Die Entscheidung, wie lange Glyphosat noch in der EU verwendet werden darf, wurde vertagt. Drei oder zehn Jahre, Verbot oder Ausstieg – eine Einigung ist nicht in Sicht.
Die Prozesse gleichen einander, die Resultate nicht. 2016 hatte eine Welle von Protesten gegen die Freihandelsabkommen dazu geführt, dass die breite politische Zustimmung für sie aufgebrochen wurde. Das CETA-Abkommen allerdings wurde am Ende doch noch von allen Mitgliedstaaten angenommen, obwohl ein wallonisches Veto die Spannung bis zum Schluss aufrechterhalten hatte. Ähnlich erfolgreich war in diesem Jahr die Mobilisierung gegen das – mutmaßlich krebserregende – Mittel Glyphosat. Doch diesmal fällt es schwer, sich vorzustellen, dass die Anhänger des Herbizids sich durchsetzen und eine Verlängerung der Genehmigung um zehn Jahre oder mehr erreichen.
Im Vorfeld der Sitzung des Expertenausschusses vom vergangenen Mittwoch hatten sich europaweit Umwelt-NGOs zu Wort gemeldet. In Luxemburg richteten Greenpeace und Mouvement écologique Appelle an die Regierung, im Ausschuss gegen jegliche Verlängerung der Glyphosat-Genehmigung zu stimmen. Und der grüne Europaabgeordnete Claude Turmes organisierte am vergangenen Montag eine Filmvorführung und eine Pressekonferenz, auf der er einen sofortigen Glyphosat-Ausstieg verlangte. Adressat seiner Forderung war allerdings nicht die Regierung, sondern der Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Eine Zurückhaltung, die jener von vor einem Jahr ähnelt, als Déi Gréng das Regierungs-Ja zu CETA als Kompromiss verkauft hatte.
Zuvor hatte die Europäische Bürgerinitiative „Stop Glyphosate“ von Februar bis Juli 2016 1,3 Millionen Unterschriften gesammelt. Außerdem wurde im Sommer ruchbar, dass der Konzern, der mit Glyphosat am meisten Geld verdient, möglicherweise wissenschaftliche Studien manipuliert hat – Stichwort Monsanto-Leaks. Am 24. Oktober, einen Tag vor der Ausschusssitzung, lehnte das Europaparlament eine erneute Zulassung ab und stimmte für ein Phase-Out des Herbizids. Viviane Reding, Europaabgeordnete der CSV, ließ wissen, sie werde, wie schon 2016, gegen die Zulassung stimmen. Allerdings sollen es ihre KollegInnen von der Europäischen Volkspartei gewesen sein, die durchsetzten, dass das mehrheitsfähige Phase-Out sich über fünf statt, wie noch montags von Turmes angekündigt, drei Jahre erstreckt.
Glyphosat-Poker
Zur Erläuterung: Bei einem Phase-Out würde kurzfristig der Einsatz von Glyphosat eingeschränkt und nach fünf Jahren automatisch verboten werden. Am Ende einer Verlängerung bis 2022 stünde dagegen eine erneute Diskussion um eine mögliche weitere Verlängerung oder ein Phase-Out ab 2023 – ein wesentlicher Unterschied! Allerdings hat das Votum des Europaparlaments nur symbolischen Wert – die Entscheidung liegt beim Ausschuss. Oder, falls bis zum Auslaufen der Genehmigung im Dezember keine Einigung erzielt wurde, beim Kommissionspräsidenten.
Vielleicht ist das der Grund, warum im Ausschuss die Verlängerung um zehn Jahre am Widerstand der Glyphosat-GegnerInnen scheiterte, die Verlängerung um sieben, fünf oder drei Jahre dagegen von den BefürworterInnen verhindert wurde. Denn einfach die Genehmigung auslaufen zu lassen, dürfte für Juncker keine Option sein: Ein großer Teil der LandwirtInnen versichert, unmöglich von heute auf morgen auf das Herbizid verzichten zu können.
Der Poker um das Mittel ist allerdings nicht nur für Landwirtschaft und Gesundheit bedeutungsvoll, sondern auch für den Zusammenhalt der EU im Allgemeinen. Die meisten Glyphosat-kritischen Länder, angeführt von Frankreich, liegen im Süden und Westen des Kontinents; auch Luxemburg gehört seit Mittwoch zu dieser Gruppe. Deutschland enthält sich angesichts der noch nicht abgeschlossenen Verhandlungen für eine Jamaikakoalition. Auf der anderen Seite stehen die Glyphosat-Maximalisten: fast das gesamte Osteuropa, mit an erster Stelle Polen – und natürlich dem Vereinigten Königreich. Ein ähnlicher Ost-West-Riss findet sich auch bei anderen Themen und könnte zu einem Bruch führen.
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