Berichterstattung über queere Menschen: Gefühlte Wahrheit

In den Medien wird zu viel und zu einseitig über LGBTIQA+-Menschen berichtet. Das sehen zumindest manche Rezipient*innen so. Wie damit umgehen?

Foto: Daniel Kulinski; Arc Deigns

„Schon wieder queer und trans: Zu viele LGBT-Themen im Programm?“, so der Titel einer rezenten Folge des Podcasts „Nach Redaktionsschluss“ vom Deutschlandradio. Wer regelmäßig über den entsprechenden Themenkomplex schreibt, kennt diesen Vorwurf nur zu gut. Ab und zu kommt es sogar vor, dass Abos mit ebenjener Begründung gekündigt werden.

Das Konzept besagten Podcasts ist schnell erklärt: In jeder Folge kommen Hörer*innen zu Wort, die sich an der Berichterstattung des Senders in irgendeiner Weise stören – meist, weil ihnen eine bestimmte Perspektive zu kurz gekommen ist. In den vergangenen Monaten ging es um spezifische Ereignisse, wie etwa die Silvesterkrawalle in Berlin, die Räumung von Lützerath oder die Übernahme von Twitter durch Elon Musk. Es ging aber auch um zeitlose Themen, wie etwa die Berichterstattung über Sexarbeit, Obdachlosigkeit oder Männerbilder.

In oben erwähnter Folge kam ausnahmsweise nur ein Hörer zu Wort. Wortgewandt beschrieb Rentner Gerd Landshut seinen Ärger über das Zuviel an Berichterstattung über queere Menschen auf seinem Lieblingssender. Als Ursache für diesen Ärger nahm er Bezug auf die sogenannte Cancel Culture: Äußerten sich Heteros kritisch zur queeren Szene und ihrer Darstellung, werde darauf mit einer „außerordentlichen Aggressivität“ reagiert. Umso erfreuter war er, als Journalistin Annika Schneider ihn zum Gespräch einlud.

Im Podcast räumt Schneider ein, dass Berichte über queere Menschen mehrheitlich von Gewaltvorkommen handeln. „Die queeren Menschen, die das hören, die kriegen wenig Leben gespiegelt und viel Gefahr“, bedauert sie. Menschen wie Landshut empfinden diese Einseitigkeit ebenfalls als suboptimal, allerdings nicht, weil sie sich mehr positive Beiträge über Queerness wünschen. Es ist der Mangel an Berichterstattung über Gewalt queerer Menschen gegenüber Heteros, die dem Rentner sauer aufstößt. Er verweist in diesem Zusammenhang auf Terfs, die aus Angst vor Attacken Polizeischutz anfragen.

Es bringt nichts Marginalisierung zu thematisieren, wenn man nicht genauso viel über Privilegien spricht.

Den Vorwurf „Nicht schon wieder LGBT“ kennen nicht nur Medienschaffende. Eine entsprechende Schwerpunktsetzung wird auch dann lauthals kritisiert, wenn etwa Kinobetreiber Kinepolis zum Pride Month eine Reihe queerer Filme ankündigt oder das Familienministerium auf seiner Facebook-Seite eine an LGBTIQA+-Menschen gerichtete Umfrage veröffentlicht. „Was interessieren mich queere Menschen?“ oder „Und was ist mit uns Heteros?“, ist dann haufenweise in den Kommentaren zu lesen.

Der Vorwurf, Rezipient*innen würden mit queeren Inhalten überschwemmt, ist zu verbreitet, um ihn zu ignorieren. Eine 2019 von dem deutschen Meinungsforschungsinstitut Forsa durchgeführte Studie ergab, dass ein Viertel der befragten Berliner*innen – zwei Drittel davon Männer – das Gefühl haben, in den Medien „zu viel“ mit queeren Inhalten konfrontiert zu sein.

In der Folge von „Nach Redaktionsschluss“ wird mehrmals deutlich, dass es sich bei Landshuts Eindruck einer unverhältnismäßig hohen Berichterstattung um eine gefühlte Wahrheit handelt, die sich kaum mit Zahlen belegen lässt. Auch werden immer wieder Wissenslücken bezüglich LGBTIQA+-Menschen deutlich. Als Landshut etwa schildert, was er unter „trans“ versteht, wird ein gefährliches Halbwissen offenbar.

Daraus ergibt sich eine paradoxe Situation: Ebenjene Menschen, die über eine Informationsflut klagen, stellen sich, wenn man genau nachfragt, als mangelhaft informiert heraus. Ob es angesichts dessen ausreichen würde, die Anzahl der Artikel, Filmreihen oder Umfragen über LGBTIQA+-Menschen zu erhöhen, ist fraglich. Wichtiger wäre es wohl, diese Themen anders aufzugreifen und vor allem mit mehr Vielfalt. Es bringt nichts Marginalisierung zu thematisieren, wenn man nicht genauso viel über Privilegien spricht. Immerhin ist die Diskriminierung einer Bevölkerungsgruppe stets zugunsten von mindestens einer anderen Gruppe. Sich auf Berichterstattung über Queerfeindlichkeit einerseits und die ach so bedrohliche Cancel Culture andererseits zu beschränken, kann jedenfalls nicht die Lösung sein.


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