Im Kino: C’mon c’mon

Auch mit seinem neusten Film weiß Mike Mills wieder zu überzeugen. Die herzerwärmende Tragikomödie über eine kommunikationsscheue Familie kommt ohne Kitsch und Klischees aus.

Sich um seinen 9-jährigen Neffen zu kümmern, hatte Johnny sich definitiv leichter vorgestellt. (© Pathé Films )

Der Radiojournalist Johnny (Joaquin Phoenix) arbeitet gerade an einem Projekt über die Zukunftserwartungen von Jugendlichen, als ihn seine Schwester Viv kontaktiert. Über ein Jahr lang haben die beiden nicht miteinander gesprochen, doch nun braucht Viv seine Hilfe: Er soll nach ihrem neunjährigen Sohn Jesse (Woody Norman) schauen, während sie sich um ihren bipolaren Ehemann (Scoot McNairy) kümmert. Johnny willigt umgehend ein, was soll in den paar Tagen schon schiefgehen? Doch Viv benötigt deutlich länger als geplant, und Johnny, der in diverse Städte reisen muss, um Jugendliche zu interviewen, entscheidet, den exzentrischen Jesse mitzunehmen.

In „C’mon c’mon“ stellt Filmemacher Mike Mills also die Beziehung zwischen einem Onkel und seinem Neffen in den Mittelpunkt. Richtig kennen tun sich die beiden zu Beginn des Films nicht, und Zeit, um sich auf den gemeinsamen Roadtrip einzustellen, hatte keiner von beiden. Sie fangen an, miteinander zu reden, sich Fragen zu stellen. Nicht immer werden sie beantwortet, vor allem Johnny ist sich nicht sicher, mit welchen Worten er seinem Neffen unangenehme Wahrheiten nahebringen soll. Was ist mit Jesses Vater los? Wieso reden Viv und Johnny nicht mehr miteinander? Wieso ist letzterer nicht mehr mit seiner langjährigen Partnerin zusammen?

Immer wieder wechselt der Film von Szenen mit Jesse und Johnny zu Telefonaten zwischen Johnny und Viv oder den oben erwähnten Radiointerviews. Letztere tragen nicht wirklich zur Handlung bei, die Gedanken, die die Jugendlichen verbalisieren – über ihre Ängste und Hoffnungen –, haben eher den Effekt, den meditativen Grundton des Films zu verstärken. Auf ähnliche Weise funktionieren die zahlreichen Parallelmontagen zu Musik von Claude Debussy oder Irma Thomas. Doch was in Mills Kurzfilm „Easy to Find“ zum gleichnamigen Konzeptalbum von The National funktionierte, wirkt in „C’mon c’mon“ unnötig prätentiös.

Die Stärken dieses Films liegen ohne Zweifel anderswo. So etwa bei der Figurenzeichnung. Vivs Leinwandpräsenz ist sehr viel stärker, als man anfangs meinen könnte; nichts lag Mills ferner, als sie auf eine abwesende Mutter zu reduzieren. Parallel zu dem, was sie gerade mit ihrem Ehemann durchlebt – wir erfahren davon durch ihre Telefongespräche mit Johnny –, gibt sie ihrem zeitweise völlig überforderten Bruder Erziehungstipps. Obwohl es paradox wirkt, erfahren wir gerade durch ihre Abwesenheit umso mehr, wie sie tickt und welche Rolle sie in Jesses Leben spielt. Selten erschien eine Filmfigur trotz geringer Leinwandpräsenz derart nuanciert.

Ecken und Kanten

Weniger komplex, wenn auch interessant, ist die Figur des Johnny, auch wenn sie in Vivs Schatten steht. Am Ende des Films scheint er nicht besonders viel hinzugelernt zu haben. Immerhin hat er mehr Respekt davor gewonnen, wie Viv Kindererziehung und Job unter einen Hut bekommt. Jesse seinerseits ist als Figur schwer zu fassen, ständig pendelt er zwischen haarsträubend impulsivem und unrealistisch reifem Verhalten hin und her. Auch wenn sich diese Figur nie wie ein wirkliches Kind verhält – was auch der stark schwankenden Schauspielleistung von Woody Norman geschuldet ist –, so erfüllt die Figur doch ihren Zweck, Johnny an seiner neuen Elternrolle verzweifeln zu lassen. In „C’mon c’mon“ haben alle ihre Ecken und Kanten, Mills begegnet ihnen allen mit Empathie und Neugierde.

Seine größte emotionale Schlagkraft erhält „C’mon c’mon“ letztlich nicht durch die Darstellung der Onkel-Neffe-Beziehung. Herzstück des Films ist stattdessen die Beziehung zwischen Johnny und Viv. Die Art wie Mills die Komplexität dieser Geschwisterrelation einfängt, tröstet am Ende über die vereinzelten kleinen Schwächen hinweg. Wer Mills’ „Beginners“ und „20th Century Women“ mochte, wird mit großer Wahrscheinlichkeit auch an „C’mon c’mon“ Gefallen finden.

In der Cinémathèque.

Bewertung der woxx : XXX


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