Interview Tessy Troes: „Wurdest du diskriminiert, weil du als Frau Fußball gespielt hast?“

Die Filmemacherin Tessy Troes spricht über ihre Doku „Um Ball – 50 Joer Fraefussball zu Lëtzebuerg“. Ein Blick hinter die Kulissen.

Diese Aufnahme dokumentiert die Anfangszeit der Frauenfußballgeschichte Luxemburgs, die in den 1970er-Jahren ihren Lauf nahm. (Copyright: Photothèque de la Ville de Luxembourg)

Woxx: Tessy Troes, 2019 haben Sie in der woxx über die Frauenfußball-WM in Frankreich berichtet. Jetzt läuft Ihr Dokumentarfilm „Um Ball – 50 Joer Fraefussball zu Lëtzebuerg“ in den Kinos. Warum dieser Film?


Tessy Troes: Diese Frage wurde mir bei der Premiere des Films gestellt und meine Gegenfrage lautete: Soll ich mit dem Jahr 2001 oder 2019 beginnen?

Ich bin für 2001.


Ich stamme aus einer luxemburgischen Fußballfamilie. In meiner Kindheit war ich oft mit meiner Mutter bei Spielen ihrer Cousins. Da ich viel Zeit auf dem Platz verbracht habe, dachte ich, ich könnte auch Fußball im Verein spielen. Damals muss ich acht, neun Jahre alt gewesen sein. Meine Mutter hat sich nach den Trainingszeiten erkundigt und erhielt als Antwort: „Mädchen schauen zu, sie spielen aber doch nicht selbst!“ Das war Anfang der 2000er. Es hat zwei Jahre gedauert, bis sich die Haltung des Komitees geändert hat und ich mitspielen durfte. Diese Ablehnung hat mich geprägt und ich teile diese Erfahrung mit vielen Frauen, die in dem Film zu sehen sind. Mit diesem Film erzähle ich ein Stück weit meine eigene Geschichte.

Wie lange haben Sie Fußball gespielt?


Zehn Jahre, bis ich zum Studium weggezogen bin. Ich habe in Ell links hinten gespielt, in der Verteidigung.

Was geschah 2019?


2019 habe ich die Frauenfußball-WM in Frankreich als Journalistin verfolgt. Die Atmosphäre war faszinierend und hat mich an die ursprüngliche Mentalität bei den Olympischen Spielen erinnert – als noch galt Sport verbindet die Nationen. Es gab zwar großes Sponsoring, aber die Kommerzialisierung des Sports war weniger spürbar als bei den Herrenturnieren. Es war eine Herausforderung in ein, zwei Beiträgen darzustellen, warum Frauenfußball sportlich genauso interessant ist wie Herrenfußball, und gleichzeitig herauszuarbeiten, inwiefern er noch diesen puren Charakter besitzt, den der professionelle Herrenfußball längst verloren hat. Zu dieser Zeit hat die Fifa zudem eine Broschüre publiziert, in der alle Fußballföderationen der Welt aufgelistet sind. In dem Teil zur FLF (Fédération luxembourgeoise de football, An.d.R.) stand, 1972 sei die erste Frauenfußball-Liga Luxemburgs gespielt worden. Mir war neu, dass die Geschichte des Frauenfußballs hierzulande so weit zurückreicht. Dann kam der „Open Call“ von Esch2022: Das war für mich die perfekte Gelegenheit, noch tiefer in die luxemburgische Fußballgemeinschaft einzutauchen.

„Wir schauen auf 50 Jahre Frauenfußball zurück, aber nur die zweite Hälfte davon ist professionell dokumentiert.“

Dan Santos trat 2020 als neuer Trainer der Frauennationalmannschaft an. Wie hat das Ihre Arbeit beeinflusst?


Sein Amtsantritt hat sich mit meinen Arbeiten überschnitten und einen wichtigen Moment im Frauenfußball markiert, denn Santos hat in kurzer Zeit vieles umgewälzt. Alle kennen den Frauenfußball vor ihm und es ist klar: Jetzt ändert sich etwas. Aber in welche Richtung? Dieser Frage geht der Film nach.

Gab es Archivmaterial?


Es gibt wenig Filmmaterial aus den Anfangsjahren. Die Photothèque hat uns ein Jahr nach der ersten Anfrage Fotoaufnahmen von zwei entscheidenden Spielen von 1971 und 1973 zur Verfügung gestellt. Das sind die ältesten Aufnahmen, die wir gefunden haben. Darüber hinaus gibt es RTL-Reportagen und die zweiteilige Doku („D’Léiwinnen“, An.d.R.) von Tim Hensgen aus den Jahren 2021 und 2022. Der Sportjournalist hatte die Frauennationalmannschaft während der WM-Quali begleitet. Die ältesten RTL-Beiträge, die wir einsehen konnten, wurden Ende der 1990er-Jahre publiziert. Wir schauen auf 50 Jahre Frauenfußball zurück, aber nur die zweite Hälfte davon ist professionell dokumentiert.

Wie ging es weiter?


In einer ersten Phase habe ich alleine an dem Projekt gearbeitet und eine Spielerin kontaktiert, die in meiner Altersgruppe gespielt hat: Amy Thompson. Sie erwähnte eine Universitätsarbeit über Fußball in Luxemburg, für die sie selbst befragt wurde. In der besagten Arbeit stieß ich zum ersten Mal auf die Namen der Spielerinnen aus den 1970er-Jahren. In einer zweiten Phase hat mich die Soziolinguistin Sarah Muller unterstützt. Wir haben alle Vereine kontaktiert sowie weitere Spielerinnen angeschrieben.

Was ist mit den Archiven der FLF, des Sportministeriums oder der Vereine?


In dem Buch „100 Joer FLF“ gibt es eine Seite zur ersten Frauenfußballmannschaft und eine zur ersten Frauennationalmannschaft. Das war es – und das Buch ist wirklich dick … Das Sportministerium hat mir ein Fotodossier ausgehändigt, auf dem zwar „Frauenfußball“ draufstand, das aber überwiegend Herrenfußball zeigte. In dem Dossier haben wir auch von Eliane Cremona erfahren, die von 1960 bis 1990 Generalsekretärin der FLF war. Von den allerersten Frauenfußballmannschaften ist nur noch eine übrig, über 50 Jahre hinweg betrachtet sind es eine Handvoll. Die meisten sind nicht verschwunden, weil der Verein sich aufgelöst hat, sondern weil die Mannschaften fusioniert haben. Dabei ist viel Archivmaterial verloren gegangen. Manche Schlüsselfiguren, wie etwa die drei Personen, die an der Entstehung der ersten Frauenmannschaft in Bissen mitgewirkt haben, sind inzwischen verstorben. Der Verein hatte in seinem Archiv glücklicherweise noch das Tagebuch einer Spielerin, anhand dessen ich gut nachvollziehen konnte, wie der Frauenfußball in den 1970ern entstanden ist, wie oft gespielt wurde und wo. Unsere Recherchen haben insgesamt zwei Jahre gedauert, vieles haben wir nur durch private Dokumentation herausgefunden.

Das deutet auf ein allgemeines Desinteresse vonseiten offizieller Instanzen hin.


Als wir das Projekt bei Esch2022 vorgestellt haben, hieß es: „Beweisen Sie uns, dass das Thema relevant ist.“ Wir haben 2020 deswegen eine Umfrage in einer Facebook-Gruppe gestartet und hundert Rückmeldungen erhalten. Das ist unzureichend, aber: Auf die Frage „Wurdest du irgendwann diskriminiert, weil du als Frau Fußball gespielt hast?“ haben viele Teilnehmerinnen mit langen Paragrafen geantwortet. Es wurde klar, dass sie diese Erfahrung noch nie teilen konnten – und mit dieser Erkenntnis haben wir unser Projekt legitimiert.

Die Spielerinnen sprechen Sexismus an, gehen aber nicht weiter darauf ein.


„Das war halt so“, ist eine Aussage, die sich wie ein roter Faden durch den Film zieht. Wir haben die Spielerinnen aus den 1970er-Jahren gefragt, ob sie sich als Teil der luxemburgischen Frauenbewegung verstehen, die ja zu dieser Zeit aktiv wurde. Keine konnte sich damit identifizieren. Die Frauen hatten eine pragmatische Haltung. Die ehemalige Spielerin Astrid Badia meinte, irgendwann hätten sie den „Club“ durchschaut und gewusst, was sie tun müssten, um ihre Ziele zu erreichen. Nur Badia hat Cremona explizit in den Interviews erwähnt und gesagt, sie hätte sich nicht als die erhoffte Verbündete entpuppt. Allgemein waren die Frauen aber nicht verbittert. Das mag daran liegen, dass sich vorwiegend Frauen an der Doku beteiligt haben, die stark in die Vereinsarbeit involviert waren. Wir sind bei unseren Recherchen auch auf welche gestoßen, die dem Fußball früh den Rücken gekehrt haben oder ihren Sport geheim hielten, weil sie sich dafür schämten.

Kämpft der Sportjournalismus gegen Sexismus an?


In den 1970ern und 2000ern wurde ähnlich sexistisch über Frauenfußball berichtet. Es gibt Gegenbeispiele, wie Radio Latina: Das Radio hatte eine eigene Frauenmannschaft, der Trainer war ein Sportjournalist. Doch es fehlt dem Sportjournalismus hierzulande an einer kritischen Auseinandersetzung mit Sport und Gesellschaft. Ein weiteres Problem ist die Monopolstellung von RTL: Unter den Sportlerinnen besteht zum Beispiel die Angst, dass Kritik gegen Sportjournalisten zu einer noch geringeren Berichterstattung führt. Dabei gilt es, jedes unethische Verhalten anzuprangern.

Foto: Unedeux ASBL

„Dem Frauenfußball 
wurden Jahre der Weiterentwicklung gestohlen. “

Was ist mit dem Mentalitätswechsel gemeint, der im Film zur Sprache kommt?


Die jüngere Generation ist dem Verein oft weniger verbunden und wenn die Spielerinnen eine Karrierechance wittern, ergreifen sie diese. Die Frauen des Progrès Niederkorn sind zwischen 1989 und 1997 nach Belgien und ins Saarland gefahren, um gemeinsam spielen zu können. Dieses Engagement war nur möglich, weil sie von ihrem Umfeld unterstützt wurden. In Niederkorn war es üblich, dass ehemalige Spielerinnen später im Vorstand der Damenmannschaft aktiv waren. „Wenn du einmal zur Mannschaft gehört hast, warst du für immer ein Teil davon“, hat mir eine der ehemaligen Spielerinnen gesagt. Heute rückt die Freiwilligenarbeit allgemein in den Hintergrund und das macht sich auch im Fußball bemerkbar. Mir ist es wichtig zu zeigen, dass sich persönliche Ambitionen und Vereinsverbundenheit kombinieren lassen.

Ist das die Kehrseite der Professionalisierung?


Diese Entwicklungen sind in allen Sportarten schwierig, weil dadurch die Schere zwischen den Vereinen, die auf Freiwilligenarbeit setzen, und jenen, die viel Geld investieren, immer weiter auseinandergeht. Wie schaffen wir es, dass der Frauenfußball der Kommerzialisierung nicht zum Opfer fällt und das Gemeinschaftsgefühl nicht abhandenkommt?

Was sind Lösungsansätze?


Im amerikanischen Sport gibt es oft eine Gehaltsobergrenze, um das zu verhindern. Das treibt gute Athlet*innen oft ins private Sponsoring, aber der Ansatz ist gut. Im europäischen Sport wird das kaum diskutiert.

Stichwort Geld: War es schwer, den Film zu finanzieren?


Esch2022 hat die Hälfte der Finanzierung gestemmt, es war naheliegend bei der FLF nach weiterer Unterstützung zu fragen. Ein Mitarbeiter in hoher Position hat meine Anfrage am Telefon abgelehnt: „Solche Bettelbriefe erhalten wir jeden Tag – und davon abgesehen: Wie wollen Sie das hinbekommen, einen ganzen Film nur über Frauenfußball zu machen?“ Der erste Austausch mit der FLF war desas-
trös. Ansonsten lief die Finanzierung des Films gut: Wir haben eine „Carte blanche“ des Film Fund erhalten, Gelder vom Ministerium für Gleichheit von Frauen und Männern und von der Œuvre (Œuvre nationale de secours Grande-Duchesse Charlotte, An.d.R.). Das Sportministerium hat nicht auf unsere Anfrage reagiert.

Wie entwickelte sich der Austausch mit der FLF?


Ich bin später an eine freundlichere Person bei der FLF geraten, die auch deutlich jünger war als meine erste Kontaktperson. Die hat für mich die Archive durchstöbert und mir die Tabellenergebnisse der Frauenligen herausgesucht. Dan Santos und Carine Nardecchia, erste Frau im Verwaltungsrat der FLF, waren ebenfalls zuvorkommend. Sie setzen sich explizit für den Frauenfußball ein.

Auch die Spielerinnen kritisieren die fehlende Unterstützung durch die FLF.


Das erste Interview, das wir mit der FLF geführt haben, war mit Joël Wolff, dem Generalsekretär der Föderation. Er hat von sich aus Fehler in der Jugendarbeit zugegeben. Das war krass, weil offensichtlich ein Bewusstsein dafür herrscht, dass die FLF diese seit den 2000ern vermasselt hat. Ich habe mit Wolff darüber nachgedacht, wann der Frauenfußball in Luxemburg seinen ersten Aufschwung erlebt hat, und er kam zu dem Schluss, dass dies mit den ersten TV-Ausstrahlungen einherging. Im Umkehrschluss liegt für ihn die Verantwortung der FLF aber nur darin, den Bedürfnissen der Vereine nachzukommen und nicht in der Öffentlichkeitsarbeit zur Förderung des Frauenfußballs. Dazu passt, dass die FLF lange von einer „Damenselektion“ gesprochen hat, statt von einer „Frauennationalmannschaft“. Daraus resultiert auch die mangelnde finanzielle Unterstützung des Frauenfußballs. In dem Rahmen fiel eine Aussage von Wolff, die mich bis heute beschäftigt: Ohne Männerfußball gäbe es keinen Frauenfußball, denn dieser finanziere den Frauenfußball mit.

Warum beschäftigt Sie das?


Dem Frauenfußball wurden durch mangelnde Unterstützung Jahre der Weiterentwicklung gestohlen. Männer- und Frauenfußball heute zu vergleichen und zu analysieren, wer mehr Einkommen generiert, kann nur zu verfälschten Ergebnissen führen. Im Ausland gibt es Fußballverbände, die versuchen die jahrzehntelange Unterdrückung des Frauenfußballs zu kompensieren. In den USA schüttet der Verband inzwischen einen Prozentsatz seiner Einnahmen bei großen Turnieren an beide Teams aus. Solche Diskussionen will in Luxemburg niemand führen. Die FLF zieht nur mit, wenn übergeordnete Institutionen Initiativen zur Förderung des Frauenfußballs starten.

In die Teilnahme an der WM-Qualifikation wurde Geld gesteckt, oder?


Daran merkt man, dass sich die Dinge langsam ändern. Die luxemburgische Frauennationalmannschaft hat sich 2021 zum ersten Mal an der WM-Qualifikation beteiligt. Ich habe kurz darüber nachgedacht, das zur ersten Szene des Films zu machen, um dann fünfzig Jahre zurückzuspringen und zu fragen: Warum erst jetzt?

Was hat Sie während der Dreharbeiten am meisten berührt? 


Im Allgemeinen die Interviews: Wir haben 44 Stunden Material und es fiel mir schwer, mir das Recht zu nehmen, eine Auswahl zu treffen. Umso schöner waren Rückmeldungen wie „Du hast die Stimmung dieser Zeit perfekt eingefangen“. Ein weiterer Satz, der mich getroffen hat, stammt von einer ehemaligen Spielerin der portugiesischen Mannschaft Bracarenses zu den Umständen, unter denen in den 1990ern Frauenfußball gespielt wurde: „Das war eben der Preis, den wir zahlen mussten.“ Zu diesem Zeitpunkt hatten wir die Interviews mit den Spielerinnen aus den 1970ern bereits geführt. Es war hart festzustellen, dass sich die Situation der Frauen in zwanzig Jahren kaum verändert hatte. Den Frauen, die Fußball spielen wollten, wurden Steine in den Weg gelegt, doch sie haben das alles in Kauf genommen, nur um ihrer Leidenschaft nachzugehen.

„Um Ball – 50 Joer Fraefussball zu Lëtzebuerg“ läuft diesen Freitag, den 27. Januar um 19:30 Uhr im Centre Camille Ney in Ell sowie ab Februar in den Regionalkinos. Anfang März sind Einzelvorstellungen in Bettemburg, Colmar-Berg und Steinfort geplant.

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