Déi Lénk vor den Wahlen: Radikal kritisch


Mit sozialen Themen und Kritik an der Glaubwürdigkeit der etablierten Parteien hoffen Déi Lénk auf Wahlerfolge. Stärken und Schwächen der Partei fünf Monate vor den Wahlen. UPDATE: Programm vorgestellt!

Wohnungsnot als Ausdruck der sozialen Missverhältnisse. Screenshots aus dem Déi-Lénk-Video.

„Die Wohnungspolitik ist ein Desaster. (…) Vertreibung einkommensschwacher Menschen aus ihren Wohnvierteln über die Grenze, wachsende Armut, übermäßige Überschuldung.“ So prangert ein Youtube-Video von Déi Lénk den Missstand in diesem Bereich an. Mit der Wohnungsnot hat die Partei ein Thema gewählt, bei dem sie Radikalität und Volksnähe zugleich demonstrieren kann. Und auch ihre Fähigkeit, Alternativen aufzuzeigen: Im Februar legten die beiden Abgeordneten der Partei eine Proposition de loi vor, die einen Weg zeigt, wie man „die Mieten wieder bezahlbar machen“ könnte. Es sollen Höchstmieten festgelegt und auch durchgesetzt werden. Außerdem sollen 7.500 neue Wohnungen im Jahr gebaut werden.

Programm gegen System

In den Wahlkampf ziehen Déi Lénk mit weiteren sozialen Forderungen: Der Mindestlohn soll um zehn Prozent erhöht werden, und die Rentenleistungen sollen erhalten bleiben oder verbessert werden. Beides Forderungen, die eins zu eins mit der Position des OGBL übereinstimmen – wohingegen die traditionell der Gewerkschaft nahestehende LSAP sich hier zögerlich zeigt.

Am Wahlprogramm wird seit Monaten gearbeitet. Zu den vorgezogenen Neuwahlen 2013 hatten Déi Lénk nur eine Kurzfassung vorgelegt; diesmal ist aber wieder mit einem richtigen 100-seitigen linken Forderungskatalog zu rechnen. In der Kongressresolution vom März waren erste Schwerpunkte deutlich geworden. Neben Forderungen nach sozialen Verbesserungen wird durchaus Systemkritik geübt. So wird festgestellt, „dass das derzeitige Modell langfristig nicht haltbar ist, weder in wirtschaftlicher noch in ökologischer und sozialer Hinsicht“. Nach der Veröffentlichung des Programmentwurfs ist eine Diskussion in der Partei und der breiten Öffentlichkeit vorgesehen, bevor die Endfassung zusammen mit den Kandidat*innenlisten am 21. Juni verabschiedet wird.

Weniger Wachstum, mehr Sitze

Beim Neujahrsempfang machte Parteisprecher Gary Diderich die Position der Partei klar: Die bestehenden Verhältnisse und den Kapitalismus kritisieren – „Dekonstruktion zwecks Transformation“. Im RTL-Radiointerview am 12. Mai ließ es sich der Abgeordnete David Wagner nicht nehmen, gegen die anderen Parteien zu polemisieren: Von der DP sei kein sozialer Fortschritt zu erwarten, den Grünen seien solche Themen offensichtlich egal, und die LSAP halte sich auch zurück. Dies unter anderem wegen ihres Spitzenkandidaten Étienne Schneider, der Emmanuel Macron zum Vorbild nehme – den Wagner als „Präsident der Reichen“ bezeichnete.

Zur Wachstumsfrage äußerte sich der Abgeordnete dahingehend, dass die Grünen recht hätten, Schneiders Industriepolitik in Frage zu stellen. Allerdings ist für ihn das oberste Kriterium bei der Ansiedlung einer Firma nicht die Umweltverträglichkeit, sondern die Qualität der sozialen Bedingungen. Wagner übte harsche Kritik an Jeremy Rifkin, der Individualismus, Konkurrenzdenken und Ich-AGs glorifiziere, statt Solidarität und Zusammenarbeit zu befürworten. Er plädierte dafür, neue Technologien zu nutzen, um eine Arbeitszeitverkürzung zu ermöglichen.

Was können Déi Lénk von den Wahlen im Oktober erwarten? Zur Erinnerung: Vor fünf Jahren hatte ein Stimmenzuwachs um etwa 50 Prozent ihnen einen zweiten Abgeordnetensitz beschert. Allerdings waren die Gemeindewahlen von 2017 enttäuschend verlaufen: Gewinne in Suessem, aber Verluste in Esch. Vor allem: Die Partei schaffte es offenbar nicht, für die von der LSAP enttäuschten Wähler*innen eine Alternative darzustellen. Ähnlich wie in Frankreich und Deutschland stagniert die radikale Linke in Luxemburg, und das auf viel niedrigerem Niveau. Dabei deckt sie, auch aufgrund der Regierungsbeteiligung von LSAP und Grünen, ein besonders weites linkes politisches Spektrum ab.

Gewiss, Déi Lénk können damit rechnen, einen zweiten Sitz im Süden hinzuzugewinnen. Doch das von David Wagner angekündigte Ziel, Fraktionsstärke zu erreichen, erscheint unrealistisch. Im Norden und im Osten ist die Partei weit davon entfernt, die De-Facto-9-Prozent-Hürde zu erreichen und im Zentrum müsste sie ihre Stimmenzahl in etwa verdoppeln. Angesichts der stagnierenden Ergebnisse bei den Gemeindewahlen ist auch letzteres höchst unwahrscheinlich.

Grüner als Déi Gréng?

Die Frage der Regierungsbeteiligung wird trotzdem regelmäßig aufgegriffen; bereits vor den Wahlen 2013 hatte Serge Urbany über eine Linksfront mit LSAP und Déi Gréng spekuliert. Doch seit die Partei 2005 in Esch abgewählt wurde, ist sie nicht einmal mehr in einem Schöffenrat vertreten. Rot-Rot-Grün ist derzeit, anders als in Deutschland, nicht einmal eine theoretische Möglichkeit.

Ihre Radikalität demonstrieren Déi Lénk in drei Domänen: Sozialpolitik, Gesellschaftspolitik und Ökologie. Das Hauptgewicht liegt allerdings klar auf der ersteren; immer wieder greifen linke Politiker*innen auf die Gegenüberstellung von Arm und Reich zurück. Unklar bleibt, welche Rolle eine subtilere Analyse des Kapitalismus – wie sie Karl Marx geleistet hat – spielt. Und ob die Umweltprobleme als eigenständige Herausforderung oder nur als Nebenwiderspruch des kapitalistischen Systems betrachtet werden.

Freund und Feind

Die radikalökologischen Forderungen von Déi Lénk sind allerdings von anderen Parteien kaum zu übertreffen – was die neugegründete, winzige „Fräi Ökologesch Demokratesch Partei“ auch gar nicht erst versucht. Anders ist das bei der Systemfrage. Sozialdemokratisch anmutende Formulierungen wie die, dass es „dringend nötig [sei], verbindliche Regeln einzuführen, um den Kräften des Kapitals zugunsten des Allgemeinwohls Grenzen aufzuzeigen“, lassen nach links hin Raum für auf Klassenkampf und Revolution eingeschworene Parteien. Auch in Zukunft wird sich die KPL hier profilieren können.

Interessant ist, dass Déi Lénk immer wieder die Rolle der Zivilgesellschaft betonen. Die nämlich vergilt ihnen das schlecht. Dem OGBL ist es weiterhin am wichtigsten, mit Diplomatie und Editpress-Zeitungsartikeln Einfluss auf die LSAP zu nehmen – die ja vielleicht wieder in der nächsten Regierung sitzen wird. Und der Mouvement écologique, dessen Forderungen in den vergangenen Jahren radikaler geworden sind (siehe Online-Artikel), scheint es sich trotz TTIP und Wachstumswahn nicht ganz mit Grünen und LSAP verderben zu wollen. Allerdings ist die Position von Déi Lénk in der Wachstumsfrage nicht völlig klar. Zwar sprechen sie sich gegen die Joghurtfabrik aus, können sich aber nicht ganz vom Ideal einer Exportindustrie mit guten Arbeitsbedingungen wie der Stahlindustrie lösen.

Der in der Umwelt- und Transitionsbewegung beliebte Begriff der Suffizienz dürfte Déi Lénk suspekt sein: Ein Trick der Arbeitgeber*innen, der die Arbeitnehmer*innen dazu bewegen soll, sich mit niedrigeren Löhnen zufriedenzugeben. Diese defensive Haltung steht denn auch dem Anspruch entgegen, über die bestehenden Verhältnisse hinauszudenken. So wird zwar die positive Rolle der kleinen und mittleren Unternehmen anerkannt, der Trend zur Ich-AG – der ja auch Ausdruck der Metamorphose der Produktivkräfte ist – wird dagegen verteufelt. Die „Dekonstruktion“ führt nicht automatisch zu transformatorischem Denken und Handeln.

Video Wunnengspolitik déi Lénk


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