Einen Impfstoff gegen die vom Coronavirus ausgelöste Krankheit bereits im Dezember hat Xavier Bettel jüngst in Aussicht gestellt. Die EU-Kommission präsentierte indessen eine Impfstrategie. Noch wird allerdings fieberhaft an dem Mittel geforscht, und es wird dauern, bis genügend Dosen verfügbar sind. NGOs befürchten, dass die ärmeren Staaten erst einmal leer ausgehen.
Mit der Zahl der Corona-Neuinfektionen steigt auch der Druck auf die Politik, eine Perspektive für einen Ausweg aus der wirtschaftlich und gesellschaftlich äußerst belastenden Pandemie zu geben. In seiner Rede zur Lage der Nation am Dienstag vergangener Woche erlag offenbar auch Xavier Bettel der Versuchung, einen Hoffnungsschimmer aufzuzeigen: Erste Kontingente eines Impfstoffes gegen eine Erkrankung durch das Virus „könnten im Dezember verfügbar sein“, so der Premierminister. Gesundheitsministerin Paulette Lenert nannte tags darauf bei einer Pressekonferenz denselben Monat, fügte jedoch hinzu, dass dies nicht sicher sei.
Während Bettel auf Nachfrage meinte, man habe ihm das Datum in Brüssel genannt, stellte man die Sache dort öffentlich etwas anders dar. „Ich habe von Anfang an nicht darüber spekuliert und werde auch jetzt nicht damit anfangen“, wies die zuständige EU-Kommissarin Stella Kyriakides, von Journalisten auf die Ankunft eines Impfstoffs in der EU angesprochen, eine Bestätigung von Bettels Aussage zwei Tage später zunächst zurück. „Jede Voraussage wäre zu diesem Zeitpunkt riskant“, so Kyriakides. Doch dann konnte auch sie es nicht lassen: sie halte es für möglich, dass „bis Anfang des kommenden Jahres“ ein Impfstoff vorliege.
Warum Politiker so angespannt mit dem Thema umgehen, liegt auf der Hand. „Ohne den Impfstoff ist ein Ende der Krise nicht ersichtlich“, fasst Paulette Lenert die Situation gegenüber der woxx zusammen. Denn solange dieser nicht existiert, bleiben wesentlich nur Hygieneregeln zur Krankheitsvorbeugung, sowie die vielfache Einschränkung des öffentlichen Lebens.
Was laut EU-Kommission normalerweise rund zehn Jahre dauert, will man daher nun in ein bis eineinhalb Jahren schaffen: Weltweit werden nach Informationen der Weltgesundheitsorganisation WHO derzeit 190 mögliche Impfstoffe entwickelt, 42 davon befinden sich in der dreistufigen klinischen Testphase, werden also schon am Menschen erprobt. Einige der Präparate sind bereits in der dritten und entscheidenden Phase. Diese ist zugleich die gründlichste und umfangreichste, weil sie Tausende von Testpersonen unterschiedlichen Alters umfasst.
Impfstrategie vorgestellt
Doch auch wenn der Impfstoff einmal gefunden ist, sind längst nicht alle Probleme gelöst. Denn dann kommen die Schwierigkeiten der Verteilung und Verabreichung des Stoffs hinzu. Um hierauf vorbereitet zu sein, präsentierte die EU-Kommission am Donnerstag vergangener Woche ihre sogenannte „Impfstrategie“.
„Wir werden wohl ein Portfolio von mindestens sechs vielversprechenden Impfstoffkandidaten haben“, stellte der stellvertretende EU-Präsident Magaritis Schinas in Brüssel bei der Vorstellung des Plans in Aussicht. So hat man bereits Vorverträge mit den Pharmabetrieben AstraZeneca, Sanofi sowie Johnson & Johnson abgeschlossen, die zusammen 800 Millionen Impfdosen für die EU bereitstellen sollen. Mit drei weiteren Herstellern befindet man sich in Verhandlungen. Insgesamt 1,3 Milliarden Dosen werden den Mitgliedsstaaten dank solcher „Advanced Purchase Agreements“ unmittelbar nach deren Produktion zur Verfügung stehen. Auf weitere 500 Millionen Impfdosen besteht eine Kaufoption.
Bezahlt werden die Impfstoffe von den jeweiligen Bezugsländern selbst. Die EU subventioniert jedoch bereits jetzt die Entwicklungskosten der genannten Unternehmen und sichert ihren Mitgliedsstaaten so ein garantiertes Vorkaufsrecht. Die EU-Zuschüsse werden später als Anzahlung abgerechnet. Auch Luxemburg wird sein Kontingent an Impfstoffen auf diese Weise beziehen; gemeinsam mit Belgien, wie Gesundheitsministerin Lenert präzisiert, denn die Mindestbestellmenge liegt bei einer Million Dosen.
Die EU-Kommission fordert die Mitgliedsstaaten auf, sich schon jetzt Gedanken zu machen, wer prioritär geimpft werden soll. Sie schlägt dazu unter anderem Angestellte im Gesundheitsbereich, Personen, die älter als 60 sind, sowie Angehörige sogenannter Risikogruppen vor – die Einwilligung der Betroffenen immer vorausgesetzt. In Luxemburg will man sich laut Paulette Lenert an den Empfehlungen der EU orientieren.
Der Vorsitzende des Weltärztebunds, Frank Ulrich Montgomery, rät hingegen davon ab, bereits jetzt festzulegen, wer als erstes gegen das Virus zu impfen sei. Schließlich sei die konkrete Wirkung der künftigen Impfstoffe noch gar nicht bekannt. „Da die auf unterschiedlichen pharmakologischen Prinzipien beruhen, wird es welche geben, die zum Beispiel bei älteren Menschen nicht wirken oder nicht so sicher sind wie andere“, sagte Montgomery im Interview mit der Funke Mediengruppe.
Vor einer all zu raschen Zulassung möglicher Wirkstoffe hat mit Blick auf die Situation in den USA der amerikanische Epidemiologe Michael T. Osterholm in der Zeitschrift „Foreign Affairs“ gewarnt. Es dauere unter Umständen Monate, um die Wirksamkeit eines Medikaments auf verschiedene Altersgruppen und mögliche Nebenwirkungen im Falle von Vorerkrankungen zu untersuchen. Zudem müsse man damit rechnen, dass ein Mittel gegen Corona ähnlich wirksam wie Grippe-Impfstoffe sei, und deren Effizienz liege in einem guten Jahr bei etwa fünfzig Prozent.
Man behalte all diese Aspekte im Auge, versichert Paulette Lenert: „Wir sind eng an den internationalen Bemühungen beteiligt, den Zugang zu einer ausreichenden Anzahl sicherer und wirksamer Impfstoffe sicherzustellen“, so die Gesundheitsministerin. „Wir sind im zuständigen Steuerungskomitee der EU-Kommission vertreten, was uns erlaubt die Fortschritte der Verhandlungen mit den jeweiligen Produzenten zeitnah zu verfolgen und an wichtige Informationen zu gelangen.“ Zwar könne man den Freigabeprozess der einzelnen Impfstoffe nicht direkt beeinflussen, in Zusammenarbeit mit den anderen Mitgliedsstaaten sei Mitsprache jedoch möglich.
Derzeit umfasst die EU rund 448 Millionen Bürger*innen, es wird also eine Weile dauern, bis genügend Impfstoff allein für deren Bedarf produziert worden ist. Eine Idee davon gibt der Hersteller Biontech. Dort hofft man, im Falle eines erfolgreichen Impfstoffes bis Ende 2021 rund 1,4 Milliarden Dosen herstellen zu können. Den einzelnen Mitgliedstaaten wird der Impfstoff jeweils proportional zu ihrem Anteil an der EU-Gesamtbevölkerung zur Verfügung gestellt. Für Luxemburg sind das laut der Gesundheitsministerin 0,14 Prozent der von der EU bestellten Menge. Nach Meinung verschiedener Experten wird es trotz allem Jahre dauern, ehe alle EU-Bürger*innen, die dies wollen, geimpft worden sind.
Kritik an der Pharmaindustrie
Auch deshalb befürchten Kritiker*innen, dass die armen Länder insbesondere am Anfang leer ausgehen. So warnte die Hilfsorganisation Oxfam Mitte vergangenen Monats, dass die reichen Nationen, die insgesamt nur 13 Prozent der Weltbevölkerung repräsentieren, sich gemeinsam mehr als die Hälfte des in absehbarer Zeit produzierten Gesamtvolumens möglicher Impfstoffe gesichert hätten. Sollten sich manche der in Entwicklung befindlichen Stoffe als wirkungslos erweisen, werde die Situation umso problematischer. Dies gelte auch, falls eine Verabreichung von zwei Dosen pro Person erforderlich wird. Die Situation offenbare, „wie pharmazeutische Monopole auf Kosten der Gesundheit der Menschen und der globalen Wirtschaft geschützt werden“, so Anna Marriott, die gesundheitspolitische Expertin bei Oxfam. Dort fordert man daher eine patentfreie Weitergabe der Rezepturen, um erfolgreiche Impfstoffe kostengünstig reproduzieren zu können.
Die EU-Kommission beteuert hingegen, man arbeite an einer „globalen Antwort“ auf die Coronakrise. Bereits in ihrer Rede zur Lage der Union Mitte September versicherte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, man habe mit einem vielfach kritisierten „Impfstoffnationalismus“ nichts am Hut. Die aktuelle Beschaffungspolitik sei nicht nur für die EU-Staaten, sondern innerhalb einer globalen Strategie auch für „Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen“ gedacht. Es gehe darum, den Zugang zu sicheren und effektiven Impfstoffen vorrangig für alle jene auf der Welt zu sichern, die diese am dringendsten benötigen. Daher sei die EU zusätzlich auch der COVAX-Allianz für einen globalen Impfstoffzugang beigetreten und habe diese mit 400 Millionen Euro kofinanziert.
Der von der WHO ins Leben gerufenen Allianz gehören mittlerweile 184 Länder an; Luxemburg ist als Teil des von der EU gegründeten „Team Europe“ ebenfalls mit dabei. Getragen wird das Programm von dem Zusammenschluss Gavi, dem neben der WHO und den Nationalstaaten beispielsweise auch die Weltbank sowie die Bill & Melinda Gates Stiftung angehören. Auch Impfstoffhersteller zählen dazu.
Deren faktische Monopolstellung wird indes nicht nur von Oxfam kritisiert. In einem Beitrag für die Zeitschrift „Blätter für deutsche und internationale Politik“ monierte Marco Alves, Koordinator der Medikamenten-Kampagne bei „Ärzte ohne Grenzen“ in Berlin, unter anderem die intransparente Preisbildung der Impfpräparate. Diese sei „sehr wahrscheinlich völlig unabhängig von den tatsächlichen Forschungs- und Entwicklungskosten“. Von den wohlhabenden Staaten werde dies hingenommen, was umso unerklärlicher sei, da sie die Forschungen für einen Corona-Impfstoff mit Milliarden aus öffentlicher Hand subventionieren. Für ärmere Staaten werde es angesichts der zu erwartenden Preise umso kostspieliger, den Einkauf auf dem ohnehin schon leergefegten Markt für Impfstoffe zu finanzieren.
Mangelnde Transparenz bei den Deals zwischen EU-Kommission und Pharmaunternehmen kritisierten vorige Woche fraktionsübergreifend auch mehrere Abgeordnete des EU-Parlaments. Die Kommission habe dem Parlament als der für das Budget verantwortlichen Instanz bislang jede Information über den Beschaffungsprozess sowie über die konkreten Vereinbarungen der Vorverträge mit den Pharmaherstellern verweigert, monierten sie in einem offenen Brief. „In Anbetracht der Tatsache, dass die Impfstoffe auch Dank der öffentlichen finanziellen Unterstützung durch Steuermittel […] entwickelt werden, ist es umso wichtiger, dass das öffentliche Interesse an der wissenschaftlichen Sicherheit, Transparenz und Sorgfalt berücksichtigt wird“, heißt es in dem Brief. Die Abgeordneten fordern die Kommission daher auf, alle bisher abgeschlossenen Vorverträge offenzulegen.
Von einem Journalisten bei der Vorstellung der EU-Impfstrategie darauf angesprochen, weshalb der Brief bislang unbeantwortet geblieben sei, gab Kommissionsvizepräsident Schinas zunächst vor, gar nicht zu wissen, wovon die Rede ist. Kommissarin Kyriakides verwies ihrerseits auf die Geheimhaltungsklauseln in den Verträgen. Es sei bislang jedoch noch jeder Brief des Parlaments beantwortet worden, versicherten die beiden. Zum Inhalt der versprochenen Antwort äußerten sie sich allerdings nicht.