Glyphosat-Debatte
: Strategien der Verharmlosung

Je nach durchgeführter Studie ist Glyphosat mal hochgefährlich, mal bloß halb so schlimm. Wir haben nachgefragt, wie es zu den Studienergebnissen kommt und welche Interessen hinter ihnen stecken.

Die Agrarökologin Angelika Hilbeck forscht und lehrt am Institut für Integrative Biologie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich. 
Sie hat am 2008 erschienenen Weltagrarbericht mitgearbeitet. (Foto: Edvard Kristiansen / edvardk.com)

Die Agrarökologin Angelika Hilbeck forscht und lehrt am Institut für Integrative Biologie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich. 
Sie hat am 2008 erschienenen Weltagrarbericht mitgearbeitet. (Foto: Edvard Kristiansen / edvardk.com)

woxx: Ende Juni läuft die EU-Zulassung für Glyphosat aus. Es herrscht Uneinigkeit in Europa, ob sie verlängert werden soll. Was meinen Sie, gehört Glyphosat aus dem Verkehr gezogen?


Angelika Hilbeck: Mir reicht die wissenschaftliche Evidenz, die sich aus peer-reviewed Studien ergibt, um zu sagen: Weder Glyphosat noch Roundup noch ihre Abbauprodukte gehören in unsere Nahrung und in die Natur. Unser Problem heute sind die Cocktails von Pestiziden, all die verschiedenen Pflanzengifte, mit denen wir auf Schritt und Tritt konfrontiert werden. Diese Cocktails wurden nie in ihren Kombinationswirkungen auch nur ansatzweise überprüft.

Und warum nicht?


Weil es gar nicht geht, denn es gibt eine astronomische Anzahl von möglichen Kombinationen. Ich habe noch keine überzeugenden wissenschaftlichen Argumente gehört, warum wir Pestizidrückstand-Cocktails in unserer Nahrung tolerieren sollten. Andererseits sprechen viele überzeugende wissenschaftliche Argumente dafür, Nahrung und Umwelt von Pestiziden freizuhalten. Dass wir Nahrung ohne Pestizide produzieren können, beweisen der biologische Anbau und mehrere Jahrtausende Menschheitsgeschichte vor der Entdeckung eines Geschäftsmodells, das auf Pestiziden basiert. Genau für dieses Geschäftsmodell steht Glyphosat.

Die Internationale Agentur für Krebsforschung IARC, eine Einrichtung der UN-Weltgesundheitsorganisation WHO, stufte Glyphosat im letzten Jahr als „wahrscheinlich krebserregend beim Menschen“ ein. Anders die Europäische Lebensmittelbehörde EFSA. Sie kam zu dem Schluss, das Pestizid sei unbedenklich. Warum unterscheiden sich die Ergebnisse?


Weil unterschiedliche Dinge untersucht wurden. Die EFSA hat nur Glyphosat beurteilt, die IARC dagegen Glyphosat und Roundup. Das ist ein gewaltiger Unterschied. Denn Mensch und Natur kommen mit Roundup in Berührung, nicht mit Glyphosat. Pestizide bestehen ja nicht nur aus der deklarierten so genannten aktiven Substanz, also dem Hauptwirkstoff, sondern aus vielen Substanzen mit unterschiedlichen biologischen Wirkungsweisen. Beim Pflanzengift werden Beistoffe dazugemischt, zum Beispiel um es haltbarer zu machen, vor allem aber, um es auf den Pflanzen haften zu lassen. Die wasserabweisende Schicht von Pflanzenblättern lässt wasserbasierte Lösungen normalerweise abperlen. So genannte Netzmittel verhindern das, sie zerstören die Wachsschicht der Pflanze.

Warum ist das ein Problem?


Weil diese Mittel nicht der gleichen Toxizitätsprüfung unterzogen werden wie die aktiven Substanzen, weil man ihnen nicht die Hauptwirkung bei der Vernichtung des Unkrauts zuschreibt. Es geht daher bei Beistoffen weniger streng zu; dadurch aber wird der Anreiz erzeugt, bestimmte Substanzen mit ein wenig Argumentationsaufwand als Beistoffe zu deklarieren, obwohl sie im Prinzip pestizide Wirkung besitzen und einer strengeren toxikologischen Prüfung unterzogen werden müssten. In Europa steht ein solcher Netzmitteltyp, Tallowamine, nach langer Kritik aus Wissenschaftskreisen jetzt vor dem Aus. Aber dann werden halt andere Substanzen beigemischt – und der Zauber geht von vorne los.

Es gibt zu viel Spielraum, um zu tricksen? 


Das Problem ist das maximal reduktionistische Regulationsschema, dem die meisten Behörden dieser Welt folgen. Sie zerlegen Produkte in ihre kleinstmöglichen Bestandteile und beurteilen diese isoliert als Einzelsubstanzen. Aber eben nur, wenn ihnen eine biologische Wirkung zugeschrieben wird, was weitgehend der Einschätzung der Antragsteller überlassen ist. Hinzu kommen Zuständigkeitsunterschiede. Beistoffe werden von anderen Behörden beurteilt als aktive Substanzen und nach anderen, weniger strengen Kriterien, und das Ganze in unterschiedlichen Ländern. Das funktioniert wunderbar im Sinne der Entwickler, die Produkte zusammenmischen können, ohne die Verantwortung für die Gesamtwirkung übernehmen zu müssen. Die negative Wirkung wohlgemerkt, zum Beispiel die Gefährdung unserer Gesundheit. Für die positive Wirkung, das Töten von allem, was grün ist, übernehmen die Entwickler natürlich gerne die Verantwortung.

Es stecken wohl, wie immer, wirtschaftlichen Interessen dahinter.


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Finger weg von meinem Gras! Elly das Schaf traut dem „harmlosen“ Glyphosat so wenig wie den nicht untersuchten Beistoffen. (Foto: Raymond Klein
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Es geht vor allem auch um Definitionshoheit und Interessenpolitik. Darum, die negativen Auswirkungen von pestiziden Produkten dank eleganter, von der Chemieindustrie maßgeblich mitgestalteter Regulationen ignorieren zu dürfen, und sie damit der Allgemeinheit aufzubürden. Man möchte die Zulassungsauflagen minimieren, um die Profite zu maximieren  – das Prinzip ist weder neu, noch beschränkt es sich auf die Pestizidindustrie. Es verbilligt eben nicht nur die Entwicklungskosten dieser Produkte, sondern vor allem auch die Verantwortlichkeit. Einmal zugelassen und als sicher deklariert, macht das Produkt es viel schwieriger, den Herstellern beizukommen, wenn sich dann doch Schäden zeigen sollten. Man hat sich ja an die Regeln gehalten.

Ist der Industrie überhaupt beizu-
kommen?


Einen Hebel braucht die Industrie ja schon, also Interessenvertreter in den relevanten Gremien. Die hatte man im IARC nicht, weil es dort strikte Regeln gibt und Interessenkonflikte offengelegt werden müssen. Bei anderen Arbeitsgruppen der WHO und der FAO (Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen) oder gar der EFSA findet sich diese Transparenz längst nicht in dieser Striktheit, und da funktionieren dann die Strategien der Verharmlosung, des Zurechtbiegens und der Verleugnung.

Das Joint Meeting on Pesticide Residues (JMPR), eine Arbeitsgruppe von FAO und WHO, ist jetzt, kurz vor dem Auslaufen der Glyphosat-Zulassung, mit einem neuen Bericht herausgekommen. Danach könnte man den Eindruck bekommen, Glyphosat sei doch nicht so gefährlich. Wie beurteilen Sie den Bericht?


Zuerst einmal ist das JMPR nicht das zuständige Gremium zur Krebseinschätzung einer Substanz – das ist die IARC. Darum bezeichnet das JMPR seinen Bericht auch als „complementary“ zu dem des IARC, also ergänzend. Bei den Aussagen muss man genau hinschauen. Dass Glyphosat/Roundup wahrscheinlich krebserregend für den Menschen ist, bezweifelt das JMPR offiziell gar nicht. Aber in der Kommunikation nach außen stellt es die IARC-Einstufung dann eben doch in Frage, weil man genau weiß, dass Normalbürger nicht verstehen, wie eine Risikoabschätzung abläuft. Da kann man viel Konfusion schaffen.

Wo sehen Sie den wunden Punkt beim JMPR-Bericht?


Die Arbeitsgruppe argumentiert, der Mensch könne gar nicht so viel Glyphosat über die Nahrung aufnehmen, dass die – an sich unbestrittene – krebserregende Wirkung sich entfalten kann. Es legt die so genannten duldbaren Grenzwerte der täglichen Aufnahme fest, die auf ganz vielen Annahmen basiert. Basis für sie sind Modellberechnungen und Studien, die aber meist nur kurzfristige Effekte untersuchen und mit pauschalen Sicherheitsfaktoren arbeiten. Das JMPR rechnet die Exposition so klein wie möglich und rühmt sich auch noch, Zugang zu unveröffentlichten Studien gehabt zu haben. Im Klartext heißt das: nicht-öffentliche Industriestudien, die kein Peer Review, also eine sorgfältige wissenschaftliche Prüfung durch mehrere unabhängige Wissenschaftler, durchlaufen haben. Hinzu kommt, dass sich beim JMPR wieder nur Studien zu Glyphosat als Einzelsubstanz finden, nicht für Roundup insgesamt. Das Gremium wurde überhaupt erst als aufgeregte Reaktion auf den IARC-Bericht einberufen und ist gut besetzt mit altbekannten Lobbyisten der Agrochemie. Ich gehe davon aus, dass das Ziel dabei nicht die Bestätigung der IARC-Ergebnisse war. Wäre es so, hätte man sich diese Übung sparen können.

Das Geschäftsmodell mit Pestiziden wird zunehmend in Frage gestellt?


Zumindest in Europa. Die Wiederzulassung von Glyphosat steht auf dem Spiel, und damit nicht nur das Geschäftsmodell Pestizide, sondern vor allem das Geschäftsmodell Pestizide plus gentechnisch veränderte Pflanzen. Denn der allergrößte Anwendungsbereich sind und bleiben die gentechnisch veränderten Pflanzen, die Roundup ausgesetzt werden können, ohne daran zu sterben. Mit der Folge, dass in den Ernteprodukten Rückstände in hohen Mengen vorhanden sind. Um diese profitable Verbindung des Topsellers Roundup mit passend gentechnisch veränderten Pflanzen geht es. Darum werden wir gerade Zeuge eines zynischen Spiels.

Sollten neben Glyphosat auch andere Pestizide verboten werden?


Kaum eine Debatte gab es bisher über Diazon und Malathion. Diese Pestizide hatte der IARC zwar auch als wahrscheinlich krebserregend eingestuft. Das JMPR beurteilt Diazon und Malathion aber ebenfalls als unbedenklich für den Aufnahmepfad Nahrung, und wieder nur als Einzelsubstanz.


Saat des Bösen?

Glyphosat ist das erfolgreichste Pestizid aller Zeiten. 2012 wurden von dem Pflanzengift über 700.000 Tonnen verkauft. Tendenz steigend. Der US-Konzern Monsanto, der den Wirkstoff in den 1970ern patentiert und als Roundup auf den Markt gebracht hatte, macht mit ihm Milliardenumsätze. Nicht nur das Pestizid verkauft das Unternehmen, sondern auch gentechnisch veränderte Pflanzen, die gegen Glyphosat resistent sind. Monsanto nennt sie RoundupReady. Da der Patentschutz für den Wirkstoff Glyphosat abgelaufen ist, stellen mittlerweile auch andere Unternehmen glyphosathaltige Produkte her.
Das Pestizid ist sehr umstritten. In den USA führen derzeit zwei Männer, die in der Landwirtschaft arbeiteten, einen Prozess gegen Monsanto. Sie sind an Lymphdrüsenkrebs erkrankt und führen dies auf den jahrelangen Kontakt mit Roundup zurück. Monsanto habe gewusst oder hätte wissen müssen, wie gefährlich sein Verkaufsschlager ist, und zwar Roundup als Ganzes, nicht nur das darin enthaltene Glyphosat. Auch in Europa streitet man sich derzeit über das Pestizid. Zu den Gesundheitsrisiken im Zusammenhang mit Glyphosat gibt es unterschiedliche Studien von UN-Organisationen.

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