Gewitter ohne Regenbogen beim Wahlkampf in Polen

Die Wahlkampagne des polnischen Staatspräsidenten Andrzej Duda geht auf die Kosten von LGBTIQ-Menschen. Die LGBTI Intergroup der EU ist empört, andere EU-Politiker*innen schweigen. Dabei ist die Missachtung queerer Rechte in Polen weit fortgeschritten.

Bidlquelle: Anna Shvets/Pexels

Die polnischen Bürger*innen werden am 28. Juni zur Wahlurne gebeten. Der amtierende konservative und queerfeindliche Staatspräsident Andrzej Duda stellt sich zur Wiederwahl. Er geht wie schon bei den letzten Parlamentswahlen 2015 mit homophoben Äußerungen und menschenverachtenden Handlungen auf Stimmenfang.

Duda stellte vergangenen Mittwoch einen Familien-Charta vor. Es ist ein Vorgeschmack auf das, was Polen in Sachen Familienpolitik und Menschenrechte erwartet, wenn Duda an der Macht bleibt. Die Charta hält unter anderem den Schutz der Kinder vor „LGBT-Ideologien“, das Verbot gleichgeschlechtlicher Ehen sowie Elternschaft fest. Der Kandidat soll mehreren Medienberichten zufolge gesagt haben: „Man versucht uns einzureden, dass das Menschen sind. Aber es ist einfach nur eine Ideologie.“ Duda sprach sich in dem Zusammenhang auch gegen einen inklusiven und vielseitigen Sexualkundeunterricht an Schulen aus. Der Staatspräsident argumentierte wie für queerfeindliche Menschen üblich: Die Sexualaufklärung sei Aufgabe der Eltern. Die sexuelle Orientierung gehöre ins Private. Seine Partei wolle lediglich Familien schützen.

Anfang des Jahres wurden in mehreren polnischen Gemeinden Beschlüsse unterschrieben, mit denen sich diese zur „LGBT-freien Zone“ erklärten. Die Investigativ-Journalist*innen der NGO OKO.press wandten sich an die 52 EU-Partnerstädte der Gemeinden mit der Bitte, die Partnerschaft aufzulösen. Bis dato (Stand: 18. Juni 2020) hat sich nur Armin Fischbach, Sprecher der deutschen Stadt Stendal, zurückgemeldet und eine Beratung über den weiteren Verlauf der Zusammenarbeit mit Puławy angekündigt. Keine luxemburgische Gemeinde unterhält eine Partnerschaft zu den LGBTIQ-feindlichen Gemeinden in Polen.

Die polnischen Lokalpolitiker*innen und die Regierung greifen Menschen an, die in Polen im Schnitt bereits stark unter der Allgemeinsituation leiden. Die rezenten Studienergebnisse der Agentur für Grundrechte der Europäischen Union (FRA) zum Wohlbefinden von LGBT-Menschen in Europa sind in Bezug auf Polen besorgniserregend: Die Hälfte der Befragten gab an, bestimmte Orte oft oder immer aus Angst vor verbaler oder körperlicher Gewalt zu vermeiden. 73 Prozent gehen selten bis gar nicht offen mit ihrer Homosexualität oder Geschlechtsidentität um – das erklärt auch, warum 61 Prozent der Befragten nie oder selten mit ihren gleichgeschlechtlichen Partner*innen in der Öffentlichkeit Händchen halten. Es ist erschütternd zu lesen, dass 42 Prozent von ihnen in den letzten zwölf Monaten vor der Umfrage Opfer von Belästigungen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Geschlechtsidentität wurden und 36 Prozent aus Angst vor weiteren Attacken keine Zuflucht bei der Polizei suchten. Die Tatsache, dass ihre Rechte – unanfechtbare Menschenrechte – zum politischen Armdrücken missbraucht werden, verstärkt die Unsicherheiten und die Angst unweigerlich. Auch, wenn sich Dudas Gegner, der linksliberale Warschauer Bürgermeister Rafał Trzaskowski, für die Verteidigung der LGBTI-Rechte stark macht.

Die LGBTI Intergroup des EU-Parlaments übte gestern in einer Pressemitteilung Kritik an Dudas Verhalten. Die Gruppe verweist darin unter anderem darauf, dass das EU-Parlament 2019 einen Beschluss zur Bekämpfung öffentlicher Diskriminierung und „LGBT-freier Zonen“ angenommen hat und den Angriff auf LGBTI-Menschen verurteilt – sei es durch die Missachtung ihrer Rechte oder die Hassrede durch öffentliche Autoritäten, sei es im Kontext der Errichtung „LGBT-freier Zonen“ und queerfeindlicher Wahlversprechen. „Poland is and remains a Member State of the EU and of the Council of Europe and has vowed to uphold both the Charter of Fundamental Rights and the European Convention on Human Rights. Being LGBTI has nothing to do with ideology“, kommentiert der Co-Präsident der LGBTI Intergroup, Marc Angel (LSAP), die Ereignisse in Polen.

Dass die sexuelle Orientierung und die Geschlechtsidentität eines Menschen sowie das öffentliche Sprechen darüber nichts mit der Verbreitung einer Ideologie, nichts mit einer Entscheidung oder mit Bekehrungsversuchen gemein hat, kann nicht oft genug wiederholt werden – und zwar auch von Politiker*innen und Menschen, die keinen Organisationen angehören, die sich ohnehin für die LGBTIQ-Rechte einsetzen. Es ist nicht vertretbar, dass beispielsweise der deutsche Außenminister Heiko Maas dem Thema ausweicht, wenn er mit dem polnischen Amtskollegen Jacek Czaputowicz bei einem Besuch in Warschau vor die Presse tritt. Mehreren Medienberichten zufolge soll Maas sich zu den LGBTIQ-feindlichen Attacken der Regierung enthalten haben. Es heißt, er wolle nicht belehrend wirken, denn auch Deutschland habe im Minderheitenschutz Nachholbedarf. Von der EU-Komissionspräsidentin Ursula von der Leyen gibt es bisher ebenfalls keine Stellungnahme. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) berichtet derweil, dass „Duda mit im Durchschnitt 41,5 Prozent der Stimmen vor Trzaskowski (28,4) und dem unabhängigen Publizisten Szymon Holownia (11,9)“ führt.


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