Filmindustrie: „Perfekt läuft es in Sachen Geschlechtergerechtigkeit nicht“

Ende Mai schrieben der Film Fund Luxembourg und Screen Ireland einen Fonds für weibliche und nicht-binäre Filmemacher*innen aus. Guy Daleiden, Direktor des Film Fund Luxembourg, verrät im Interview, ob mehr hinter dieser Einzelaktion steckt.

Irland trifft auf Luxemburg: Eimear Markey (l.) von Screen Ireland und Guy Daleiden (r.) vom Film Fund Luxembourg. (Copyright: Film Fund Luxembourg)

woxx: Guy Daleiden, warum tut sich der Film Fund Luxembourg ausgerechnet mit Screen Ireland, der Entwicklungsagentur für die irische Filmindustrie, zusammen, um einen Fonds für weibliche und nicht-binäre Personen auszuschreiben?


Guy Daleiden: Das ist eine berechtigte Frage. Wir arbeiten mit vielen Ländern zusammen, zum Beispiel mit Kanada, Portugal, Österreich, den Niederlanden – und Irland. Es lag mir aufgrund zahlreicher Koproduktionen nahe, mich für diese Initiative mit Irland zusammenzuschließen. Ich besuche seit 25 Jahren Filmfestivals in Irland und das sind die einzigen, bei denen viele Autor*innen ihre Projekte vortragen. Im Regelfall sind auf Festivals nämlich eher Produzent*innen vertreten.

Von wem ging die Initiative für den Fonds aus?


Im Jahr 2018 kam die Idee für den Fonds auf, damals spezifisch für Filmemacherinnen, und 2019 veröffentlichten wir gemeinsam die erste Projektausschreibung. Corona hat uns einen Strich durch die Rechnung gemacht, aber beim ersten Anlauf ging die Initiative klar vom Film Fund Luxembourg aus. Ich bin auf meinen irischen Kollegen zugegangen und er war sofort einverstanden. Dieses Jahr schreiben wir den Fonds wieder aus. Die Idee, nicht-binäre Personen einzuschließen, kam von Irland.

Was ging dem Aufruf voraus?


Der Film Fund Luxembourg hat sich schon vor Jahren Gedanken darüber gemacht, wie wir die Repräsentation von Frauen in der nationalen Filmbranche erhöhen können. Seit über zehn Jahren rufen wir Filmschaffende dazu auf, bei ihren Projekten auf die Partizipation von Frauen – in jedem Bereich der Produktion – zu achten und bei internationalen Kooperationen Konzepte von Frauen zu bevorzugen. In Luxemburg gibt es im Vergleich zu anderen Ländern wenig Regisseurinnen und Autorinnen, sodass dies hierzulande schwer umzusetzen ist.

Was tut der Film Fund Luxembourg 
dauerhaft, um dem entgegenzu-
wirken?


Zurzeit bemühen wir uns um einen Austausch in diesen Belangen, beispielsweise mit dem französischen Kollektiv 50/50 [An.d.R.: Das Kollektiv 50/50 ist ein feministisch geprägter französischer Verein für mehr Chancengleichheit, sexuelle und geschlechterspezifische Vielfalt in der Filmbranche und im audiovisuellen Bereich]. Der Film Fund Luxembourg hat außerdem kürzlich eine Studie in Höhe von 10.000 Euro auf Eigenkosten in Auftrag gegeben, die genaue Zahlen zur Präsenz von Frauen in der nationalen Filmbranche liefern soll. Sie wurde von Frauen aus der Szene durchgeführt und sollte in den nächsten Wochen öffentlich publiziert werden.

„Der Film Fund Luxembourg hat sich schon vor Jahren Gedanken darüber gemacht, wie wir die Repräsentation von Frauen in der nationalen Filmbranche erhöhen können.“

Wozu soll das dienen?


Momentan können wir nur schätzen, wie viele Frauen in den verschiedenen Bereichen der nationalen Filmindus-
trie tätig sind. Wir brauchen jedoch Daten, um zielorientierte Initiativen zur Förderung von Frauen auszuarbeiten. Wir wollen nach außen hin vermitteln, dass Frauen in der Film- und Kulturbranche allgemein absolut erwünscht sind und sich dort sicher fühlen können, auch hinter der Kamera. Das sind ja Bereiche, in denen oft nur Männer arbeiten – es ist wichtig, dass Frauen sich für diese Berufe interessieren und sie als Karriereoption wahrnehmen. In jedem Fall müssen wir aus dieser Studie Konsequenzen ziehen.

Copyright: Film Fund Luxembourg

Von wie vielen Frauen gehen Sie derzeit aus?


Ich schätze, dass es – alle Tätigkeitsbereiche zusammengenommen – um die 30 Prozent sind. Luxemburg ist klein, die Branche übersichtlich: Wenn von 20 Regisseur*innen sieben Frauen sind, macht das prozentual viel aus. Diese Prozentsätze sind also schwer zu bewerten … Lassen Sie es mich so sagen: Wir fangen nicht bei null an, das ist aber kein Grund, nicht zu handeln. Perfekt läuft es in Sachen Geschlechtergerechtigkeit bei uns nicht.

Schlägt sich dieser Wille nach Veränderung im Budget des Film Fund Luxembourg nieder?


Wir haben Gelder für die Förderung von Diversität vorgesehen.

Was für eine Summe?


Das hängt immer von den Initiativen ab, die wir umsetzen wollen. Wir haben momentan genug Mittel für das, was uns vorschwebt. Wir arbeiten beispielsweise seit zwei Jahren mit der luxemburgischen Organisation Finkapé [An.d.R.: Der Austausch kam im Zuge des Eklats um eine Casting-Ausschreibung für die zweite Staffel der Krimiserie „Capitani“ zustande, in der rassistische Stereotype vermittelt wurden] zusammen, damit in den Filmproduktionen nicht nur weiße Personen zu sehen sind, und alle Kulturen, die es hierzulande gibt, angemessen repräsentiert werden. Damit alle das im Hinterkopf behalten, braucht es Seminare, Sensibilisierungsprogramme und Konferenzen. Vieles davon haben wir leider noch nicht umsetzen können.

„Momentan können wir nur schätzen, wie viele Frauen in den verschiedenen Bereichen der nationalen Filmindustrie tätig sind. Wir brauchen jedoch Daten, um zielorientierte Initiativen zur Förderung von Frauen auszuarbeiten.“

Der Fonds richtet sich an nicht-binäre Personen, dabei existieren diese in Luxemburg vor dem Gesetz nicht. Wie wollen Sie hier vorgehen?


Wir basieren uns auf die Selbstbezeichnung. Wir werden keine Ermittlungsarbeit leisten oder Menschen zu ihrer Geschlechtsidentität ausfragen. Das wäre absurd. Dadurch, dass wir uns explizit an Frauen und nicht-binäre Personen richten, gehen wir davon aus, dass sich Personen mit anderen Geschlechtsidentitäten nicht angesprochen fühlen.

Mit diesem Fonds unterstützen Sie also queere Personen, doch gibt es hierfür allgemein Fördermittel vonseiten des Film Fund Luxembourg?


Im Alltagsgeschäft setzen wir eher auf die Förderung von Diversität im Allgemeinen. Wir müssen allen Menschen das Gefühl vermitteln, dass sie im Kultursektor willkommen sind, unabhängig von ihrer kulturellen oder sozialen Herkunft, ungeachtet ihrer sexuellen Orientierung und ihrer Geschlechtsidentität.

Eins der Kriterien zum Erhalt der Fördergelder ist, dass das Projekt sich gut verkauft und bei Festivals Anklang findet – aufgrund Ihrer Zielgruppe ist jedoch zu erwarten, dass Sie eher Konzepte für Nischenproduktionen erhalten werden … 


Wenn wir es auf Mainstream-Produktionen abgesehen hätten, dann bräuchten wir diesen Fonds nicht. Die luxemburgische Filmbranche war nie darauf versessen, auf Festivals große Preise abzusahnen.

Wozu dann dieses Kriterium?


Filme sollen nicht in der Schublade landen. Es geht immer darum, sich zu fragen: Für wen machen wir diesen Film? Wir wollen vermeiden, am Publikum vorbei zu arbeiten. Es geht nicht darum, Blockbuster zu kreieren. In Luxemburg werden viele Filme gedreht, die ein bestimmtes Genre bedienen oder für Screenings auf spezifischen Festivals gedacht sind. Wenn wir also Projekte von nicht-binären Personen unterstützen, ist klar, dass wir queere Filme, die auf entsprechenden Festivals gezeigt werden könnten, ausdrücklich begrüßen.

Der Förderfonds zwischen Irland und Luxemburg ist mit 120.000 Euro dotiert, der Film Fund Luxembourg und Screen Ireland teilen sich die Kosten. Neben der Förderung von Frauen und nicht-binären Personen, soll auch die Verbindung zwischen der luxemburgischen und der irischen Filmindustrie gestärkt werden: Ein Kriterium für den Erhalt der Gelder ist, dass sich Filmschaffende beider Länder an dem eingereichten Projekt beteiligen. Ein Komitee bestehend aus Vertreter*innen des Film Fund Luxembourg – voraussichtlich Sarah Bamberg und Guy Daleiden – , der Screen Ireland und externen Expert*innen entscheiden über den Erfolg der Anträge. Einsendeschluss ist der 2. Oktober 2023, Informationen zur Bewerbung gibt es unter anderem auf filmfund.lu.


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