Corona-Wirtschaftskrise: Geld oder Leben?

Zur direkten, medizinischen Bedrohung kommt eine indirekte, wirtschaftliche hinzu. Gesundheitspolitik allein reicht fürs Überleben nicht aus.

Kosten der Katastrophe weltweit gerecht verteilen. (Wikimedia; epSos.de; CC BY 2.0)

„Der Schutz von Gesundheit und Leben ist wichtiger als ökonomische Interessen“, verkündete Xavier Bettel am vergangenen Dienstag in der Chamber. Dass es gerade ein Premierminister der DP, also der liberalen Partei ist, der die Wirtschaft anderen Werten unterordnet, hat Symbolwert. Diese Haltung ermöglicht es der Regierung, Maßnahmen mit drastischen Folgen für die Unternehmen zu beschließen. Die Wirtschaft werde sich dann nach der Krise wieder erholen, das versichert zum Beispiel Statec-Direktor Serge Allegrezza. Und bis dahin soll, so die Vorstellung, der Staat den Unternehmen massiv unter die Arme greifen.

Macht flach die Kurven!

Vor dem Ausbruch der Coronavirus-Epidemie hätte man sich gewünscht, dass ökonomische Interessen zurückgestellt werden, zum Beispiel zugunsten sozialer Gerechtigkeit, der Entwicklung des globalen Südens, des Klimaschutzes … Und gerade jetzt ist man versucht, vor dem Gegenteil zu warnen: Politische Entscheidungen zur Epidemiebekämpfung, die ökonomische Überlegungen erst einmal ausblenden, können verheerende Auswirkungen haben. Denn wirtschaftliche Erschütterungen haben das Potenzial, mittelfristig noch mehr Menschenleben zu fordern als der Coronavirus. Die derzeitigen Maßnahmen mögen notwendig sein, doch der sie begleitende Diskurs spielt die ökonomischen Auswirkungen herunter.

Bekannt ist, dass die Staaten versuchen, die Verbreitungskurve des Virus abzuflachen, hierdurch die Zahl der zeitgleich Erkrankten niedrig zu halten und das Gesundheitssystem nicht zu überlasten. Der Ökonom Pierre-Olivier Gourinchas hat vor wenigen Tagen die viel beachtete Analyse „Flattening the Pandemic and Recession Curves“ veröffentlicht – die Kurve des Konjunktureinbruchs sei ebenfalls abzuflachen, um die irreversiblen Schäden, die hierdurch entstehen, zu minimieren.

Einen guten Überblick über diese Risiken und die Handlungsmöglichkeiten bietet der Online-Beitrag „Comment l’État peut faire face à la récession“ des Magazins „Alternatives économiques“. Wenn es durch eine kurze aber tiefe Rezession zu Unternehmensschließungen und Langzeitarbeitslosigkeit komme, leide die Produktivität der Wirtschaft dauerhaft, die wirtschaftliche Erholung werde schwieriger, heißt es dort. Das Magazin verweist auf eine Stellungnahme der Ökonomen Emmanuel Saez und Gabriel Zucman, die mit einem wesentlich stärkeren Schock rechnen als während der Finanzkrise vor zehn Jahren. Die derzeitigen Auswirkungen der Epidemie in Italien lassen jedenfalls das Schlimmste befürchten – auch auf wirtschaftlicher Ebene.

Teurer Virus

In Krisenzeiten ist es aus Sicht der einzelnen Unternehmer*innen rational, Personal zu entlassen oder zu schließen, obwohl das den Teufelskreis der Rezession beschleunigt, hebt „Alternatives économiques“ hervor. Weil hier Konkurrenz- und Marktlogik versagten, müsse der Staat massiv eingreifen, um möglichst viele Unternehmen und Arbeitsplätze – und damit die „Employability“ der Betroffenen – zu erhalten.

Das erklärt auch, warum sich Luxemburgs größte Gewerkschaft in einer Pressemitteilung für die Unterstützung der Unternehmen ausspricht. Neben der Sorge um das Wohlergehen der Arbeitgeber*innen stellt der OGBL auch Forderungen im Namen der Arbeitnehmer*innen: unter anderem die Erhöhung der staatlichen Lohnfortzahlung bei „Chômage partiel“, die Einberufung der Tripartite, um bei den Krisen-Begleitmaßnahmen mitreden zu können, und das Verbot von Entlassungen in Unternehmen, die solche Maßnahmen in Anspruch nehmen. Letzteres erscheint sinnvoll, könnte aber, falls die Maßnahmen unzureichend sind, am Ende zu noch mehr Betriebsschließungen führen.

„Gesundheit an erster Stelle, und danach die Wirtschaft“, das schreibt auch die – für ihre originellen Stellungnahmen bekannte – Patronatsdenkfabrik Idea. In einem Zusatzdokument zu ihrem Jahresgutachten geht sie auf die wirtschaftlichen Aspekte der Corona-Krise ein. Weniger optimistisch als der Statec, rechnet Idea mit einem Rückgang des BIP um mindestens ein Prozent.

Keine staatliche Streikkasse

Der Staat müsse massiv eingreifen, um das Schlimmste zu verhindern, heißt es auch hier – der klassische Keynesianismus scheint wieder in Mode zu kommen. Interessanterweise fasst Idea ins Auge, die Staatsausgaben durch Steuererhöhungen gegenzufinanzieren – ein für eine der Handelskammer nahestehende Denkfabrik recht mutiger Gedankengang.

Angesichts der massiven öffentlichen Ausgaben, die in den kommenden Monaten notwendig sind, stellt sich in der Tat die Frage der Finanzierung. Bei Streiks greifen die Gewerkschaften auf eine Streikkasse zurück, um ihren Mitgliedern über die Runden zu helfen. In der jetzigen Krise bringt der Staat einen Teil der Arbeitnehmer*innen dazu, die Arbeit niederzulegen – doch es gibt keine „staatliche Streikkasse“. Wenn zum Beispiel ein Großteil der Unternehmen auf „chômage partiel“ zurückgreifen und die staatliche Lohnersatzzahlung von 80 auf 100 Prozent angehoben wird, dann kommen über mehrere Monate hinweg große Summen zusammen. Die Haushaltsdefizite für 2020, ob in Luxemburg oder anderswo, werden explodieren.

Bleiben die Länder der Eurozone dabei sich selber überlassen, so sehen sich vom Virus besonders getroffene und schon vorher finanziell angeschlagene Länder wie Italien und Spanien einem mörderischen Dilemma gegenüber: entweder unzureichende staatliche Maßnahmen oder unbezahlbare Zinssätze. Daher müssen die europäischen Institutionen eine kollektive Antwort auf die ökonomischen Herausforderungen der Epidemie liefern (siehe „Cinq décisions à prendre d’urgence“, Alternatives économiques).

Illu: Pixabay

Nie wieder Globalisierung!

Panikverkäufe und Spekulieren gegen finanzschwache Länder beschleunigen derzeit den Kursverfall an den Börsen. Doch auch ohne die „Nebeneffekte“ des Finanzkapitalismus gibt es genug Gründe für eine Finanzkrise. Anders als 2008 widerspiegeln die Börsen derzeit auch den Zustand der Realwirtschaft, die durch den Coronavirus gelähmt ist.

Aufgrund dieser Situation kann man nicht einfach die ökonomischen Überlegungen den gesundheitspolitischen unterordnen. Ein Zusammenbruch der Nahrungsmittel-Lieferketten oder gar des Geldsystems würde die Auswirkungen der Epidemie um ein Vielfaches verschlimmern. Diese Fragilität ist der Preis, den die Menschheit für die Komplexität ihres globalen Wirtschaftssystems zahlt.

Sollte man deshalb, wie jetzt vielfach gefordert wird, die Globalisierung grundsätzlich in Frage stellen und künftig wieder „möglichst viel lokal produzieren“? Das würde vermutlich zu einem gesellschaftlich kaum akzeptablen Rückgang des Warenangebots bei steigenden Preisen führen. Eine Relokalisierung bestimmter Sektoren dürfte aber industriepolitisch sinnvoll sein. Wichtiger als eine „Deglobalisierung“ wäre aber eine neue wirtschaftliche Logik, die Raum lässt für Solidarität und Gerechtigkeit. Und Ansätze zur Überwindung der nationalstaatlichen Denkschemen auf einem Planeten, auf dem die Menschen sowieso immer enger zusammenrücken müssen.

Die globale Bedrohung durch den Coronavirus hat einiges mit jener durch den Klimawandel gemeinsam – die nicht so viel weniger dringlich ist. Beide erzeugen Kosten für die Menschheit, die möglichst gerecht verteilt werden müssen. Beide erfordern auch mutige wirtschaftspolitische Entscheidungen und eine weltweite Koordination der Gegenmaßnahmen – da gibt es derzeit noch viel Luft nach oben.


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