausbrach, und dann einen Hungerstreik für die Dauer der Verhandlungen ankündigte.

Glaubt man dem Klima- und Zukunftsforscher Jørgen Randers, dann werden die Tränen ebenso wirkungslos sein wie der Beifallssturm des Plenums. Der Norweger ist überzeugt davon, dass der Klimawandel unvermeidlich ist – dass seine schlimmste Auswirkungen aber erst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts zu spüren sein werden, wenn es für eine Senkung der CO2-Emissionen längst zu spät ist. Im Vorfeld der Rio+20-Konferenz im vergangenen Jahr war sein Buch „2052 – Eine globale Prognose“ erschienen (woxx 1167). Seither reist Randers durch die Welt und erklärt überall, warum Konferenzen und Bücher wie das seine den Klimawandel nicht aufhalten werden. Am kommenden Mittwoch wird er auch in Luxemburg zu hören sein.

Keine Tränen mehr

„Es ist Zufall, dass die Konferenz in die Zeit der Koalitionsverhandlungen fällt“, versichert Blanche Weber, Präsidentin des Mouvement écologique, der die Veranstaltung organisiert. „Es passt aber gut“, fährt sie fort, „denn wir wollen, dass die Verhandlungspartner auch die langfristigen Fragen thematisieren.“ Weber betont, die von Randers entwickelten Szenarien seien nicht Ausdruck der Resignation, sondern der Trauer. Die Menschheit könne eine Zunahme von Katastrophen wie dem Taifun Haiyan noch abwenden, ziehe es aber vor, offenen Auges ins Verderben zu rennen. Das löse auch bei ihr Trauer und Wut aus. Die Hoffnung hat die Mouvement-Präsidentin aber nicht aufgegeben: „Ich erwarte von der neuen Regierung, dass sie mehr zustande bringt als nur eine innovative Fortführung der Politik der Vergangenheit.“

Das 1972 erschienene Buch „Die Grenzen des Wachstums“, an dem Jørgen Randers bereits mitgearbeitet hatte, stelle für die Umweltbewegung einen Wendepunkt dar, so die Mouvement-Präsidentin, denn: „Schon damals wurde die globale Dimension betont, statt über einzelne technische Lösungen zu diskutieren.“ Eine globale Herangehensweise und Wachstumsskepsis, das waren in der Tat die Markenzeichen des Teams um den Wissenschaftler Dennis Meadows, das auch 1992 und 2002 einen Bericht an ihren Auftraggeber, den „Club of Rome“, veröffentlichte (woxx 775). Beim ersten Bericht war es noch nicht der steigende CO2-Ausstoß, der Sorgen bereitete, sondern vor allem das Bevölkerungswachstum und der steigende Ressourcenverbrauch. Doch die Analyse, materielles Wachstum sei begrenzt, was man jedoch häufig erst bemerke, wenn die Grenze bereits weit überschritten ist, ließ sich eins zu eins auf das Klimaproblem übertragen. Randers hatte irgendwann genug von diesen Warnungen an die Menschheit, die keine wirkliche Veränderung bewirkten: „Ich war allmählich bereit zu glauben, dass der Wandel nicht stattfinden würde – auf jeden Fall nicht rechtzeitig?, schreibt er. Das war der Auslöser für das 2052-Buch, eine Prognose, wie die Welt aussehen wird, wenn sich die Dinge weiterhin nur im Schneckentempo verändern.

Die Einsicht, dass Wachstum an sich, zumindest in den hochentwickelten Ländern, ein Problem darstellt, lässt auf sich warten. So erklärte ein zufriedener Etienne Schneider gegenüber dem Quotidien: „In den Koalitionsverhandlungen hat bisher niemand angezweifelt, dass wir Wachstum benötigen.“ Es müsse allerdings „nachhaltiges Wachstum“ sein, so der Delegationsleiter der LSAP – was ja bei den derzeit geförderten Schlüsselsektoren auch gegeben sei. Blanche Weber steht dem Wachstums-Konsens kritisch gegenüber: „Ich verstehe, dass man noch nicht zu einem Schrumpfen der Wirtschaft bereit ist. Aber wenn ernsthafte Überlegungen zur Nachhaltigkeit und zu den Problemen des Wirtschaftswachstums nicht ihren Weg ins Koalitionsabkommen finden, dann ist für mich irgendwas faul.“

Wachstum-Divergenzen

Wie viel Wachstum und welche Auswirkungen des Wachstums prognostiziert Randers in seinem Buch? Hätte „2052“ nur ein weiteres Mal vor dem Abgrund gewarnt, in den sich die Menschheit demnächst im Wachstumswahn stürzt, es wäre ihm wenig Aufmerksamkeit zuteil geworden. Mittlerweile gibt es nämlich genügend Propheten, die die Botschaft vom todbringenden – und häufig als exponentiell beschriebenen – Wachstum übernommen haben. Doch Randers benutzt Paradigmen der Systemdynamik, die es ermöglichen, komplexe Zusammenhänge zu modellieren. In dieser Art von Modell werden die exponentiellen Wirkungen häufig von Rückkopplungsmechanismen gebremst.

Randers schätzt, dass sich das Wachstum bis 2052 „nur“ verdoppeln wird, statt sich, wie viele annehmen, zu vervierfachen, wie in den vergangenen 40 Jahren. Zum Teil liege das daran, dass die Regierungen der Schwellenländer zunehmend ein ökologisches Bewusstsein entwickeltn, zum Teil am wirtschaftlichen Niedergang des Westens – und an widrigen Ereignissen, wie Kriegen und Verteilungskämpfen. Deshalb, so der Autor, „wird die globale Grenzüberziehung weniger schlimm sein als befürchtet“. Doch warnt er zugleich: Bis 2052 hat diese gebremste Entwicklung trotzdem so viel CO2 in die Erdatmosphäre geblasen, dass für die zweite Hälfte des Jahrhunderts ein „brutales Klimaproblem“ bevorsteht. Der Schock beim Lesen dieses Buches rührt nicht daher, dass eine Apokalypse vorausgesagt wird, wenn wir nicht … Die betont sachliche Darstellung, die eingestreuten Formeln des Bedauerns und vor allem die Vergangenheitsform, in der festgestellt wird, dass ein langer Weg in den Abgrund bereits vorgezeichnet ist, sind viel beeindruckender.

Eine andere Besonderheit des Buches, mit der Randers Schlagzeilen gemacht hat, ist seine Absage an die Demokratie, zum Beispiel mit Sätzen wie „Ein starker Staat trotzt nicht nur dem Widerstand der derzeitigen Energieindustrie, sondern auch dem Widerstand der Mehrheit der Wähler, die kurzfristig möglichst billige Energie möchten.“ Blanche Weber sieht das anders: „Für uns ist Demokratie die Essenz einer Bürgergesellschaft.“ Sie glaubt nicht, dass man die für eine Energiewende notwendigen großen Projekte ohne die Akzeptanz der Bevölkerung angehen kann. „Man muss sich ja nicht über alles einig sein“, fügt sie hinzu, „was Randers sagt ist für uns eine Anregung zum Nachdenken.“

Gegen Markt und Demokratie

Für seine Plaidoyers für eine „wohlwollende Diktatur“ und sein Lob für die chinesische Regierung hat Randers auch heftigere Kritik geerntet. Einige betonen, dass die Forderung nach Demokratie ein Grundstein des fortschrittlichen Denkens sei, andere merken an, Randers irre, wenn er das im Westen vorherrschende System als demokratisch ansieht. Die wirkliche Demokratie – mal digital-direkt, mal sowjetisch, mal graswurzelig – sei durchaus in der Lage, das Klimaproblem zu lösen.

Greift diese Kritik? In einem ZDF-Interview beschreibt Randers, wie das Meadows-Team 1998 versuchte, sich ein Ereignis auszudenken, das die Welt zum Umdenken bringen könnte: Ihnen fiel ein großer Hurrikan ein, der die USA treffen und eine Veränderung ihrer Klimapolitik bewirken würde … Dass dies 2005 wirklich eintraf und ohne Folgen blieb, hat den Forscher beeindruckt – und macht Aussagen wie „Da kurzfristiges Denken die Entscheidungen der Wähler bestimmt, dominiert es auch das Bewusstsein der Politiker“ nachvollziehbar. Und deutet darauf hin, dass auch „bessere“ Formen der Demokratie an dieser Kurzsichtigkeit kranken könnten. Andererseits scheint Randers zu verkennen, dass die Fähigkeit, kollektiv, über die Summe der kurzfristigen Eigeninteressen hinaus, zu diskutieren und zu entscheiden, das Ureigene von Politik und Demokratie ist. Und sie damit von den Marktmechanismen abhebt, die nur funktionieren, wenn die kurzfristigen Eigeninteressen nicht mit dem Allgemeinwohl kollidieren.

Interessanterweise beschränkt sich Randers Systemkritik nicht auf die politische Seite: „Demokratie und Kapitalismus haben beide eine Vorliebe für Tradition“ – und beiden wirft er vor, „erschreckend kurzsichtig“ zu sein. Dass er immer wieder China als Modell anführt, liegt nicht nur daran, dass er dort eine „wohlwollende Diktatur“ am Werk sieht. Wichtig ist ihm auch, dass dort eine „starke Regierung“ die zum Klimaschutz notwendigen Investitionsströme in Billionenhöhe sehr einfach umlenken kann, während „die Marktwirtschaften noch zaudern, ob sie weitere 100 Milliarden US-Dollar zur Unterstützung klimafreundlicher Technologien einsetzen“. Die Argumentation ist nachvollziehbar. Nicht von der Hand zu weisen ist allerdings der Vorwurf von Kritikern, Randers urteile zu positiv über das in puncto Korruption, Umweltzerstörung und Grundrechte alles andere als vorbildliche China.

Liefert Randers die Rechtfertigung für eine Ökodiktatur, die die Ausbeutung von Mensch und Erde durch eine Elite aufrechterhält? Neben seiner Kritik an den Marktmechanismen zeigt auch seine Forderung nach massiver Umverteilung, dass er sich durchaus auf der linken Seite des politischen Spektrums situiert. Umverteilung sei notwendig, um die Folgen von Klimawandel und Klimaschutz sozial abzufedern – und lasse sich auch durchsetzen, weil sie den kurzfristigen Interessen der Bevölkerungsmehrheit entspreche.

Interessanterweise prognostiziert Randers keine großen Kriege – die neue Weltmacht China werde sich vom Rest der Welt einfach abwenden. Dafür glaubt er allerdings, dass intergenerationelle Konflikte auf uns zukommen. Dabei gehe es, so Randers, nicht nur um die Rentenzahlungen, sondern auch um die Rückzahlung von Staatsschulden „an die deutschen Kapitalisten“ und darum, in welchem Zustand die ältere Generation der jüngeren die Erde hinterlassen hat.

Was also tun, wenn man sich damit abfindet, dass in den nächsten 40 Jahren kein großer Knall, wie 1914, 1917 oder 1989 stattfinden wird? Jørgen Randers hat ans Ende seines Buches 20 teils ernsthafte, teils zynische persönliche Ratschläge gestellt. Und dann noch einen letzten: „Leben Sie mit der drohenden Katastrophe, ohne die Hoffnung zu verlieren.“

www.2052.info

Eine globale Prognose für die nächsten 40 Jahre: Der neue Bericht an den Club of Rome 2052, Vortrag von Prof. Jorgen Randers, d’Coque, Luxembourg-Kirchberg, Mittwoch 20.11.2013, 18h30. Org. Mouvement Ecologique in Zusammenarbeit mit ASTM und Caritas. (Vortrag in Englisch, deutsche Übersetzung)


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