Fräiräim Festival
: Oops, They Did It Again

Trotz Protest aus der Kulturszene 
hält die Philharmonie an ihrer Entscheidung fest: Beim „Fräiräim Festival“ erhalten Musiker*innen keine Gage. Die Szene ist empört, der Veranstalter redet sich heraus.

Die Tramfahrt zur Philharmonie ist gratis, das „Fräiräim Festival“ ebenfalls – doch auf wessen Kosten? (Copyright: Asurnipal, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)

Christophe Reitz (All Reitz Reserved) teilt selten Beiträge auf Facebook, doch vergangenes Wochenende machte der Musiker eine Ausnahme. Zu tief saß die Empörung über die Ausschreibung für die zweite Ausgabe des „Fräiräim Festival“ (28. – 30.06.2024), organisiert von der Philharmonie. Bereits letztes Jahr, als das Festival Premiere feierte, übte die Musikszene Kritik an dem Konzept: Die Philharmonie zahlt keine Gage an die Freizeitmusiker*innen, an die sich das Festival primär richtet. Unbeeindruckt von dem Protest, hält die Philharmonie an dem Modell fest. Im diesjährigen Aufruf zur Teilnahme wird der Entschluss damit gerechtfertigt, die Veranstaltung sei nicht „kommerziell ausgerichtet“, sprich das Publikum erhalte freien Eintritt. „Aber keine Sorge: wir lassen dich nicht im Stich, ganz im Gegenteil“, vertrösten die Veranstalter*innen potenzielle Bewerber*innen. „Ein ganzes Arsenal an Ressourcen wird dir kostenlos zur Verfügung gestellt, von der Bühnentechnik über das technische Personal bis hin zu den Kommunikationsressourcen. Nicht schlecht, oder?“ Für Christophe Reitz jedoch ist es ein Schlag ins Gesicht.

Neben der ausbleibenden Gage schockiert ihn auch der Tonfall des Aufrufs: „Das klingt so, als sollten die Künstler dankbar sein, die Techniker nicht bezahlen zu müssen.“ Das erinnert ihn an einen Missstand in der Musikszene: „In der Szene kursiert das zynische Angebot ʿPlay for Exposureʼ, das soviel bedeutet wie: Spiel gratis für mehr Sichtbarkeit, dann wirst du berühmt.“ Dieses Prinzip werde von allen Seiten kritisiert und bekämpft. Umso absurder sei es, dass ausgerechnet eine öffentliche Institution wie die Philharmonie, der es nicht an Budget fehle, sich im Rahmen des „Fräiräim Festival“ dafür ausspreche.

Die Philharmonie zählt seit 2005 zu Luxemburgs öffentlichen Kultur-
einrichtungen. 2024 erhält sie 25 Millionen Euro vom Kulturministerium. Das Konzerthaus befindet sich außerdem unter den Unterzeichnenden der „Charte de déontologie“ für den Kultursektor, die 2022 eingeführt wurde. Diese sieht unter anderem die angemessene Bezahlung von Künstler*innen nach Vorgaben aus dem Sektor vor. Zwar gibt es keine festgelegten Tarife in der Musikbranche, von kostenfreien Auftritten ist in der Charta jedoch definitiv keine Rede.

Für Reitz ist es unverständlich, dass die Vorsätze der Charta hier nicht umgesetzt werden. Im Gegenteil: Das Kulturministerium stärkte der Philharmonie letztes Jahr sogar den Rücken. Die ehemalige Abgeordnete Nathalie Oberweis (Déi Lénk) hatte damals in einer parlamentarischen Anfrage zum „Fräiräim Festival“ um eine Stellungnahme der Ex-Kulturministerin Sam Tanson (Déi Gréng) gebeten. Tanson verteidigte die Ethik-Charta genauso wie die Entscheidung der Philharmonie, die Musiker*innen unbezahlt auftreten zu lassen. Ein Widerspruch? Nicht für Tanson, denn immerhin seien die Freizeitmusiker*innen über die ausbleibende Gage informiert worden und bekämen noch dazu die Möglichkeit, in einem professionellen Rahmen aufzutreten.

Ähnlich argumentiert Stephan Gehmacher, Generaldirektor der Philharmonie, im Austausch mit der woxx. Er hält die Konditionen des „Fräiräim Festival“ mit den Ambitionen der Ethik-Charta vereinbar. „Ich hoffe, dass die aktuelle Diskussion zur Klärung der Frage beiträgt, welche künstlerische Aktivität mit einem Honorar zu vergüten ist. Die Musikszene, insbesondere in Luxemburg, umfasst weit mehr als nur die wenigen Musiker*innen, die Musik zu ihrem Beruf gemacht haben und damit ihren Lebensunterhalt verdienen“, schreibt er. Es gebe eine Vielzahl von Menschen, die in Harmonien, Chören, einer Band und anderen Gruppierungen mitwirkten und „dies nicht, um damit Geld zu verdienen, sondern weil sie Freude daran haben“. Für jene organisiere die Philharmonie das Festival. „Wir haben nach der ersten Edition sehr viel positives Feedback bekommen, sodass wir denken, dass eine Wiederholung sinnvoll ist.“ Die Veranstalter*innen würden sich damit, entgegen jeder Kritik, in den Dienst der Freizeitmusiker*innen stellen und ihnen eine Bühne geben, samt technischer Unterstützung.

Weder Christophe Reitz noch die freischaffende Musikmanagerin Stephanie Baustert, die Reitz Beitrag teilte, verurteilen die Förderung von Freizeitmusiker*innen. Ihnen geht es vielmehr um Grundsatzdiskussionen: Wer unterscheidet zwischen Amateur*innen und Profis? Warum ist die Arbeit der einen weniger wert, als jene der anderen? Und welche Konsequenzen hat die Entscheidung der Philharmonie auf die Szene? „Ich finde es problematisch, zwischen Amateur*innen und Profimusiker*innen zu unterscheiden, zumal jede professionelle Karriere irgendwo ihren Anfang hat“, sagt Baustert der woxx. Selbstverständlich würden die Gagen je nach Renommee variieren: Wer mehr Fans mitbringe, erhalte mehr Geld. „Es gibt Veranstalter*innen von Musikfestivals, die deswegen unterschiedliche Gagen bezahlen und nebenberuflichen oder unbekannten Musiker*innen beispielsweise weniger geben, als dem Lead-Act“, so Baustert. Sie selbst hat hochgerechnet, wie viel eine symbolische Vergütung beim „Fräiräim Festival“ insgesamt kosten könnte: „Letztes Jahr nahmen um die 600 Musiker*innen am Fräiräim Festival teil. Wenn die Philharmonie allen 100 Euro gegeben hätte, würde das Ausgaben in Höhe von 60.000 Euro entsprechen.“ Bei einem Jahresbudget von 25 Millionen Euro, sei das nichts.

Künstler*innen würden stattdessen hier ausgebeutet, denn natürlich folgten manche dem Aufruf. „Sie denken, ʿWann habe ich sonst das Glück, für die Philharmonie zu spielen?ʼ. Die Philharmonie sitzt am längeren Hebel und nutzt diese Position aus“, kritisiert die Musikmanagerin. Sprechen sie Musiker*innen auf das Festival an, vermittelt sie ihnen lieber den Kontakt zur Programmleitung der Philharmonie statt eine Teilnahme am Festival zu befürworten. „Sie verdienen einen Platz im regulären Programm des Hauses, gegen Entlohnung“, sagt sie. Manchen Musiker*innen sei zudem nicht bewusst, was ein kostenfreier Auftritt mit sich bringe: Er schade am Ende jenen, die eine Gage verlangen oder gar auf diese angewiesen sind. „So entstehen unfaire Situationen“, schlussfolgert Baustert.

(Wolfgang Staudt, CC BY-NC 2.0 Deed)

Am besten wäre es, wenn sich niemand auf das Festival bewerbe, so die Musikmanagerin weiter: „Ohne Teilnehmende, kein Festival.“ Leider fehle es in Luxemburg noch an einer Vereinigung, die die Rechte der Musiker*innen verteidige. Sie appelliert an alle, die Musiker*innen repräsentieren. „Es wird Zeit, dass sich etwas tut“, sagt sie. Langfristig brauche es formelle Initiativen, die sich für die Rechte der Musiker*innen stark machten und feste Tarife vorschlagen würden, an die sich Veranstalter*innen künftig halten müssen.

Die Alliance musicale, die Interessenvertreterin der Konzertveran-
stalter*innen, der unter anderem die Philharmonie angehört, unterstützt Bausterts Aufruf. Der Verbund setzte sich in einem offenen Brief im Vorfeld der Nationalwahlen 2023 selbst für die faire Bezahlung aller Angestellten im Kultursektor ein. Kommentieren oder kritisieren will der Vorstand einzelne Programmpunkte ihrer Mitglieder der woxx gegenüber aber nicht. „Wir hören und verstehen die verschiedenen Beschwerden der Musiker*innen und es gibt offensichtlich Lücken im Dialog zwischen ihnen und den Musikeinrichtungen“, schreibt die Alliance musicale. „Wir bedauern, dass die Musiker*innen in Luxemburg bis dato keinem Verbund angehören und motivieren sie hiermit, sich zusammenzutun, damit die Alliance musicale sich punktuell oder regelmäßig mit diesem austauschen kann.“

Sowohl Baustert als auch Reitz betonen derweil, dass sie die Philharmonie eigentlich schätzen. In der Regel seien Bezahlung und Spielbedingungen für die Künstler*innen gut. Das „Fräiräim Festival“ bilde für die Philharmonie und die großen Kulturinstitutionen allgemein eine Ausnahme: Es komme selten vor, dass große Häuser die Musiker*innen, unabhängig von ihrer Erfahrung und dem Projekt, gar nicht vergüte. Auch bei dem Publikum konstenfrei zugänglichen Festivals und Musikveranstaltungen, würden die Musiker*innen meist entlohnt. Baustert zitiert die Blues’n Jazz Rallye oder die Fête de la musique. „Jetzt könnte sich jedoch die Frage aufdrängen: Wieso sollten kleinere Kulturinstitutionen und Veranstalter*innen weiterhin zahlen, wenn die Philharmonie das nicht macht?“, befürchtet sie.

Stephan Gehmacher hält hingegen an der Narrative fest, das Festival fördere Freizeitmusiker*innen. „Es geht bei dem Festival um Menschen, die Musik nicht als Arbeit sehen“, schreibt er. Für Kulturschaffende, die auf dem Weg der Professionalisierung seien, gebe es viele andere Möglichkeiten, durch die Philharmonie mit einem entsprechenden Honorar engagiert zu werden oder im Programm mitzuwirken. „Und zwar in allen Musikgenres, die die Philharmonie abdeckt“, betont der Generaldirektor. So vergebe das Haus zahlreiche Kompositionsaufträge an luxemburgische Komponist*innen, engagiere Arrangements, Einzelkünstler*innen und Ensembles. „Wir versuchen diese Künstler*innen aktiv bei der Professionalisierung zu unterstützen und/oder sie mit internationalen renommierten Künstler*innen zusammenbringen“, präzisiert er.

Warum diese Auftrittsmöglichkeiten eine Bezahlung der Freitzeitmu-
siker*innen beim „Fräiräim Festival“ ausschließt, bleibt nicht nachvollziehbar. Für Reitz ist jedenfalls klar: „Es bringt die luxemburgische Musikszene nicht weiter, wenn nach außen weiterhin das Bild vermittelt wird, dass es in Ordnung ist, dass Künstler umsonst auftreten. Egal ob Profis oder Amateure. Als professionelle Institution trägt die Philharmonie Verantwortung für beide Gruppen.“ Wer die Professionalisierung der luxemburgischen Musikszene vorantreiben wolle, müsse Kunst als ökonomisch sinnvolle und rentable Aktivität darstellen. „Und wenn es nur als erstrebenswertes Ideal ist“, sagt Reitz.

Er selbst ist seit sieben Jahren freiberuflicher Musiker und kann von seiner Kunst leben. Phasenweise plagen ihn dennoch finanzielle Sorgen; manchmal ist er „auf Unterstützung von links und rechts“ angewiesen. Dass dies keine Seltenheit ist, offenbart ein Blick in die Bestandsaufnahme zur klassischen Musikszene in Luxemburg, die im November vom Kulturministerium publiziert wurde: 2022 gab das Kulturministerium über den Fonds social culturel insgesamt 374.873 Euro zur Entschädigung von Kurzzeitarbeiter*innen sowie 104.164 Euro für freischaffende Künstler*innen im Musiksektor aus, die unfreiwillig erwerbslos waren. In demselben Jahr bezogen insgesamt 29 Kurzzeitarbeiter*innen und 12 freischaffende Künstler*innen im Musiksektor Unterstützungsgelder. In dem Dossier heißt es, viele Musiker*innen würden zusätzlich zu ihren Auftritten Musik unterrichten, andere seien Teil eines festen Ensembles oder Orchesters. Dies erkläre, warum sie im Vergleich zu Künstler*innen anderer Genres seltener auf finanzielle Beihilfen zurückgreifen würden.

Reitz nennt es derweil Glück, dass er früh mit etablierten Künst-
ler*innen, Freiberufler*innen und Unternehmer*innen aus der Kulturbranche zusammengearbeitet habe. Mit seiner ersten Band habe er auch Konzerte umsonst gespielt, weil er Lust hatte, Musik zu machen. Das Zusammentreffen mit erfahrenen Kulturschaffenden habe ihm jedoch gezeigt, wie es anders geht. „Diese Erfahrungen haben mir vor Augen geführt, dass das, was wir tun, auch einen finanziellen Wert hat“, sagt Reitz. „Zu Hause habe ich durch einen Vater, der selbst einen kleinen Betrieb führte, gelernt, was eine Stunde Arbeit kostet.“ In der Schule sei ihm Unternehmensführung nicht nahegelegt worden. „In Luxemburg lernen wir eher, auf Nummer sicher zu gehen, und über Geld wird ungern offen geredet. Besonders zu Karrierebeginn kann es schrecklich unangenehm sein, über die eigene Gage zu verhandeln“, erinnert er sich. Für ihn kommt erschwerend hinzu, dass die Tarife für Kulturbeiträge nicht indexiert sind – die Soziallasten jedoch schon.

Der Musiker sieht aber trotzdem nicht schwarz. Die Gagen seien allgemein gestiegen; in manchen Kulturhäusern seien äußerst engagierte Menschen tätig, denen viel an der lokalen Szene gelegen sei und die jene konstruktiv mitgestalteten. Auf seinen Post über die Philharmonie hat er bisher über 400 Reaktionen erhalten. Die große Solidarität überrascht ihn. „Es ist nicht evident, sich als Künstler, der oft am kürzeren Hebel sitzt, öffentlich gegen eine Institution zu positionieren“, gibt er zu. „Ich hoffe, dass ich trotzdem in den nächsten fünfzehn Jahren bei einer End of Season Party in der Philharmonie spielen darf“, fügt er mit einem Augenzwinkern hinzu.


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