„Schaffe, um zu zerstören“ ist das Motto von „Abriss“, einem neuen Indie-Spiel aus Deutschland. Die virtuelle Abrissbirne am Beton-Spielplatz zu bedienen, ist nicht so einfach, wie es klingt.

Aufbauen, um abzureißen: Beim Puzzlespiel Abriss dreht sich alles um kreative Zerstörung. (Screenshots: Randwerk)
Es gibt Spiele, die begeistern bereits beim ersten Anblick, noch bevor man das Spielprinzip so wirklich begriffen hat. „Abriss“ gehört dazu: Die abstrakte, brutalistisch angehauchte Spielwelt und der harte, elektronische Soundtrack machen sofort neugierig. Wie der Spieltitel vermuten lässt, geht es darum, Gebäude – oder zumindest gebaute Strukturen – abzureißen.
Im Kern ist „Abriss“ ein Puzzlespiel: Ein rot-leuchtendes Ziel muss zerstört werden. Dazu stehen verschiedenste Bauteile zur Verfügung, die gegen das Ziel fallen oder es anderweitig zerstören sollen. In den ersten Levels ist das Arsenal noch relativ begrenzt, es wächst jedoch schnell. So ist die Lösung dann auch schnell nicht mehr, einen hohen Turm zu bauen, der krachend in eine Wand fällt, sondern eine riesige Schleuder, die eine Bombe über eine große Distanz zum Ziel befördern kann. Neben der Aufgabe, die Abrissmaschine richtig zu bauen, kommt die Schwierigkeit hinzu, zur richtigen Zeit auf den Auslöser zu drücken – was nicht immer so einfach ist, wie es klingt.
Einstürzende Neubauten
Nicht nur visuell ändert sich die Landschaft, die Gebäude werden auch verzwickter und futuristischer: So gibt es bald Antigravitationsgeräte, die die Regeln der Schwerkraft ausknipsen. Es gilt, sie geschickt zu nutzen, um die Zerstörung wie gewollt voranzutreiben. Im späteren Spielverlauf kommen neben der Bombe noch weitere Gerätschaften zur Zerstörung hinzu: ein Raketenantrieb, eine Laserpistole, eine Kanone. Der destruktiven Kreativität sind also keine Grenzen gesetzt? Möchte man meinen, aber oft gibt es bei „Abriss“ eine optimale Lösung, die es zu erknobeln gilt. Manchmal kann eine Konstruktion nur deswegen nicht funktionieren, weil sie nicht präzise genug zusammengebaut wurde, was eher frustrierend ist. Wenn man es nach einigen Versuchen dann doch endlich schafft, die Zielblöcke zu treffen, ist das Erfolgserlebnis umso größer.
Das Spektakel, wenn die Betonblöcke auseinanderbrechen und in tausenden Pixelstücken herumfliegen, ist ohnehin visuell sehr beeindruckend. Die Entwickler haben sich nicht nur an den gewaltigen Betonklötzen des Brutalismus und des sozialistischen Konstruktivismus inspiriert, sondern auch an den surrealistischen Künstlern Zdzisław Beksinski und HR Giger. Wer das wirklich genießen will, sollte allerdings über eine möglichst aktuelle und leistungsfähige Grafikkarte verfügen. Es gibt zwar einen „Kartoffel“-Modus, mit dem „Abriss“ auch auf älteren Computern läuft, ganz so schön ist das dann nicht mehr. Der Soundtrack, der auch in einem Berliner Nachtclub laufen könnte, begleitet das Zerstörungserlebnis zusätzlich. Viel Soundeffekte gibt es nicht, das verstärkt jedoch den eher abstrakten Charakter der Spielewelt.

Ein Schlaghammer mit Raketenantrieb ist nur eine der Möglichkeiten, um Abriss zu betreiben.
Anti-Aufbausimulation
Während „Aufbausimulationen“ ein eigenes Spielgenre sind, sind Spiele, bei denen man möglichst viel zerstören muss, eher rar gesät. Es gibt zwar einige, bei denen man mit real existierenden Abrissmaschinen digitale Gebäude einreißen muss – und auch ein Raumschiff-Verschrottungssimulator existiert. Diese Games konzentrieren sich jedoch mehr darauf, einen Beruf zu simulieren, oft aus der Ego-Perspektive. „Abriss“ hingegen denkt mit seiner abstrakten Umgebung und konkreten Aufgaben das Puzzle-Genre neu.
„Abriss“ erzählt keine Geschichte, und auch die Gebäude, die man zerstören muss, sind anonym und oft eher abstrakte Zielscheiben und nicht etwa Wohnhäuser oder Einkaufszentren. In den FAQs auf der offiziellen Website schreiben die Entwickler auf die Frage „Ist das Spiel eine Metapher für irgendetwas?“ lediglich „Vielleicht“. Der Begriff der „kreativen Zerstörung“ drängt sich nahezu auf, letzten Endes ist es jedoch umgedreht: Man baut etwas auf, um zerstören zu können. Und wie so mancher Hollywood-Streifen vielleicht besser wäre, hätte man keinen dünnen Plot um die vielen Explosionen herum gestrickt, so kommt „Abriss“ auch ganz gut ohne einen aus.
Entstanden ist das Spiel im Zuge des ersten Lockdowns, aus einem Uniprojekt heraus. Die drei Entwickler aus Ostberlin gründeten die Games-Genossenschaft Randwerk, um fortan an „Abriss“ zu programmieren. In Zeiten, in denen beinahe täglich über die Ausbeutung von Spieleentwickler*innen zu lesen ist, ist es ein erfreuliches Zeichen, dass auch in der Games-Branche kooperative Formen der Organisation und des Wirtschaftens ausprobiert werden.