Im Kino: Quo Vadis, Aida?

Mit ihrem immersiven Historiendrama greift die bosnische Filmemacherin Jasmila Žbanic eines der größten Massaker der Menschheitsgeschichte auf.

Als Dolmetscherin hat Aida zwar Privilegien, ihre Macht stößt jedoch schnell an ihre Grenzen. (Quelle: Elevation Pictures)

Bosnien-Herzegowina 1995: Als bosnisch-serbische Milizen die ostbosnische Stadt Srebrenica besetzen, suchen die rund 30.000 Einwohner*innen in und vor einem Lager der Vereinten Nationen Schutz. Dieses war 1993 zur Sicherheitszone erklärt worden. Wenige Tage später sollen 8.000 von ihnen – vor allem Männer – in Massenhinrichtungen ermordet werden.

„Quo Vadis, Aida?“ blickt durch die Augen einer Frau auf dieses historische Ereignis. Die Bosnierin Aida (Jasna Ðuricic) arbeitet während des Bosnienkrieges als Übersetzerin bei der UN. Zugleich ist sie aber auch Ehefrau und Mutter; ihre Familie gehört zu den Schutzsuchenden. Auf diese Weise gelingt es der bosnischen Regisseurin Jasmila Žbanic zwei Perspektiven zu vereinigen: die der hilflosen Zivilbevölkerung und die der niederländischen UN-Truppen.

Trotz ihrer neutralen Funktion genießt Aida einige Privilegien: Von ihren Vorgesetzten getroffene Entscheidungen erfährt sie immer zuerst, ihre eignen Anliegen kann sie ohne große Umstände an die Offiziere kommunizieren. So gelingt es ihr etwa, ihren Söhnen (Boris Ler und Dino Bajrovic) und ihrem Ehemann (Izudin Bajrovic), die wie tausende andere vor dem Lager warten, um reingelassen zu werden, Zugang zu verschaffen. Während Aida anfangs noch versucht, sich für die Schutzsuchenden einzusetzen, nimmt sie zunehmend nur noch die Interessen ihrer Familie wahr. Das liegt aber nicht daran, dass Aida egoistischer wird, vielmehr wird die Lage zunehmend auswegloser. Aida weiß: Falls sie überhaupt irgendwem helfen kann, dann ihren Angehörigen.

Das alles fängt Žbanic mit immersiven Bildern ein, fast ununterbrochen folgt die Kamera Aida auf Schritt und Tritt, von Szene zu Szene nimmt die Spannung zu. Zunehmend panisch rennt Aida durch die Hallen des ehemaligen Fabrikgebäudes, von einem Offizier zum nächsten, ihre Stimme bebt, an ihrem Gesicht kann jede noch so kleine Gefühlsregung abgelesen werden. Doch auch andere Schauspieler*innen, allen voran Johan Heldenbergh als Colonel Thomas Karremans brillieren in ihren Rollen. An niemandem wird die völlige Überforderung und Unentschlossenheit der UN-Truppen deutlicher als an ihm.

Inmitten dieser Tragödie findet Žbanic aber auch immer wieder ruhige, gar humorvolle Momente, wenn Aida etwa mit ihren Angehörigen interagiert. Solche Momente machen den Film insgesamt zwar nicht weniger bedrückend, doch erlauben sie es, kurzzeitig durchzuatmen.

Auch wenn die Figur Aida auf keiner real lebenden Person basiert, so ist sie doch ein Mosaik aus unzähligen Einzelschicksalen, die Žbanic im Laufe ihrer Recherchen in Erfahrung brachte. Die Beschränkung auf Aidas Perspektive ermöglicht es, die politischen Abläufe im Detail nachzuzeichnen, dabei das menschliche Leid nicht aus den Augen zu verlieren. Die restlichen Einwohner*innen riskieren durch diese Fokussierung jedoch zur anonymen Masse zu werden. Wir trauern am Ende mehr um Aidas Angehörige als um die vielen anderen anonym gebliebenen Opfer.

Dennoch ist Žbanic mit „Quo Vadis, Aida?“ ein beeindruckendes Historiendrama gelungen. Auf dem LuxFilmFest wurde der Film wohlverdient mit dem Hauptpreis ausgezeichnet.

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Bewertung der woxx : XXX


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