Dezember 2023: Willis Tipps

Betörende Ruhe

Dass es auch heute noch richtig stille Musik gibt – und zwar in einer ganz starken Form – beweisen die drei Frauen von Las Lloronas (die Klageweiber) auf ihrem zweiten Album Out of the Blue. Sura Solomon (USA/Belgien), Amber inʼt Veld (Spanien/Niederlande) und Marieke Werner (Deutschland) haben sich in Brüssel getroffen und gründeten ein Trio, in dem der (oft dreistimmige) Gesang dominiert und von Klarinette, Gitarre, Ukulele, Akkordeon und Piano gestützt wird. Das ist immer behutsam, langsam und ganz fein austariert. Selbst wenn sie das Tempo etwas anziehen, wird es nie laut, sondern bleibt ganz zart und beinahe zerbrechlich. Mal klingt es spanisch, mal nach Chanson, mal nach Klezmer, aber nie nach Plagiat, sondern so, als hätten es die drei gerade erfunden. Die teils auch schrägen Texte singen sie auf Spanisch, Englisch, Französisch und Deutsch. Der Stil erinnert an Eric Satie, der vor rund 120 Jahren dem ohrenbetäubenden Bombast eines Richard Wagners minimalistische Pianotupfer entgegenstellte. Ein ganz feines, leises Album eines ausgezeichneten Trios, das kürzlich sogar im dichtgedrängten Club beim Publikum eine beinahe andächtige Stille hervorrief. Warum? Das verdeutlicht diese Platte.

Las Lloronas – Out of the blue – Muziekpublique

 

Explosive Latin-Klänge

Dieses Album, schlicht Caribe betitelt, deckt ganz verschiedene Stile Lateinamerikas ab. Es finden sich unter anderem Rumba, Cumbia und Tango. Es ist das zweite Album der jungen Ana Carla Maza, die als Tochter musikalischer Eltern in Habana, Kuba geboren wurde und später dann nach Spanien und Frankreich ging. Mit acht Jahren lernte sie das Cello-Spiel und begleitete ihren Vater schon früh bei Aufnahmen. In ganz jungen Jahren spielte sie schon das Solo-Cello in symphonischen Werken von Tschaikowski. Dass hier eine Künstlerin am Werk ist, die eine gründliche Ausbildung genossen hat, ist auch unüberhörbar, wenn sie Latin-Musik spielt. Wenn man sie auf der Bühne erlebt hat, zum Beispiel vor einem Jahr in der Philharmonie Luxembourg, weiß man, warum die Platte so aufregend klingt. Hier ist nämlich eine junge Frau zu erleben, die mit überschwänglicher Lust singt und ihr Cello ekstatisch, oft perkussiv, aber immer hoch präzise bearbeitet. Am besten kann man das bewundern, wenn man dem Tangostück lauscht, das der Akkordeonlegende Astor Piazzolla gewidmet ist. Eine klasse Platte einer Frau mit explosiver Ausdrucksfähigkeit.

Ana Carla Maza – Caribe – Persona Editorial

 

Innerasiatische Schätze

Tadschikistan ist ein recht kleines Land mit knapp 10 Millionen Einwohnern in Innerasien zwischen Kirgistan, Usbekistan, Afghanistan und der Volksrepublik China. Musik aus Innerasien ist in Europa sehr schwer zu bekommen, und erst recht aus Tadschikis- tan. Jetzt aber gibt es endlich wieder etwas, zwar bereits 2008 aufgenommen, aber in sehr interessanter Qualität. Im Westen des Landes ist auch der Shash Maquam verbreitet, die klassische Musikform, die vor allem an den Höfen der Herrscher von Samarkand gepflegt wurde. Auf dem Album Lost in Tadjikistan sind dagegen volkstümliche Formen dokumentiert, die für Europäer*innen aufregend fremdartig, aber durchaus eingängig klingen. Die Kompilation vereint fünfzehn Stücke von sieben verschiedenen Ensembles, die traditionelle Instrumente verwenden, darunter die Langhalslaute Dotar, die Kniegeige Ghijak und lokale Rahmentrommeln. Überwiegend sind es Gesangsstücke, aber es gibt auch Instrumentals, die einen ganz speziellen asiatischen Stil präsentieren, der weder nach dem nahen China noch nach Indien klingt. Hier findet man eine außergewöhnliche Facette globaler Musik.

V.A. – Lost in Tadjikistan – Riverboat Records

Luras Rückkehr

Sie hat sich ganz lange rar gemacht, aber nun ist sie wieder da; auf Tournee und mit einer neuen CD im Gepäck. Maria de Lurdes Pina Assunção, die ihren Namen zu Lura verkürzt hat, wurde als Kind kapverdischer Eltern in Lissabon geboren und hat sich musikalisch schon früh dem Herkunftsland ihrer Eltern verbunden gefühlt. Es ist nicht bekannt, warum sich Lura – von einer EP mit vier Stücken, die 2018 herauskam, abgesehen – immerhin acht Jahre Zeit ließ, um ihre siebte Platte zu veröffentlichen. Das neue Album trägt den Titel Multicolor und das ist Programm, denn sie definiert sich als Frau und Musikerin, die eine Vielzahl von Einflüssen aufsaugt und verarbeitet; nicht zuletzt deshalb, weil die Kapverdianer*innen selbst unterschiedliche Wurzeln haben, sondern auch, weil sich in Lissabon zahlreiche Kulturen treffen. Sieben der zehn Lieder hat sie selbst geschrieben, oder war mit daran beteiligt. Dabei geht es um die Rolle der Frau, um Menschenrechte (zum Beispiel im Duett mit Angélique Kidjo) und ihre Unterstützung der Black Lives Matter Bewegung, die sie im Stück Preta ausdrückt. Das Album ist modern produziert und in vielen, der meist flotten Stücken ist die Musikkultur der Kapverden deutlich zu erkennen. Wie schön, dass Lura zurück ist!

Lura – Multicolor – Produtores Associados

Transglobal World Music Chart Dezember – Dezember – Top 10

1. Koum Tara · Baraaim El-Louz · Odradek
2. Luzmila Carpio · Inti Watana / El Retorno del Sol · ZZK
3. Bixiga 70 · Vapor · Glitterbeat
4. Batsükh Dorj · Ögbelerim: Music for My Ancestors · Buda Musique
5. Catrin Finch & Aoife Ní Bhriain · Double You · Bendigedig
6. Aga Khan Master Musicians · Nowruz · Smithsonian Folkway Recordings
7. Ana Carla Maza · Caribe · Persona Editorial
8. Idrissa Soumaoro · Diré · Mieruba
9. Les Mamas du Congo & Rrobin · Ya Mizolé · Jarring Effects
10. Mo’ Horizons · Mango · Agogo
11. Bombino · Sahel · Partisan
12. Mari Kalkun · Stoonia Lood / Stories of Stonia · Real World
13. Ayfer Düzdaş · Kilomên Arxawûnê · Ayfer Düzdaş
14. Leon Keïta · Leon Keïta · Analog Africa
15. Santrofi feat. Omniversal Earkestra · Deep into Highlife: Live in Berlin · Outhere
16. Yungchen Lhamo · One Drop of Kindness · Real World
17. Genticorum · Au Coeur de l’Aube · Genticorum
18. V.A. · Lost in Tajikistan · Riverboat / World Music Network
19. Emilia Lajunen · Vainaan Perua: Satavuotinen Sakka · Nordic Notes / CPL-Musicgroup
20. Mohammad Motamedi & Rembrandt Trio · Intizar · Just Listen

Die TWMC TOP 20/40 bei: www.transglobalwmc.com, Facebook „Mondophon auf Radio ARA“ und woxx.lu

 


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