Das European Institute for Gender Equality registriert erstmalige Erfolge, auch in Luxemburg gibt es Besserungen. In vielen Bereichen liegen jedoch sowohl auf EU-Ebene als auch hierzulande fortdauernde Ungleichheiten vor.
Dieses Jahr hat das European Institute for Gender Equality (EIGE) nicht nur einen Grund zum Feiern. Neben einem zehnjährigen Jubiläum hat das Institut für 2022 einen erstmaligen EU-Schnitt von über 70 Prozent auf ihrem Gender Equality Index erfasst. Ein Resultat von 100 Prozent ist nötig, damit eine vollständige Geschlechtergleichheit vorliegt. Die Steigerung von fast zwei Prozentpunkten sei vor allem auf die Zunahme von Frauen in Führungspositionen in mehreren Mitglieds- staaten zurückzuführen, heißt es in dem am vergangenen Dienstag veröffentlichten Bericht des EIGE.
An der Spitze der Index-Skala liegt Schweden mit 80 Prozent, gefolgt von den Niederlanden und Dänemark. Auch Luxemburg liegt mit einem Durchschnittswert von 74,7 Prozent über dem EU-Durchschnitt und ordnet sich damit hinter Belgien und Frankreich auf dem 7. Platz ein. Seit 2010 hat das Großherzogtum einen Sprung von 13,5 Prozentpunkten erreicht. Dennoch sei Schweden das einzige Land, das der Geschlechtergerechtigkeit nahe sei, beharrt Jolanta Reingarde, Forscherin des EIGE auf einer Pressekonferenz am Dienstag.
Unterteilt wird der Index in sechs Hauptbereiche, in denen die Geschlechtergleichheit in jedem Mitgliedsstaat analysiert wird. Schaut man sich die verschiedenen Kategorien an, fällt auf: Ungeachtet der Besserungen, gibt es EU-weit große Unterschiede.
So etwa in den Hauptbereichen „Bildung“ und „Arbeit“. Obwohl Frauen oftmals die Mehrheit der Studierenden und Auszubildenden ausmachen, sind sie auf den nationalen Arbeitsmärkten weiterhin unterrepräsentiert, vor allem bei höheren Posten. „Es ist erschreckend, dass die Geschlechtertrennung auf dem Arbeitsmarkt heute noch genauso stark ist wie vor zehn Jahren“, wird im Bericht bemängelt. Sowohl die Löhne als auch die Beschäftigungsrate von Frauen seien systematisch niedriger als die von Männern. Schuld daran sei vor allem die unbezahlte Arbeit – meist in Form von Kinder- oder Alterspflege –, die Frauen öfter als Männer übernähmen.
Führt Luxemburg mit 93,9 Prozent die Spitze der Länder in puncto Lohngleichheit an, ist bei der „Freizeit“ ein Rückgang zu 2021 zu bemerken: Männer hätten deutlich mehr Zeit für soziale Aktivitäten als Frauen. Mit 62,8 Prozent liegt das Großherzogtum in diesem Bereich sogar unter dem EU-Durchschnitt.
In Führungspositionen vorn
Was dieses Jahr außerdem auffällt: Luxemburg hat sich besonders im Bereich „Macht“ verbessert. Demnach seien Frauen hierzulande etwas häufiger in politischen und wirtschaftlichen Führungspositionen, etwa in Bankvorständen, vertreten. Das Großherzogtum bildet damit eine Ausnahme in der EU, wo der Bereich trotz einer Verbesserung den niedrigsten Prozentsatz erreicht. „Die Belastung durch Pflegeaufgaben kann Frauen davon abhalten, eine aktivere Rolle im politischen Leben zu übernehmen“, erklärt das EIGE im Bericht.
Am Mittwoch kommentierte Gleichstellungsministerin Taina Bofferding (LSAP) den diesjährigen Index in einer Pressmitteilung: Wenngleich sie die hiesigen Erfolge lobend hervorhob, merkte sie an, dass Frauen in Entscheidungspositionen im Klimaschutz unterrepräsentiert seien. Dies, „obwohl ein besseres Gleichgewicht auf dieser Ebene für einen sozial gerechten Prozess wünschenswert wäre“, so die Ministerin.
Ein Bereich, der im diesjährigen Index nicht mit einbegriffen ist, ist die körperliche und sexualisierte Gewalt. Noch gebe es dafür nicht genügend Daten, erklärt Reingarde am Dienstag. Auch nicht in Bezug auf Luxemburg, wo etwa Femizide nicht separat erfasst werden. Nächstes Jahr wollen die Forscher*innen versuchen, körperliche und sexuelle Gewalt erstmals in den Index einzubringen.
Die Steigerung der Ungleichheiten in verschiedenen Mitgliedstaaten sei „beunruhigend“, sagt Reingarde. Denn trotz der Fortschritte in Ländern mit größeren Ungleichheiten, wie Rumänien, stagniere die Entwicklung in anderen Mitgliedstaaten. Bei Spitzenreiter Schweden wäre die Gleichstellung sogar um einige Prozentpunkte zurückgegangen. „Dies zeigt deutlich, dass wir die Besserungen nicht als selbstverständlich ansehen dürfen“, so die Forscherin.