Auf Youtube: W.

2020 wurde „W.“ als eine der ersten Webserien Luxemburgs gefeiert, dieses Jahr lief die zweite Staffel auf Youtube. Ist der Krimi im Kurzformat gut durchdacht oder schlecht gemacht?

Catherine Elsen spielt W in der gleichnamigen Webserie von Frédéric Zeimet: eine Frau auf dem autistischen Spektrum, die ihr Gedächtnis und ihre Familie verloren hat. (Copyright: Six Letters/Screenshot)

Begann die erste Staffel der luxemburgischen Webserie „W.“ noch mitten im Wald, nimmt das zweite Kapitel im Bett der Hauptfigur seinen Lauf: W (Catherine Elsen) erinnert sich im Traum an eine Toilettenkabine im Echternacher Kulturzentrum Trifolion. Die Kleidung, die sie bei ihrer Verhaftung in der ersten Staffel trug, hängt an einem Kleiderbügel. Damit knüpft die Fortsetzung der Webserie von Drehbuchautor Frédéric Zeimet, die im September auf Youtube online ging, an den ersten Teil der Serie an, die gleich zu Beginn der neuen Staffel häppchenweise rekapituliert wird.

W wurde darin als junge Frau porträtiert, die ihr Gedächtnis verloren hat und sich außerdem auf dem autistischen Spektrum befindet. W heißt eigentlich Charly Bech, doch tut sie sich aufgrund ihrer Gedächtnislücken schwer, sich mit diesem Namen zu identifizieren. Sie zieht „W“ wie „Wissen“ vor. Von Charlys Wissen machen vor allem die Polizeibeamten Tom (Jerome Burelbach) und Greg (Fränk Grotz) Gebrauch, sowohl in der ersten als auch in der zweiten Staffel. Die beiden tasten sich langsam an W heran und lernen durch sie Wege, sich einer Person auf dem Spektrum gegenüber respektvoll zu verhalten. In der ersten Staffel hapert es anfangs, im zweiten Teil der Serie wird Greg zu Ws Vertrauensperson, die ihr unterstützend zur Seite stehen will.

In beiden Staffeln wird demnach viel Wert auf Ws Perspektive auf die Welt, ihre Umgebung und auf zwischenmenschliche Beziehungen gelegt. In einem Interview mit „Le Quotidien“ gab Zeimet 2020 an, sich für Ws Darstellung Rat bei der „Fondation Autisme“ geholt zu haben. „On a beaucoup travaillé sur la perception du réel, tout à fait différente et complexe, que peuvent avoir les personnes autistes“, wird er in dem Artikel zitiert. „Je ne suis pas certain que ce soit conforme à une perception autistique, mais ça présente bien la capacité d’analyse, cette simultanéité dans la réalité que perçoit le personnage.“ Joanne Theisen, selbst auf dem Spektrum, führt die Serie auf ihrer Internetseite autismus-welten.lu und in der Podcastfolge „Konscht um Spektrum“ des Kulturpodcasts „Um Canapé mat der woxx“ derweil als hilfreiche und interessante Darstellung von Autismus an.

Autismus und Tabuthemen 
in Scheibchen

Ws Hypersensibilität und ihre Kommunikationsschwierigkeiten sind in jedem Fall zentral für die Handlungsstränge der Webserie. Zeimet und sein Team illustrieren ihre Gefühle, aber auch ihre Wahrnehmungen, indem sie Illustrationen und Schlagwörter einblenden. Eines von vielen stilistischen Elementen, durch die sich die Webserie von ähnlichen Formaten eindeutig hervorhebt und die ihr einen künstlerischen Anstrich verpassen. Auch an anderen Stellen überraschen die Serienmacher*innen ihr Publikum mit technischen Feinheiten mit Mehrwert auf ästhetischer Ebene. So löst W sich in der zweiten Staffel in einer Szene von ihrem eigenen Abbild, um sich von sich selbst zu distanzieren und ihren verschwundenen Ehemann in Erinnerungen zu berühren. Ein schönes Bild, das weiter als aktives Eingreifen in die eigenen Souvenirs gelesen werden kann.

„W.“ ist dennoch kein experimentelles Kunstwerk, sondern in erster Linie eine Kriminalgeschichte. In beiden Staffeln hilft W der Justiz bei Ermittlungen. Handelt es sich im ersten Teil um einen schnell gelösten Fall von Kindesentführung, holt Zeimet im zweiten Teil weiter aus: Es geht um das Verschwinden von Ws Familie und um Cyberkriminalität. Im Laufe der Erzählung wird deutlich, wie der Fall aus der ersten Staffel mit den Verbrechen des zweiten Kapitels zusammenhängt. Den Verbrechen ist gemein, dass sie unerwartete Motive haben: Hinter der Kindesentführung steckt beispielsweise weder Pädophilie noch ein Sorgerechtsstreit; der Datenklau veröffentlicht keine Bankdaten, sondern private Geheimnisse der Betroffenen. Das wirft eine Reihe ethischer Fragen auf: Ist es moralisch vertretbar, Kinder aus ihrer Einsamkeit zu befreien? Ist es ein Verbrechen, Geheimnisse zu veröffentlichen, die mit Tabus wie Suizidversuchen brechen?

In dem Sinne kommen neben den Kriminalfällen viele Themen aufs Tapet: Depression, Verlust, Tod, Suizid, Krankheit, Pandemie, Ausgrenzung von Menschen mit Behinderungen, Homosexualität und Genderparität bei der Polizei. Was dicht klingt, ist es in Wahrheit nicht. Den Serienmacher*innen gelingt der Drahtseilakt: Sie schneiden die Themen in den maximal zwölfminütigen Episoden gerade so weit an, dass sie nichts an Komplexität einbüßen und zugleich den Handlungsstrang nicht unterbrechen. Dadurch wirkt es authentisch, statt um Aktualität bemüht.

Allerdings macht sich besonders in emotionalen Szenen eine Schwachstelle der Webserie bemerkbar: die schauspielerische Leistung. Die Charaktere sind zwar gut geschrieben, die Inszenierung wirkt stellenweise jedoch hölzern oder aber überzogen. Ähnlich ungelenk sind deswegen auch manche Dialoge, denn das Tempo und die Dynamik der Gespräche schwanken zwischen komödiantischem Schlagabtausch und forciert tiefgründigen Monologen. Humor ist bekanntlich Geschmackssache, jedoch ist klar erkennbar, dass sich die Serienmacher*innen um Sarkasmus, Ironie, um Leichtigkeit bemühen. So antwortet W auf die Aussage „Ech sinn der Situatioun net gewuess“ mit „Kanns du keng Tallécken undoen?“. Wenn sie ihre Haustür erst nach Sturmklingeln der Polizei öffnet, entgegnet sie der Kritik der Beamten: „Et schällt fir ze soen, datt een do ass. Net fir datt een engem opmécht.“ W sorgt mit ihren Reaktionen bestimmt für Lacher, über die sich aber diskutieren lässt. Weil sie am Ende eben doch auf Kosten einer Person auf dem Spektrum gehen könnten.

Weniger Diskussionsbedarf gibt es hingegen zur Frage, ob hier jemand sein Metier beherrscht: „W.“ bedient das Genre des Krimis nämlich ausgezeichnet. Jede Folge kommt mit einem Cliffhanger und Spannungsbogen daher, die zum weiterschauen animieren. Und ist trotzdem ganz anders als gängige Krimiserien wie etwa der deutsche „Tatort“ oder der luxemburgische Erfolg „Capitani“. Es ist eine Serie, die trotz der erwähnten Minuspunkte eindeutig nachwirkt und Fragen aufwirft, die für ein kurzweiliges Webformat ambitioniert sind.

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