Arbeitsbedingungen auf Filmsets: Noch Job oder schon Ausbeutung?

Unter Luxemburger Filmtechniker*innen regt sich Protest an ihren Arbeitsbedingungen. Was sind die Vorwürfe? Und was sagen Produzent*innen und Filmfund dazu?

Foto: Creative Commons Zero – CC0

„En tant que régisseur, on se retrouve à travailler parfois 15/16h par jour en étant payé 100€ puisque on ne reçoit pas d’heures supplémentaires.“,„War Stagiaire an hu misse 17 Stonnen an engem Daag schaffen a gouf mol net bezuelt“, „Working with exhausted runners on set everyday. They get 4 hours of rest between shifts all week long.“

Aussagen wie diese sind seit Kurzem auf dem Instagram-Account btrs_luxembourg zu lesen. Filmtechniker*innen können hier anonym von ihren negativen Arbeitserfahrungen berichten. Eine der Initiator*innen ist Marie Becker (Name von der Redaktion geändert). Sie arbeitete in verschiedenen Bereichen an Filmsets, bevor sie vor einem Jahr die Branche wechselte. Aus Frust, wie sie im Gespräch mit der woxx sagt. Die Ansicht, dass sich die Arbeitsbedingungen an Filmsets ändern müssten, sei unter Filmtechniker*innen weit verbreitet, so Becker. Zurzeit müssten sie den Produzent*innen oftmals wochenlang „hinterherrennen“, damit geleistete Überstunden entlohnt würden. Dabei dauere, präzisiert Becker, ein regulärer Drehtag bereits um die elf Stunden. Zu diesen kämen dann zum Teil noch zwei, drei Überstunden hinzu.

„Das Problem sind nicht die elfstündigen Arbeitstage. Ein Problem sehe ich erst dann, wenn es weit über diese elf Stunden hinausgeht“, sagt uns Pierre Mayrisch (Name von der Redaktion geändert), der seit zwölf Jahren als unabhängiger Filmtechniker arbeitet. Er hat zwar nichts mit dem Instagram-Account zu tun, sieht jedoch ebenfalls akuten Handlungsbedarf. Für ihn geht es bei der Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen um weit mehr als Komfort: „Es kommt immer wieder zu Unfällen, weil Menschen nach einem Dreh übermüde nach Hause gefahren sind,.“ Er würde Filmtechniker*innen kennen, die in ihrem Auto schliefen, weil sie sich die Heimfahrt nach einem 16-Stunden-Arbeitstag nicht mehr zutrauten. Negative Erfahrungen mit Überstunden hat Mayrisch auch schon gemacht: „Es ist jedes Mal eine Riesendiskussion. Jedes Mal.“ Wenn Produzent*innen ihm früher im Vorfeld eines Drehs sagten, dass sie keine Überstunden bezahlen könnten, sei er naiverweise davon ausgegangen, dass dann auch keine verlangt würden. Dem sei leider nicht so. Manche Produktionen sähen auch Nachtdrehs vor, obwohl der entsprechende Zuschlag nicht bezahlt werden könne. „Filmtechniker wird man aus Liebe zum Job, nicht, weil man reich werden möchte.“ Das müsse aber unter zumutbaren Bedingungen ablaufen. „Wenn etwas schiefläuft, fühlt niemand sich verantwortlich. Zum Teil weiß man auch nicht, wen man auf sein Problem ansprechen kann“, so Mayrisch. Manche Techniker*innen nähmen ihre Ausbeutung resigniert hin aus Angst, andernfalls keine Aufträge mehr zu bekommen.

Becker sieht das ähnlich: „Wenn du nach acht Arbeitsstunden nach Hause gehst, brauchst du am nächsten Tag gar nicht wiederzukommen.“ Andere wiederum, so Becker, würden sich eher gegen ein Filmprojekt entscheiden, als potenziell um eine adäquate Entlohnung betteln zu müssen. Produzent*innen weigerten sich jedoch die Beschwerden ernst zu nehmen. „Mir war es deshalb wichtig, die Erfahrungsberichte zu sammeln und für alle sichtbar zu machen“, so Becker.

Was aber war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte? Was letztlich der Grund, besagten Instagram-Account einzurichten? Eine Diskussion zwischen ihr und der befreundeten Produktionsleiterin Karoline Maes, erklärt uns Becker. Konkret ging es dabei um ein Youtube-Video der US-amerikanischen Social-Justice-Initiative A More Perfect Union, das die schlechten Arbeitsbedingungen auf den Filmsets von Netflix-, Amazon-, Apple- und Hulu-Produktionen thematisierte. In dem Video wird behauptet, amerikanische Filmcrews hätten keine Sozialversicherung, müssten Monate am Stück 16 Stunden am Tag arbeiten, hätten keine Mittagspause, Überstunden würden nicht bezahlt. Als Becker Maes besagtes Video zeigte, sei letztere zwar schockiert gewesen, habe aber andererseits ihre Erleichterung darüber ausgedrückt, dass hierzulande keine solche Zustände herrschten – eine Sichtweise, die in Beckers Augen zu optimistisch ist.

Auf unsere Nachfrage hin erklärt Maes, worin sich US-amerikanische Filmdrehs ihrer Meinung nach von 
luxemburgischen unterscheiden. „Hier 
gelten Gesetze, die ein solches Ausmaß an Ausbeutung verhindern.“ In Luxemburg dauere ein Drehtag elf Stunden inklusive Mittagspause, komme es zu Überstunden, gebe es dafür einen erhöhten Lohn, wer arbeitslos werde, habe Anrecht auf Arbeitslosengeld. Zu behaupten, die Arbeitsbedingungen an luxemburgischen Filmsets seien mit denjenigen in den USA vergleichbar, bezeichnet Maes als anmaßend. „Ich sage damit nicht, dass hier alles genial ist. Nur, dass es nicht ist wie in Amerika.“ Wem bei einem Dreh die Anzahl der Pausen nicht ausreiche, müsse dies der zuständigen Produktion mitteilen, damit eine Lösung gefunden werden könne. „Bei langen Drehtagen setze ich mich als Produktionsleiterin jedenfalls immer dafür ein, dass die, die besonders früh da sein müssen, eventuell früher gehen können.“ Seien Überstunden fällig, würde stets das Einverständnis der gesamten Filmcrew eingeholt. „Wenn dann jemand sagt, ‚ich würde jetzt gerne nach Hause fahren’, dann suchen wir nach einer Lösung, um die entsprechende Arbeit von einer anderen Person im Team übernehmen zu lassen.“ Produktionen, bei denen ein ungeplanter Drehtag hinzukomme, gebe es ihrer Erfahrung nach nur selten. In der Regel sei dies auf die Unerfahrenheit der Regie oder Regieassistenz zurückzuführen. „Meiner Erfahrung nach sind die meisten Filmdrehs sehr angenehm und die Stimmung ist gut.“

Marie Becker kann sich diese unterschiedlichen Sichtweisen leicht erklären: „Karoline hat nie als Technikerin auf einem Set gearbeitet und kann sich deshalb wahrscheinlich nur schwer in deren Haut hineinversetzen.“ Genauso gebe es auch Produzent*innen, die nur selten einen Fuß über die Schwelle eines Filmsets setzten. „Die sehen nur auf dem Papier, dass das Team ein paar Überstunden einlegen musste. Sie waren nicht dabei beim Nachtdreh im strömenden Regen oder im Sommer bei 40 Grad.“ Becker habe mit dem Instagram-Account die Bedingungen in Luxemburg keineswegs mit jenen in den Vereinigten Staaten vergleichen wollen. „Es wäre aber eine Frechheit zu sagen, dass hier alles gut läuft“, so Becker.

Im Gegensatz zu Maes hat Becker beide Arbeitsbereiche erlebt. Zwei Jahre lang arbeitete sie als Production Coordinator. „Ich habe mitbekommen, dass es in den meisten Fällen wirklich nicht auf ein paar hundert Euro ankommt.“ Bei einem Tontechniker aus Metz sei es selbstverständlich gewesen, dass man ihm das Hotelzimmer bezahlt, damit ihm die zweistündige Heimfahrt erspart bleibe. „Die paar Euro müssen mir als Production Coordinator sein Leben wert sein.“

„Gebrannte Kanner“

Inspiriert hat sich Becker am US-amerikanischen Instagram-Account IATSE Stories. Diesen hatte der Beleuchter Ben Gottlieb im August 2021 eingerichtet, mit dem Aufruf an Filmtechniker*innen, ihre problematischen Erfahrungen mit anderen Betroffenen zu teilen. Die Seite hat mittlerweile 167.000 Follower; 1.270 Posts wurden veröffentlicht.

Davon ist das luxemburgische Pendant zurzeit noch weit weg. Dennoch stößt es bei den kritisierten Berufsgruppen auf wenig Begeisterung. Von uns um ein Interview gebeten, antwortete Filmproduzent Paul Thiltges: „Eng Stellungnam dozou ass schwéier, aus ville Grënn. A mir Produzente si gebrannte Kanner, et ass esou vill an deene leschte Jore geschriwwe ginn iwer eis, pauschal Accusatiounen goufen erhuewen, Frust gouf un eis ausgelooss, an an alle Fäll (bis elo) hunn all déi Uschëllegungen sech als net haltbar erwisen.“

Eine Stellungnahme enthielt Tihltges‘ E-Mail dann doch. In der Filmbranche seien andere Bemühungen gefordert als in anderen Berufssparten „an dofir sinn och d’Paien méi héich wéi an anere Beruffer“. Die Arbeit an Filmsets sei klar geregelt. Techniker*innen stehe zudem zu, Überstunden zu verweigern. Gleichzeitig vergleicht er einige Abschnitte später Filmdrehs mit einem Uhrwerk, in dem alle Zahnräder perfekt ineinandergreifen müssten, „a wann eent stoe bleift, da steet de ganzen Tournage“.

Die Instagram-Posts, so Thiltges, vermittelten eine einseitige Sicht auf das Ganze. Da sei offenbar auch viel Frust mit im Spiel. Vor allem Praktikant*innen seien seiner Erfahrung nach oft frustriert, wenn sie für ihre Arbeit am Set nicht entlohnt würden. Falls die auf Instagram erhobenen Vorwürfe aber stimmten, so Thiltges weiter, „dann ass dat sécher an enger Rei Fäll net an der Rei a misst och dénoncéiert ginn“. Der Produzent räumte ein, dass die Arbeitsbedingungen von Aufnahmeleiter*innen „nicht optimal“ seien, „mee dat ass net onbedingt esou, well d‘Produktioun dat vun hinne verlaangt, mee well si moies de Set preparéieren an owes mussen ofbauen (…)“. Dennoch seien anonyme Posts auf Instagram nicht das richtige Mittel, um auf Missstände aufmerksam zu machen.

Was an Thiltges Reaktion stutzig macht: Wir hatten um ein Interview mit ihm in seiner Funktion als Präsident der Union Luxembourgeoise de la production audiovisuelle (Ulpa) 
gebeten. Ein Teil seiner Antwort beschränkt sich jedoch auf seine 
Person: Er selbst habe noch nie Praktikant*innen beauftragt, Kaffee zu machen oder seine privaten Einkäufe zu erledigen. „Kee vun dësen 10 Statements betrëfft ee vu menge Filmer, do sinn ech iwwerzeegt, an ech géif och fir meng Kolleegen aus der ULPA meng Hand an d’Feier leeën.“

Illu: CC0

Auch Guy Daleiden, Direktor vom Filmfund, fällt es schwer, die Vorwürfe ernst zu nehmen. Der Filmfund habe noch nie von offizieller Seite erfahren, dass auf einem Filmdreh die Gesetzgebung missachtet worden sei. „Mir si jo och keng Instanz wéi d’ITM zum Beispill, déi kontrolléire geet op Tournagen. Mir sinn eng Instanz, déi Sue gëtt fir Projeten, déi am Respekt mam Droit de Travail oflafen.“ Von Arbeitsverträgen, die acht Arbeitsstunden vorsehen, obwohl ein Drehtag in der Regel zehn Stunden dauert, will Daleiden nichts wissen. „Ech fannen dat schwiereg. Mir kënne jo net einfach ënnerstellen, et géif méi geschafft ginn, wéi virgesinn ass.“ Der Filmfund könne überprüfen, ob alle ihr vertraglich vorgesehenes Gehalt erhalten hätten. Ob aber jemand auf dem Dreh eine Stunde länger gearbeitet habe als sein Vertrag es vorsieht, davon erfahre der Filmfund nichts. Würden Arbeitskräfte dem Filmfund aber nachweislich von Problemen berichten, hätte dies entsprechende Konsequenzen. „Mir kënnen allerdéngs net vun engem Gefill ausgoen, fir Aktiounen ze ënnerhuelen.“

In puncto Überstunden stellt sich die Frage, wie diese finanziert werden. Das anfangs festgesetzte Budget, erklärt uns Daleiden, sei nur vorläufig und der Filmfund strecke keinesfalls den Gesamtbetrag vor: „Mir ginn d’Suen au fur et à mesure esou wéi si se ausginn a mir kontrolléieren, ob d’Suen, déi si eis froen, och fir dee Filmpjojet ausgi goufen.“ Das Budget sei in dem Sinne relativ flexibel. Daleiden gibt jedoch zu bedenken, dass der Filmfund bei jeder Co-Produktion nur einen kleinen Teil der Finanzierung beisteuere und auch nur über diesen Betrag eine Übersicht habe.

Besserung in Sicht?

Wo also ansetzen, um das Ausbeutungsrisiko zu verringern? Für Marie Becker ist die Antwort klar: „Bei den Produktionen. Bei der Berechnung des Budgets gehen sie immer vom Minimum aus. Das muss sich ändern.“ Eine andere Möglichkeit wäre das Aufstocken des Personals, sodass in Schichten gearbeitet werden könne und niemand mehr als acht Stunden am Set bleiben müsse. Das absolute Minimum wäre in Beckers Augen die Abschaffung von Überstunden. „Ein Drehtag, der auf zwölf Stunden angesetzt ist, sollte in keinem Fall darüber hinausgehen.“ Sie hoffe, dass es hierzulande nicht zu einem Streik kommen müsse. „Ich glaube fest daran, dass ein konstruktiver Dialog möglich ist.“

Dem pflichtet auch Maes im Gespräch mit uns bei. „Ich erachte die Diskussion über Arbeitsbedingungen als sehr wichtig. Ich stelle nicht in Frage, dass Vereinzelte sehr schlechte Erfahrungen gemacht haben.“ Sie sei davon ausgegangen, dass sich die Association des techniciens de l’audiovisuel (Alta) für die Rechte von unrechtmäßig behandelten Filmtechniker*innen einsetze. Dem sei, aus ihr unbekannten Gründen, jedoch scheinbar nicht so. Die Schwäche des hiesigen Systems sieht Maes vor allem darin, dass sich das Arbeitsrecht nicht eins zu eins auf den Filmsektor anwenden lasse.

Auch Becker ist der Ansicht, dass bei der Gesetzeslage nachgebessert werden muss. „Dann hätten wir eine Basis, um uns zu wehren. Es ist unmöglich, gegen eine juristische Grauzone anzukämpfen, wie sie die Filmbranche zurzeit darstellt.“ Auf mögliche gesetzliche Anpassungen angesprochen antwortete uns das Arbeitsministerium, dass zurzeit im Filmsektor die gleichen Regelungen gelten, wie in allen anderen Branchen auch. Auf unsere Nachfrage hin schreibt das Arbeitsministerium, dass die Inspection du travail et des mines (ITM) erst dann Maßnahmen ergreift, wenn eine Arbeitskraft einen Verstoß gegen das Arbeitsrecht bei ihr meldet. Dies sei im Filmsektor bisher noch nicht passiert. „Konkret Mesurë sinn aktuell net geplangt, wann awer natierlech festgestallt gëtt, dass aus dësem spezifesche Secteur op eemol besonnech vill Plaintë gemaach ginn, da kënne spezifesch Campagnë lancéiert ginn“, heißt es in der Stellungnahme abschließend.

In der Zwischenzeit hofft Marie Becker, dass sie mit dem Instagram-Account etwas bewegen kann.

Die Alta hatte bei Redaktionsschluss noch nicht auf unsere Interviewanfrage von vor zwei Wochen reagiert.

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